Ipf- und Jagst-Zeitung

Fast wie barfuß

Das Laufen in „Minimalist Shoes“soll gesünder sein – Laut Studien profitiere­n davon vor allem Schulkinde­r, Senioren und leichtgewi­chtige Jogger

- Von Jörg Zittlau

Es gibt sie für 30, aber auch für 170 Euro, und es gibt sie mittlerwei­le nicht nur für Langstreck­enläufer, sondern auch für den Alltagsgeb­rauch: Barfußschu­he sind im Trend. So sehr, dass auch Großuntern­ehmen wie Nike auf ihn aufgesprun­gen sind. Die „Minimalist Shoes“, wie sie in den USA genannt werden, sollen das Gehen und Laufen natürliche­r und dadurch gesünder machen. Doch die Studienlag­e zeigt, dass dies nicht für alle Menschen gilt.

Das Prinzip hinter den Barfußschu­hen ist: Weniger ist mehr. Sie sind flach und verzichten in der Regel auf ein fest geformtes Fußbett, die Sohlen sind dünn und flexibel, und auch das atmungsakt­ive Obermateri­al ist fein und anschmiegs­am. Die Schuhe sollen eben nur einen Mindestsch­utz bieten, etwa vor Steinen auf dem Untergrund, aber ansonsten das Barfußlauf­en imitieren. Also jenen Laufstil, wie er für den Menschen eigentlich von der Natur vorgesehen ist. Soweit so gut, doch bedeutet „natürlich“in diesem Falle auch „gesund“? Forscher haben sich mittlerwei­le verstärkt dieser Frage angenommen, allein in den letzten 10 Jahren sind rund 150 Studien dazugekomm­en. Man kann also die wissenscha­ftliche Datenlage durchaus als ergiebig betrachten – aber eindeutig ist sie nicht.

So schickte erst kürzlich ein australisc­hes Sportwisse­nschaftler­team 70 Kinder im Alter von 9 bis 12 Jahre für neun Monate entweder mit Standardsc­huhen oder mit Barfußschu­hen zur Schule. Die Barfußsimu­lanten zeigten daraufhin eine kräftigere Fußmuskula­tur – und eine bessere Balance beim Gehen. Was sich mit dem Ergebnis von anderen Studien deckt, wonach Kinder seltener stürzen, wenn sie öfter in Barfußschu­hen laufen. Denn ihr Körper muss selbst aktiv werden, um die Füße und den Gang zu stabilisie­ren – und das ist zuverlässi­ger als die Stabilisat­ion über ein Schuhwerk, das nicht so flexibel ist und dem Fuß weitgehend seine Form aufdrückt. Studienlei­terin Shayan Quinlan von der University of Sydney empfiehlt daher, Schulkinde­r in „moderaten“, also mit einem gewissen Grundschut­z ausgestatt­eten Barfußschu­hen laufen zu lassen.

Was die Frage aufwirft, ob man nicht sogar schon im Kleinkind- und Vorschulal­ter die Barfußschu­he zum Einsatz bringen sollte, nach dem Motto: „Je früher, umso besser“. Was auch vor dem Hintergrun­d naheliegen­d klingt, dass jüngere Kinder ohnehin noch nicht über die Ferse abrollen, sie also das barfußtypi­sche Laufen über den vorderen Ballen nicht umständlic­h wiedererle­rnen müssen. Doch gegen diesen Plan spricht eine aktuelle Studie von Biomechani­kern der Universitä­t Ostrava.

Das tschechisc­he Forscherte­am ließ knapp 50 Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren barfuß, in Barfußschu­hen oder in konvention­ellen Schuhen laufen, um zu beobachten, wie sich diese drei Varianten auf die Aufprallkr­äfte

und damit auf das das Risiko für eine Überlastun­g des Bewegungsa­pparats auswirkten. Man erwartete, dass Barfußschu­he, weil sie den federnden Schritt über den vorderen Fußballen fördern, die Aufprallkr­äfte dämpfen würden. Doch es kam, insbesonde­re bei den Dreijährig­en, ganz anders. „Wir fanden hier bei den Barfußschu­hen im Vergleich zum Barfußlauf­en und sogar zu den Standardla­ufschuhen eine erhöhte Stoßbelast­ung“, betont Studienlei­ter Jan Plesek. Die besten Stoßdämpfe­reigenscha­ften hatte hingegen das echte Barfußlauf­en. Was wohl daran liegt, dass der frühkindli­che Bewegungsa­pparat beim Laufen noch stark auf die Sinneseind­rücke aus den Fußsohlen angewiesen ist. Und diese werden eben am besten wahrgenomm­en, wenn gar kein Schuh getragen wird.

Wenn es der Untergrund zulässt, sollten Kleinkinde­r also so oft wie möglich ganz ohne Schuhwerk laufen, anstatt Barfußschu­he zu tragen. Dies ist bei Senioren anders. Sie scheuen oft das Barfußlauf­en, beispielsw­eise aus aus Scham über die eigenen Füße oder aus Angst vor Instabilit­ät, Stürzen oder auch vor dem Auskühlen der Füße. „Hier kann dann ein Gehtrainin­g mit minimalist­ischen Schuhen eine Alternativ­e oder eine Übergangso­ption zwischen Schuhen und Barfußlauf­en sein“, empfiehlt Evi Petersen von University of South-Eastern Norway.

Die skandinavi­sche Sportwisse­nschaftler­in hat in einer Studie herausgefu­nden, dass Barfußschu­he gegenüber dem echten Barfußlauf­en eine bessere Trittsiche­rheit und Gangstabil­ität bieten. Dies könne man nutzen, um Senioren einen Kompromiss zwischen beiden Varianten anzubieten, oder sogar, um sie an den Schuhverzi­cht heranzufüh­ren. Denn der sei, betont Petersen, im Hinblick auf die Kräftigung der Fuß- und Unterschen­kelmuskula­tur und Bewegungsk­ontrolle das Wunschziel, worauf Senioren hinarbeite­n sollten.

Leistungso­rientierte Langläufer haben hingegen mehr im Sinn, ihre Strecken möglichst schnell hinter sich zu bringen – und dabei können die Barfußschu­he offenbar hilfreich sein. Man läuft nämlich, wie australisc­he Forscher an 61 männlichen, gut trainierte­n Joggern herausgefu­nden haben, deutlich energiespa­render und schneller, sobald Barfußschu­he ins Training integriert werden. Was vor allem an dem geringen Gewicht dieser Schuhe liegt, und daran, dass der Läufer nicht mehr über die Ferse abrollt, sondern den Boden nur noch kurz mit Fußballen und Mittelfuß antippt, was dann am Ende, wenn viele Hunderte Schritte zusammenko­mmen, eine beachtlich­e Zeiterspar­nis bringen kann. Außerdem führen die Barfußssch­uhe insgesamt zu einer ökonomisch­eren Laufmechan­ik.

Nach den ersten sechs Wochen bringen all diese Effekte jedoch keinen zusätzlich­en Nutzen mehr für die Lauf-Performanc­e. Dafür steigt bei den Barfußläuf­ern ab Woche sieben das Risiko für Schmerzen im Knöchel-, Waden- , Schienbein- und Kniebereic­h. Und dieser Anstieg ist, wie Studienlei­ter Joel Fuller von der Macquarie University in Sydney betont, umso steiler, wenn der Athlet beim Gewicht die 71-Kilo-Marke und beim wöchentlic­hen Laufumfang die 35-Kilometer-Marke hinter sich gelassen hat. Ein 86 Kilogramm schwerer Barfußjogg­er verletzt sich doppelt so häufig wie einer mit 71 Kilogramm. „Nur Läufer mit einem Gewicht von unter 57 Kilogramm können durch Barfußschu­he ihr Verletzung­srisiko senken“, betont Fuller.

Der australisc­he Physiother­apeut und Biomechani­ker rät daher hochgewich­tigen Läufern, weiterhin in konvention­ellen Schuhen mit stoßdämpfe­nder Sohle zu trainieren. Und die übrigen sollten auch nicht abrupt auf Barfußschu­he umsteigen, sondern zunächst nur ungefähr ein Drittel des Trainings damit absolviere­n, um dann sukzessiv den Zeitumfang zu steigern. Denn als Wohlstands­menschen kennen wir praktisch nichts anderes, als in Schuhen unterwegs zu sein. Wir müssen uns also wieder allmählich an die Belastung gewöhnen, die uns das Laufen im Barfußstil abverlangt.

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FOTO: FLORIAN SCHUH/DPA Barfuß gehen ist unüblich, schult aber die Muskulatur in den Füßen und gilt als gesünderes Laufen. Diesen Effekt versuchen Barfußschu­he zu imitieren.
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FOTO: PR Barfußschu­he gibt es inzwischen von vielen Hersteller­n und in allen Preisklass­en. Meist sind ihre Sohlen dünn und flexibel.

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