Fast wie barfuß
Das Laufen in „Minimalist Shoes“soll gesünder sein – Laut Studien profitieren davon vor allem Schulkinder, Senioren und leichtgewichtige Jogger
Es gibt sie für 30, aber auch für 170 Euro, und es gibt sie mittlerweile nicht nur für Langstreckenläufer, sondern auch für den Alltagsgebrauch: Barfußschuhe sind im Trend. So sehr, dass auch Großunternehmen wie Nike auf ihn aufgesprungen sind. Die „Minimalist Shoes“, wie sie in den USA genannt werden, sollen das Gehen und Laufen natürlicher und dadurch gesünder machen. Doch die Studienlage zeigt, dass dies nicht für alle Menschen gilt.
Das Prinzip hinter den Barfußschuhen ist: Weniger ist mehr. Sie sind flach und verzichten in der Regel auf ein fest geformtes Fußbett, die Sohlen sind dünn und flexibel, und auch das atmungsaktive Obermaterial ist fein und anschmiegsam. Die Schuhe sollen eben nur einen Mindestschutz bieten, etwa vor Steinen auf dem Untergrund, aber ansonsten das Barfußlaufen imitieren. Also jenen Laufstil, wie er für den Menschen eigentlich von der Natur vorgesehen ist. Soweit so gut, doch bedeutet „natürlich“in diesem Falle auch „gesund“? Forscher haben sich mittlerweile verstärkt dieser Frage angenommen, allein in den letzten 10 Jahren sind rund 150 Studien dazugekommen. Man kann also die wissenschaftliche Datenlage durchaus als ergiebig betrachten – aber eindeutig ist sie nicht.
So schickte erst kürzlich ein australisches Sportwissenschaftlerteam 70 Kinder im Alter von 9 bis 12 Jahre für neun Monate entweder mit Standardschuhen oder mit Barfußschuhen zur Schule. Die Barfußsimulanten zeigten daraufhin eine kräftigere Fußmuskulatur – und eine bessere Balance beim Gehen. Was sich mit dem Ergebnis von anderen Studien deckt, wonach Kinder seltener stürzen, wenn sie öfter in Barfußschuhen laufen. Denn ihr Körper muss selbst aktiv werden, um die Füße und den Gang zu stabilisieren – und das ist zuverlässiger als die Stabilisation über ein Schuhwerk, das nicht so flexibel ist und dem Fuß weitgehend seine Form aufdrückt. Studienleiterin Shayan Quinlan von der University of Sydney empfiehlt daher, Schulkinder in „moderaten“, also mit einem gewissen Grundschutz ausgestatteten Barfußschuhen laufen zu lassen.
Was die Frage aufwirft, ob man nicht sogar schon im Kleinkind- und Vorschulalter die Barfußschuhe zum Einsatz bringen sollte, nach dem Motto: „Je früher, umso besser“. Was auch vor dem Hintergrund naheliegend klingt, dass jüngere Kinder ohnehin noch nicht über die Ferse abrollen, sie also das barfußtypische Laufen über den vorderen Ballen nicht umständlich wiedererlernen müssen. Doch gegen diesen Plan spricht eine aktuelle Studie von Biomechanikern der Universität Ostrava.
Das tschechische Forscherteam ließ knapp 50 Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren barfuß, in Barfußschuhen oder in konventionellen Schuhen laufen, um zu beobachten, wie sich diese drei Varianten auf die Aufprallkräfte
und damit auf das das Risiko für eine Überlastung des Bewegungsapparats auswirkten. Man erwartete, dass Barfußschuhe, weil sie den federnden Schritt über den vorderen Fußballen fördern, die Aufprallkräfte dämpfen würden. Doch es kam, insbesondere bei den Dreijährigen, ganz anders. „Wir fanden hier bei den Barfußschuhen im Vergleich zum Barfußlaufen und sogar zu den Standardlaufschuhen eine erhöhte Stoßbelastung“, betont Studienleiter Jan Plesek. Die besten Stoßdämpfereigenschaften hatte hingegen das echte Barfußlaufen. Was wohl daran liegt, dass der frühkindliche Bewegungsapparat beim Laufen noch stark auf die Sinneseindrücke aus den Fußsohlen angewiesen ist. Und diese werden eben am besten wahrgenommen, wenn gar kein Schuh getragen wird.
Wenn es der Untergrund zulässt, sollten Kleinkinder also so oft wie möglich ganz ohne Schuhwerk laufen, anstatt Barfußschuhe zu tragen. Dies ist bei Senioren anders. Sie scheuen oft das Barfußlaufen, beispielsweise aus aus Scham über die eigenen Füße oder aus Angst vor Instabilität, Stürzen oder auch vor dem Auskühlen der Füße. „Hier kann dann ein Gehtraining mit minimalistischen Schuhen eine Alternative oder eine Übergangsoption zwischen Schuhen und Barfußlaufen sein“, empfiehlt Evi Petersen von University of South-Eastern Norway.
Die skandinavische Sportwissenschaftlerin hat in einer Studie herausgefunden, dass Barfußschuhe gegenüber dem echten Barfußlaufen eine bessere Trittsicherheit und Gangstabilität bieten. Dies könne man nutzen, um Senioren einen Kompromiss zwischen beiden Varianten anzubieten, oder sogar, um sie an den Schuhverzicht heranzuführen. Denn der sei, betont Petersen, im Hinblick auf die Kräftigung der Fuß- und Unterschenkelmuskulatur und Bewegungskontrolle das Wunschziel, worauf Senioren hinarbeiten sollten.
Leistungsorientierte Langläufer haben hingegen mehr im Sinn, ihre Strecken möglichst schnell hinter sich zu bringen – und dabei können die Barfußschuhe offenbar hilfreich sein. Man läuft nämlich, wie australische Forscher an 61 männlichen, gut trainierten Joggern herausgefunden haben, deutlich energiesparender und schneller, sobald Barfußschuhe ins Training integriert werden. Was vor allem an dem geringen Gewicht dieser Schuhe liegt, und daran, dass der Läufer nicht mehr über die Ferse abrollt, sondern den Boden nur noch kurz mit Fußballen und Mittelfuß antippt, was dann am Ende, wenn viele Hunderte Schritte zusammenkommen, eine beachtliche Zeitersparnis bringen kann. Außerdem führen die Barfußsschuhe insgesamt zu einer ökonomischeren Laufmechanik.
Nach den ersten sechs Wochen bringen all diese Effekte jedoch keinen zusätzlichen Nutzen mehr für die Lauf-Performance. Dafür steigt bei den Barfußläufern ab Woche sieben das Risiko für Schmerzen im Knöchel-, Waden- , Schienbein- und Kniebereich. Und dieser Anstieg ist, wie Studienleiter Joel Fuller von der Macquarie University in Sydney betont, umso steiler, wenn der Athlet beim Gewicht die 71-Kilo-Marke und beim wöchentlichen Laufumfang die 35-Kilometer-Marke hinter sich gelassen hat. Ein 86 Kilogramm schwerer Barfußjogger verletzt sich doppelt so häufig wie einer mit 71 Kilogramm. „Nur Läufer mit einem Gewicht von unter 57 Kilogramm können durch Barfußschuhe ihr Verletzungsrisiko senken“, betont Fuller.
Der australische Physiotherapeut und Biomechaniker rät daher hochgewichtigen Läufern, weiterhin in konventionellen Schuhen mit stoßdämpfender Sohle zu trainieren. Und die übrigen sollten auch nicht abrupt auf Barfußschuhe umsteigen, sondern zunächst nur ungefähr ein Drittel des Trainings damit absolvieren, um dann sukzessiv den Zeitumfang zu steigern. Denn als Wohlstandsmenschen kennen wir praktisch nichts anderes, als in Schuhen unterwegs zu sein. Wir müssen uns also wieder allmählich an die Belastung gewöhnen, die uns das Laufen im Barfußstil abverlangt.