„Wir brauchen viele kleine Lösungen“
Zwei Studenten vom Bodensee haben Probleme und Lösungen für die Klimakrise zusammengetragen – Was sie bei der Recherche für ihre Bücher gelernt haben
Das erfolgreichste deutschsprachige Buch über den Klimawandel haben zwei BWL-Studenten vom Bodensee geschrieben: David Nelles und Christian Serrer, beide 26. Seit 2018 hat es sich rund eine halbe Million Mal verkauft. Nun ist der Nachfolger erschienen, ein Bilderbuch über Lösungen für das Klimaproblem.
Kommt ihr überhaupt noch zum Studieren, neben dem Bücherschreiben?
Serrer: Ich würde sagen, so halb. Halb Bücher, halb Studium. Klappt relativ gut. Das mit dem Studieren dauert halt ein bisschen länger. Aber nun, nach sechs Jahren, fehlt nur noch die Bachelorarbeit. Nelles: Eigentlich war sie schon vor drei, vier Semestern fällig. Erfreulicherweise steht unsere Uni, die Zeppelin-Universität in Friedrichshafen, voll hinter dem Buchprojekt. Sonst hätten wir auch überhaupt keine Zeit für unsere Fragestunden mit Politikerinnen und Politikern.
Ihr macht nebenbei auch noch Klimapolitik-Beratung?
Serrer: Ich würde es nicht klassische Beratung nennen – eher vielleicht „Sendung mit der Maus für Erwachsene“. Wir sind weder professionelle Politikberater, noch Lobbyisten. Nelles: Wir wollen keine bestimmte Partei pushen. Zu Anfang eines solchen Gesprächs sagen wir immer: Wer Kanzler ist, ist uns total egal. Uns geht es allein darum, euch die bestmöglichen Informationen an die Hand zu geben, um wirkungsvollen Klimaschutz umsetzen zu können. Serrer: Wir haben keine Agenda vorbereitet oder so. Eigentlich bereiten wir überhaupt nix vor: Wenn jemand aus dem Bundestag oder dem EU-Parlament Redebedarf zu Klimafragen hat, machen wir halt eine kleine Videokonferenz. Dann versuchen wir, alle Fragen wissenschaftlich möglichst neutral zu beantworten. Und wenn wir mal selbst nicht weiterwissen, kennen wir durch die Arbeit an unseren Klimabüchern auf jeden Fall jemanden, der eine Antwort hat.
Kein Wunder: Für euer neues Buch „Die Klimalösung“habt ihr mit über 250 Wissenschaftlern zusammengearbeitet – mehr als doppelt so vielen wie bei eurem Erstlingswerk. Wie kam das?
Nelles: Die Ursachen und Folgen des Klimawandels naturwissenschaftlich zu beschreiben war ein Kinderspiel im Vergleich zu den Lösungen. Dieses Thema ist deutlich komplexer. Es spielen viel mehr Bereiche mit rein, die Wirtschaft, die Politik … Es geht um komplizierte Aspekte wie Kernenergie. Da muss man zwangsweise mit viel mehr Menschen sprechen. Serrer: Außerdem war es diesmal auch viel leichter, an die Leute ranzukommen. Viele Expertinnen und Experten, mit denen wir gesprochen haben, kannten bereits unser erstes Buch. Die wussten, dass das eine handwerklich ordentliche Sache ist – obwohl wir Betriebswirtschaftler, also nicht vom Fach sind.
Was verkauft sich besser: Probleme oder Lösungen?
Nelles: Das zweite Buch, mit den Klimalösungen, ist noch besser angelaufen als das erste. Seit November hat es sich schon mehr als 90 000-mal verkauft. Auch die Arbeit daran hat viel mehr Spaß gemacht: mit den Menschen über mögliche Lösungen zu reden statt mit den Ursachen und Folgen des Klimawandels, sagen wir mal, schlechte Stimmung zu verbreiten.
Wobei Lösungen auch Konfliktpotenziale bergen. Betrachten wir mal beispielhaft drei emotional aufgeladene F-Wörter. Erstens: Fliegen.
Nelles: Gleich mal das emotionalste! (lacht) Das ist ein Klimaproblem, für das – im Gegensatz zu vielen anderen – tatsächlich noch keine Lösung parat steht. Um das Fliegen klimaneutral zu machen, brauchen wir grüne, synthetische Kraftstoffe. Aber es wird noch sehr lange dauern, bis die in ausreichender Menge verfügbar sind. In absehbarer Zeit lässt sich das Problem nur dadurch lösen, dass man Flüge vermeidet. Auf persönlicher Ebene lautet die beste Antwort: Urlaub per Bus und Bahn. Urlaub in der Region.
Zweites F-Wort: Fleisch.
Serrer: Die Frage des Klimaschutzes entscheidet sich auch auf unseren Tellern. In vielen Bereichen der Gesellschaft lässt sich das System klimafreundlicher ausrichten, ohne dass sich für die Menschen allzu viel ändert. Etwa, wenn Wind- statt Kohlestrom aus der Steckdose kommt.
Oder wenn das Auto elektrisch statt mit Verbrenner unterwegs ist: Dann fahre ich immer noch Auto. Aber Fleisch und Klimaschutz – das sind zwei Dinge, die beißen sich einfach. Die Emissionen, die bei der Aufzucht von Rindern, Schweinen und Geflügel entstehen, lassen sich kaum reduzieren. Also bleibt nur, den Fleischkonsum zu reduzieren. Da ist wirklich jeder Einzelne gefragt. Es geht nicht um einen kompletten Verzicht auf Fleisch. Aber einmal die Woche reicht – das hätte übrigens auch gesundheitliche Vorteile. Wir müssen zurück zum Sonntagsbraten kommen.
Nelles: Was wir essen ist übrigens viel entscheidender als die Frage, woher das Essen kommt – wenn es nicht gerade Flugmangos sind. Wir haben das mal ausgerechnet: Ein Kilo
Tofu müsste knapp 13 Jahre auf einem Containerschiff um die Welt fahren, bis es klimaschädlicher ist als ein Kilo Rindfleisch vom Bauern um die Ecke. Regionalität ist also, aus Klimasicht, gar nicht so relevant wie man oft denkt. Auch uns hat das bei der Recherche für das Buch sehr überrascht.
Drittens: „Freie Fahrt für freie Bürger!“Würde sich mit einem Tempolimit nennenswert Emissionen einsparen lassen oder ist das eher Symbolpolitik?
Nelles: Ein Limit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen würde die Emissionen im Verkehr um 1,2 Prozent reduzieren. Klingt wenig. Aber wir müssen die Emissionen in allen Bereichen der Gesellschaft auf nahezu null kriegen. Dahin kommen wir nicht, wenn wir kleine Einzellösungen weglassen, nur weil sie klein sind. Es gibt nicht die eine, große Lösung. Wir brauchen genau das: viele kleine Lösungen, die sich summieren. Serrer: Außerdem muss man sich auch klarmachen, dass es mit dem Umstieg von Verbrennern auf Elektroautos allein nicht getan ist. Wenn diese E-Autos groß und schwer sind und wir darin mit 200 Stundenkilometern rumdüsen, ist das eine Stromverschwendung, die wir uns nicht leisten können. Denn unser Bedarf an Strom wird künftig stark steigen, wenn wir aus Verbrennern aussteigen, wenn die Industrie von Gas auf grünen Wasserstoff umsteigt und so weiter. Die Energiewende wird nur gelingen, wenn wir es zugleich schaffen, insgesamt viel weniger Energie zu verbrauchen.
Stichwort Energiewende: Noch steigen die weltweiten CO2-Emissionen immer weiter, trotz aller Klimakonferenzen. Können wir das Zwei-Grad-Ziel überhaupt noch erreichen?
Nelles: Wenn die Politik den Mut hat, den Leuten reinen Wein einzuschenken – denn sie müssen wissen, was auf sie zukommt. In den vergangenen Jahren hat da der Mut zur Ehrlichkeit gefehlt.
Serrer: Und wir müssen nun alles, was an Emissionseinsparungen machbar ist, auch möglichst schnell machen – in allen Bereichen der Gesellschaft gleichzeitig: Industrie, Gebäude, Mobilität, Ernährung, Landwirtschaft.
Klingt nach einer großen Herausforderung ...
Serrer: Ja. Was mich aber positiv stimmt, ist, dass sich klimafreundliche Alternativen inzwischen immer öfter auch wirtschaftlich lohnen. Wind- und Solarstrom beispielsweise sind heute weltweit günstiger als Strom aus fossilen Kraftwerken. Dazu hat übrigens auch Deutschland mit seiner EEG-Förderung beigetragen. Ein kleines Land kann also einen großen Unterschied machen. Das finde ich motivierend.
David Nelles, Christian Serrer: Machste dreckig – machste sauber. Die Klimalösung. Verlag Klimawandel. 125 Seiten, 10 Euro.