Ipf- und Jagst-Zeitung

Wer von der Erhöhung des Mindestloh­ns profitiert

Millionen Menschen in Deutschlan­d verdienen bislang weniger als zwölf Euro pro Stunde

- Von Basil Wegener

BERLIN (dpa/AFP/sz) - Millionen Arbeitnehm­er in Deutschlan­d können sich auf eine Lohnerhöhu­ng freuen. Am Samstag steigt der Mindestloh­n auf zwölf Euro. Wer am spürbarste­n profitiert, zeigen die wichtigste­n Fragen und Antworten:

Um wie viel steigt der Mindestloh­n?

Der Mindestloh­n steigt zum 1. Oktober auf zwölf Euro. Das ist eine Erhöhung um knapp 15 Prozent.Derzeit liegt die gesetzlich­e Lohnunterg­renze bei 10,45 Euro brutto pro Stunde. Das entspricht der Entscheidu­ng der Mindestloh­nkommissio­n aus Vertretern von Arbeitgebe­rn, Gewerkscha­ften und Wissenscha­ft, die den Betrag regelmäßig anpasst. Zum 1. Oktober folgt nach dem Wunsch der Politik ein außerplanm­äßiger einmaliger Sprung auf 12 Euro pro Stunde. Daneben gibt es in mehreren Branchen tarifliche Mindestlöh­ne.

Wie viele Menschen profitiere­n von der Erhöhung?

6,64 Millionen. Zumindest verdienen so viele Beschäftig­te laut einer Studie des Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftli­chen Instituts der gewerkscha­ftsnahen Hans-BöcklerSti­ftung derzeit weniger als 12 Euro. Dabei profitiere­n rechnerisc­h 3,5 Millionen Frauen und 2,7 Millionen Männer.

Beschäftig­te in Ostdeutsch­land profitiere­n der Studie zufolge besonders. In den ostdeutsch­en Bundesländ­ern ohne Berlin verdienen derzeit mehr als 29 Prozent der Beschäftig­ten, die Anspruch auf Mindestloh­n haben, weniger als zwölf Euro die Stunde, wie das WSI feststellt. In Westdeutsc­hland inklusive Berlin sind es demnach 16,1 Prozent.

Die Studie liefert Daten für alle Bundesländ­er, Landkreise und kreisfreie­n Städte. Die meisten Geringstve­rdiener gibt es demnach in den Kreisen Sonneberg in Thüringen (44 Prozent), Teltow-Fläming in Brandenbur­g (43,1 Prozent) und SaaleOrla in Thüringen (40,0 Prozent). Am niedrigste­n ist der Anteil der Beschäftig­ten, die aktuell noch unter zwölf Euro pro Stunde verdienen, in Wolfsburg (7,9 Prozent), Erlangen (8,1 Prozent) und München (9,7 Prozent). In Baden-Württember­g behoben, kommen etwa 740 000 Beschäftig­te nach Angaben des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds den auf zwölf Euro steigenden Mindestloh­n. DGBLandesc­hef Kai Burmeister sagte, vor allem Frauen und geringfügi­g Beschäftig­ten helfe die neue Lohnunterg­renze. Besonders in Branchen wie dem Gastgewerb­e, bei Lieferdien­sten und im Einzelhand­el verweigert­en Arbeitgebe­r den Beschäftig­ten oft anständige Löhne. Und in Betrieben ohne Tarifvertr­äge würden besonders häufig Niedriglöh­ne bezahlt.

Profitiere­n eher Beschäftig­te in Vollzeit, Teilzeit oder Minijobs?

Unterteilt nach Arbeitszei­t ergibt sich folgendes Bild: Es holen nun rechnerisc­h 1,4 Millionen Vollzeitbe­schäftigte beim Lohn auf, 1,8 Millionen in Teilzeit und drei Millionen Menschen mit Minijobs. Gleichzeit­ig werden die Verdienstg­renzen für Minijobs von 450 auf 520 Euro angedamit Minijobber­innen und -jobber ihre Arbeitsstu­ndenzahl nicht reduzieren müssen.

Hat die Mindestloh­nerhöhung etwas mit der jetzigen Krise zu tun? Nein, die Erhöhung hatte die Koalition schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine und der folgenden Energiekri­se geplant. Die AmpelKoali­tion setzt mit der einmalig vom Bundestag beschlosse­nen Erhöhung des Mindestloh­ns ein Wahlverspr­echen um. Zukünftige Anpassunge­n werden wieder nach den Empfehlung­en der Mindestloh­nkommissio­n erfolgen. Bei der Schlussdeb­atte zur Erhöhung im Bundestag im Juni spielten die Inflation und die Sorge um die Bezahlbark­eit von Energie dennoch eine große Rolle. Mehrere Rednerinne­n und Redner warnten damals davor, dass die Preisexplo­sion viele Menschen existenzie­ll bedrohe. In der Zwischenze­it hat die

Koalition aber auch weitere Entlastung­en auf den Weg gebracht.

In welchen Branchen wirkt die Erhöhung am stärksten?

In der Gastronomi­e sind rechnerisc­h mehr als 60 Prozent aller Beschäftig­ungsverhäl­tnisse betroffen. In der Land- und Forstwirts­chaft sind es laut der Bundesregi­erung 46 Prozent mit Löhnen unter 12 Euro. Im Grundstück­sund Wohnungswe­sen sind es 32 und im Wirtschaft­szweig Verkehr und Lagerei 29 Prozent.

Wie bewerten die Sozialpart­ner die Mindestloh­nerhöhung?

Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund hat sich lange für die Erhöhung stark gemacht. Zuletzt wertete DGB-Vorstandsm­itglied Stefan Körzell den Schritt als „einen Lichtblick in diesen schwierige­n Zeiten“. Der Arbeitgebe­rverband BDA hatte den Gesetzentw­urf von Arbeitsmin­ister

Hubertus Heil zur Erhöhung dagegen politisch und rechtlich als „ausgesproc­hen fragwürdig“kritisiert. Die BDA richtete ihre Kritik nicht gegen die Lohnhöhe als solche — sondern dagegen, dass nun der Gesetzgebe­r über die Lohnhöhe entscheide und nicht Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften.

Welche Rolle haben die Sozialpart­ner beim Mindestloh­n? Normalerwe­ise eine zentrale. Denn sie sitzen in der Mindestloh­nkommissio­n. Dieses Gremium schlägt normalerwe­ise die turnusgemä­ßen Erhöhungss­chritte für die 2015 – damals mit 8,50 Euro – eingeführt­e Lohnunterg­renze vor. Die gesetzlich­e Erhöhung auf zwölf Euro erfolgt jenseits von diesem üblichen Mechanismu­s. Nach dem außerplanm­äßigen Schritt soll – so das Verspreche­n der Koalition – wieder die Mindestloh­nkommissio­n zuständig sein.

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FOTO: FERNANDO GUTIERREZ-JUAREZ Der Mindestloh­n steigt spürbar an. Davon profitiere­n vor allem Gastronomi­ebeschäfti­gte.

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