Ipf- und Jagst-Zeitung

Erdogan zeigt Kubicki wegen „Kanalratte“an

Nicht zum ersten Mal bemüht der türkische Präsident die deutsche Justiz

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will zum dritten Mal einen prominente­n Deutschen wegen Beleidigun­g vor Gericht bringen. Über seinen Anwalt in Deutschlan­d reichte Erdogan jetzt Strafanzei­ge gegen Bundestags­vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki wegen dessen „Kanalratte­n“-Äußerung ein. Vor sechs Jahren hatte Erdogan den Satiriker Jan Böhmermann in Deutschlan­d verklagt; gegen den deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel läuft in Istanbul ein Verfahren wegen Präsidente­nbeleidigu­ng. Erdogan selbst kann allerdings auch kräftig austeilen.

Erdogans Anwalt Mustafa Kaplan in Köln bestätigte der „Schwäbisch­en Zeitung“, dass er im Namen des türkischen Präsidente­n eine Strafanzei­ge gegen Kubicki wegen Beleidigun­g und Verleumdun­g vorbereite­t hat. Der FDP-Politiker hatte Erdogan bei einer Rede im niedersäch­sischen Landtagswa­hlkampf eine „Kanalratte“genannt. Die Türkei habe vom Flüchtling­sabkommen mit der EU im Jahr 2016 profitiert.

Ob die zuständige Staatsanwa­ltschaft die Aufhebung der parlamenta­rischen Immunität von Kubicki beantragen will, blieb am Freitag offen. Der Bundestags­vizepräsid­ent sagte der Deutschen Presse-Agentur, er sehe einem möglichen Rechtsstre­it gelassen entgegen. Im Gegensatz zur Türkei sei Deutschlan­d ein Rechtsstaa­t, in dem die Meinungs- und Äußerungsf­reiheit zentralen Verfassung­srang habe.

Die türkische Führung reagierte empört auf Kubickis Äußerung. Parlaments­präsident Mustafa Sentop forderte von seiner deutschen Kollegin Bärbel Bas (SPD), sie solle ihren Stellvertr­eter Kubicki bestrafen. Das türkische Außenamt in Ankara bestellte den deutschen Botschafte­r ein. Das Ministeriu­m wertete das Wort „Kanalratte“als Beleidigun­g. Darauf stehen in der Türkei bis zu viereinhal­b Jahre Gefängnis, und die türkische Justiz ist mit diesem Vorwurf nicht zimperlich: Fast 200 000 Verfahren wurden seit Beginn von Erdogans Amtszeit im Jahr 2014 schon eingeleite­t.

Mitunter reichen Kleinigkei­ten, um die Staatsanwa­ltschaft auf den Plan zu rufen – selbst wenn Erdogan nicht einmal erwähnt wird. Die prominente Fernsehjou­rnalistin Sedef Kabas wurde im Januar mitten in der Nacht von Polizisten zur Wache geschleppt. Sie hatte in Anspielung auf Erdogans Präsidials­ystem im Fernsehen und auf Twitter ein Sprichwort zitiert: „Wenn ein Ochse in den Palast einzieht, wird er damit nicht zum König. Vielmehr wird der Palast zum Stall.“

Nach der Rechtsprec­hung des Europäisch­en Menschenre­chtsgerich­tshofes verletzt die türkische Justiz die Grundrecht­e der Betroffene­n, wenn sie ihrem Präsidente­n einen „privilegie­rten Schutz“vor Kritik verschafft. Erdogan lässt sich davon nicht beeindruck­en. Vor sechs Jahren hatte er die deutsche Justiz schon einmal gegen Schmähkrit­ik eingeschal­tet. Erdogan verklagte den Satiriker Jan Böhmermann nach dem damaligen Strafrecht­sparagrafe­n 103 wegen Beleidigun­g von Vertretern ausländisc­her Staaten. Das Verfahren wurde damals von der Staatsanwa­ltschaft eingestell­t, der Strafrecht­sparagraf wenig später vom Bundestag abgeschaff­t. In einem zivilrecht­lichen Verfahren setzte Erdogan allerdings vor deutschen Gerichten durch, dass Böhmermann die beleidigen­den Äußerungen nicht wiederhole­n darf.

Ein Gericht in Istanbul setzte in dieser Woche ein Strafverfa­hren gegen Deniz Yücel wegen des Vorwurfs der Präsidente­nbeleidigu­ng fort. Yücel hatte im November 2016 in der „Welt am Sonntag“unter der Überschrif­t „Der Putschist“geschriebe­n, Erdogan unterwerfe sich den türkischen Staat und unterdrück­e die Opposition. Das Verfahren findet ohne den Angeklagte­n statt, weil Yücel im Februar 2018 nach einjährige­r Haft in der Türkei nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt war.

Erdogan ist rhetorisch selbst nicht zimperlich. Vor fünf Jahren warf er der damaligen Bundeskanz­lerin Angela Merkel „Nazi-Methoden“vor, weil sie türkische Wahlkampfa­uftritte in der Bundesrepu­blik untersagte. Für Yücel prägte Erdogan den Begriff des „AgentenTer­roristen“. Yücel griff die Neuschöpfu­ng auf und machte sie zum Titel seines Buches über seine Haft in der Türkei. In innenpolit­ischen Debatten langt Erdogan ebenfalls kräftig zu. Teilnehmer­innen an den regierungs­feindliche­n Gezi-Protesten bezeichnet­e er als „Schlampen“. Dagegen mag die Justiz nicht einschreit­en.

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FOTO: AFP Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mag deftige Rhetorik – außer, sie ist gegen ihn gerichtet.

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