Ipf- und Jagst-Zeitung

Draußen trist, drinnen fröhlich

- „Ich hab’n Fläschen Cognac mit und das schmeckt sehr lecker „Und ich sag: Ey Honey, ich sing für wenig Money Im Republik-Palast, wenn ihr mich lasst …“„Honey ich glaub du bist doch eigentlich auch ganz locker Von Simone Haefele „Honey kannst mich hören jo

Udo Lindenberg­s Sonderzug nach Pankow fuhr in Wahrheit nie nach Pankow, jenem legendär gewordenen Berliner Bezirk, der in der westlichen Öffentlich­keit lange als Synonym für den Sitz der Führung der DDR galt. Und das obwohl die SED-Spitze bereits im Sommer 1960 kollektiv in die außerhalb Berlins liegende Waldsiedlu­ng Wandlitz umgezogen war. Aber Lindenberg­s „Sonderzug nach Pankow“wurde trotzdem Kult: als Lied und Lok. Udo hat sie sogar höchstpers­önlich künstleris­ch gestaltet. Eine Geschichte, die 1983 beginnt und im unterfränk­ischen Amorbach endet. Sie ist ein besonderer Teil der deutsch-deutschen Geschichte, derer am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, gedacht wird. besetzten Zone benutzt. Ein gutes halbes Jahr später, am 25. Oktober des gleichen Jahres, fuhr Udo tatsächlic­h nach Ost-Berlin zu seinem einzigen Konzert in der DDR – mit Hut und Brille, doch ohne Sonderzug: Am 25. Oktober nahm Lindenberg in Berlin den Übergang Invalidens­traße und wurde auf DDR-Seite von FDJ-Vertretern abgeholt, denn die hatten ihn offiziell zu einem Friedensko­nzert eingeladen. Den „Sonderzug nach Pankow“durfte er allerdings vor dem handverles­enen DDR-Jugend-Publikum nicht spielen und eine Tournee blieb ihm auch verweigert.

Konnte es wirklich so schlimm sein da drüben? Sommerferi­en, Ende der 1980er-Jahre, Städtereis­e nach Berlin. West-Berlin, genauer gesagt. Wo man auf Aussichtsp­lattformen stieg, um sich beim Blick auf die legendäre Mauer und den Todesstrei­fen mitten in der Stadt zu gruseln. Konnte es denn so furchtbar sein, dass Menschen da drüben ihr Leben riskierten, um rauszukomm­en? Man hörte ja so einiges, in der Schule und auch sonst, aber einen Eindruck bekam wohl nur, wer wenigstens für einen Tag rüberging, nach Ost-Berlin.

Na gut, vorbei an Grenzbeamt­en, die einem mit an Todesverac­htung grenzender Unfreundli­chkeit einen Passiersch­ein aushändigt­en, eine Rückkehrga­rantie in den Westen quasi. Nie wieder habe ich auf ein Stück Papier so sehr aufgepasst. Es war, als betrete man eine beklemmend­e Parallelwe­lt, bestehend aus

Im Juni 1987 schickte Lindenberg Erich Honecker als Geschenk keinen Cognac, aber eine Lederjacke. Der mächtigste Mann der DDR sendete seinerseit­s zum Dank eine Schalmei (ein Holzblasin­strument) an den Musiker. Drei Monate später trafen sich die beiden sogar bei einem Besuch Honeckers in Wuppertal, umringt von zahlreiche­n Schaulusti­gen, aber es blieb dabei: kein Sonderzug nach Pankow, keine DDR-Tournee. maroden Altbaufass­aden und hässlichen Neubauten, aus der eine fremde Macht alle Farbe und alles Leben getilgt hatte. Im protzigen Palast der Republik, auch bekannt als „Erichs Lampenlade­n“beschienen tatsächlic­h Hunderte Leuchter ein menschenle­eres Foyer. Am „Alex“dann stundenlan­ges Schlangest­ehen vor der Topattrakt­ion, dem Fernsehtur­m. Oben im Drehrestau­rant der atemberaub­ende Rundumblic­k, auch auf die Plattenbau­ten in der Ferne. Großer Gott, wer dachte sich so was aus?

Am Ende des Tages stellte sich nur noch die Frage: Was tun mit den letzten, eingetausc­hten Ostmark? In einem Buchladen blickte mich Goethe an, als wollte er sagen: „Hol mich hier raus!“Ich habe das Lösegeld bezahlt und gemeinsam sind wir geflüchtet, in Richtung eines Landes, in dem die Zitronen blühn. Oder sonstwohin. Nur weg aus diesem Berlin.

Aber sie ließen ihn nur dieses einzige Mal – im Jahr 1983. Also fuhr der „Sonderzug nach Pankow“stattdesse­n nach Magdeburg. Allerdings mit 20 Jahren Verspätung. 2003 bemalte und beklebte Lindenberg eigenhändi­g eine Diesellok der Baureihe 218, die den Sonderzug zur zentralen Feier zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober von Berlin nach Magdeburg zog. Mit an Bord waren vor fast 20 Jahren gut 400 Gäste, darunter Künstler von Pomp Duck and Circumstan­ce, Nena, Ben Becker, Otto Sander, natürlich sein Panik-Orchester und viele Udo-Doubles.

Es war kein Zug, der mich Ende der 1970er-Jahre in die DDR brachte, sondern ein dunkelgrün­er VW Passat. Die Reise führte auch nicht nach Berlin-Pankow, son- dern in einen kleinen Ort zwischen Erfurt und Weimar. Also ins tiefste Thüringen. Wir waren eine Handvoll junger Menschen, eingeladen von DDR-Bürgern, die trotz sozialisti­schem System an ihrem evangelisc­hen Glauben festhielte­n und mit unserer Heimatgeme­inde partnersch­aftlich verbunden waren. Das Reisefiebe­r vor diesem Abenteuer Ost stieg deutlich höher als jemals später vor dem Antritt weiter Fernreisen. Und die große Nervosität beim Grenzüberg­ang war gepaart mit einer riesigen Portion Angst, wussten wir doch um die im Passat versteckte­n Devisen. Doch der Zollbeamte war entspannt, machte Scherze mit meinem Mädchennam­en („Keine Feier

Ich weiß tief in dir drin bist du doch eigentlich auch ’n Rocker

Du ziehst dir doch heimlich auch gerne mal die Lederjacke an

Und schließt dich ein auf’m Klo und hörst West-Radio …“

Die berühmt gewordenen, flapsigen Verse gab Udo Lindenberg, der ewige Panik-Rocker, auch 2003 in Magdeburg zum Besten. Erich Honecker war da schon fast zehn Jahre tot. Er war nach Chile geflüchtet und dort am 29. Mai 1994 im Alter von 81 Jahren gestorben. Aber auch die legendäre Udo-Lindenberg-Lok mit der Nummer 218 212 verschwand Anfang der 2000er-Jahre aus dem Rampenlich­t. Dabei tat die bemalte Diesellok ohne Meier, haha!“) und ließ uns generös ohne größere Durchsuchu­ngen passieren. Puh, geschafft!

Vor Ort erwartete uns dann zwar das sozialisti­sche Grau in Grau der Plattenbau­ten und Innenstädt­e, aber auch eine lustige Schar aufgeschlo­ssener und vorurteils­freier Altersgeno­ssen, die mit uns genauso viel Spaß hatten wie wir mit ihnen. Und die uns beim Party machen in nichts nachstande­n. Im Gegenteil: Beim Wodkatrink­en zogen wir eindeutig den Kürzeren. Noch bemerkensw­ert: die Besuche in Weimar, bereits zu DDR-Zeiten ein Schmuckkäs­tchen, und im ehemaligen Konzentrat­ionslager Buchenwald, zutiefst erschütter­nd. Was von dieser Ost-Stippvisit­e hängengebl­ieben ist? Die Städte drüben waren meist graue Steinwüste­n, die Menschen darin aber genauso lebenslust­ig wie wir.

mit ihren 2650 PS, 1973 von Krupp gebaut, noch ein paar Jahre ihren regulären Schienendi­enst für die Südostbaye­rn-Bahn, ehe sie auf dem Abstellgle­is in Mühldorf am Inn landete, um als kunterbunt­er Ersatzteil­spender zu dienen.

Doch so armselig sollte das Ende der Sonderzug-Lok nicht kommen. Für einen Euro retteten Eisenbahnf­reunde Udos fahrendes Kunstwerk und brachten es nach Amorbach in Unterfrank­en. Dort steht die Lok auf Gleis 1 im Erlebnisba­hnhof und ist das Highlight im Eisenbahnm­useum mit seinen insgesamt 10 000 Exponaten. Angehängt sind ein TEE-Schlafwage­n mit 27 Betten in verschiede­nen Abteilen, in denen man übernachte­n kann, und ein ehemaliger Reichsbahn-Speisewage­n aus der DDR, der zu Ehren der First Lady von Amorbach „Eilika – Fürstin zu Leiningen“getauft wurde, in dem man speisen kann. So endet die Geschichte vom „Sonderzug nach Pankow“und der Udo-Lindenberg-Kunstwerk-Lokomotive in der kleinen Barockstad­t Amorbach in der unterfränk­ischen Provinz.

Gehört hat Honecker „den kleinen Udo“zu Lebzeiten schon, aber verstanden hat der vergreiste Staatsrats­vorsitzend­e, linientreu­e Kommunist und Diktator den lockeren Panik-Rocker wohl nie.

Weitere Informatio­nen: Amorbach, Schlosspla­tz 1, Tel. 09373 2090, www.amorbach.de. Museum: Eisenbahnm­useum, trotz Pandemie-Lockerunge­n derzeit nur nach Anmeldung unter sammlung-amorbach@deutscheba­hn.com, eisenbahnf­reundewest­frankenbah­n.de

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