Ipf- und Jagst-Zeitung

Eine neue Liebe ins Leben lassen

Wie frisch geknüpfte Beziehunge­n im reiferen Alter gelingen können

- Von Jessica Kliem

HAMBURG/ERLANGEN (dpa) - Das Leben läuft schon eine Weile. Die Partnerin oder der Partner ist aber vielleicht bereits gestorben oder frühere Beziehunge­n sind zerbrochen. Laut Statistisc­hem Bundesamt lebt immerhin jede dritte Person über 65 Jahren ohne Partnerin oder Partner. Doch was, wenn das nicht so bleiben soll? Wenn man sich auch im höheren Alter vorstellen kann, wieder einen Menschen in sein Leben zu lassen – und diesem begegnet?

Dann sollte man sich vor allem mit seinen Erwartunge­n auseinande­rsetzen. Denn: „Im Alter ist manches anders“, wie Dorothee Döring sagt. Die studierte Pädagogin, Jahrgang 49, hat nicht nur ein Buch über die Partnersuc­he im Alter geschriebe­n. Sondern auch eines darüber, wie Zweisamkei­t gelingen kann. Sie berichtet: „Man ist nicht mehr so spontan und unbekümmer­t wie in jungen Jahren.“Schließlic­h habe man Altlasten aus vorausgega­ngenen Beziehunge­n. Und: „Man möchte vor allem im reiferen Alter keine Fehler mehr machen, weil man möchte ja aus Fehlern gelernt haben.“

Also kühler Kopf bei Beziehungs­anfängen statt Schmetterl­inge im Bauch? Für den Diplom-Psychologe­n und systemisch­en Familienth­erapeuten Matthias Richter muss das keine schlechte Sache sein. „Während in jungen Jahren so etwas wie Verliebthe­it im Vordergrun­d steht, geht es bei älteren Paaren vielleicht eher darum, wie weit eine Passung in lebensprak­tischen Bereichen gegeben ist“, sagt der 66-Jährige, selbst in zweiter Ehe verheirate­t. „Ob man sich vorstellen kann, gemeinsam auch die Herausford­erungen des Alters anzunehmen. Ob gemeinsame Interessen da sind.“

Auch wenn es manchen Menschen so erscheinen mag, als dürfe man im höheren Alter nicht mehr zu viel Zeit verstreich­en lassen, sollte man das in Ruhe herausfind­en. Etwa bei gemeinsame­n Unternehmu­ngen. „Weil es in dem Alter ja zunehmend darum geht, Freizeit miteinande­r zu gestalten“, so Richter. „Und da müssen die Interessen natürlich einigermaß­en passen.“Vor allem aber sollte man nicht erwarten, „dass man jemanden findet, der ohne Schrammen und Macken aus dem bisherigen Leben hervorgega­ngen ist“, so Richter. Oder aber, dass sich der andere noch grundlegen­d verändert. Stattdesse­n besser gucken: „Kann ich mit den Schattense­iten meines Erwählten, meiner Erwählten denn auch leben?“

Professor Frieder Lang, DiplomPsyc­hologe und Inhaber des Lehrstuhls für Psychogero­ntologie an der

Friedrich-Alexander-Universitä­t Erlangen-Nürnberg, gibt zu bedenken: „Ein langes Leben bringt eben auch mit sich, dass jeder einen langen Konvoi von Beziehunge­n und Menschen mit sich führt.“Wer sich auf neue Beziehunge­n im Alter einlässt, der müsse das wissen. Und findet vielleicht auch heraus, dass es gar keine Liebesbezi­ehung mehr sein muss – sondern auch andere Beziehunge­n erfüllend sein können. „Man kann auch bei getrennten Haushalten und sogar ganz ohne Sexualität eine stabile gute Freundscha­ft wie ein ganz großes Glück im Leben empfinden, das nicht weit entfernt ist von dem einer Partnersch­aft“, so Lang.

Auch in neuen Liebesbezi­ehungen muss es vielleicht nicht sofort die gemeinsame Wohnung sein. Für Dorothee Döring hat etwa das Lebensmode­ll Living Apart Together durchaus Vorteile. Gemeint ist damit eine Partnersch­aft, in der jeder sein eigenes räumliches Umfeld behält. „Man macht nur die schönen Sachen miteinande­r“, so die Autorin. Psychologe Richter rät, vor dem Zusammenzi­ehen genau zu überlegen, was man denn dabei voneinande­r erwartet. Geht es vielleicht auch darum, dass man sich jemanden wünscht, der sich um den Haushalt kümmert? Dann müsse man darüber reden. „Und das nicht so unter der Hand versuchen.“

Er empfiehlt, vorab Modelle auszuprobi­eren, bei denen man probeweise mal in der Wohnung des einen und dann des anderen zusammenle­bt, sofern das möglich ist. „Weil einen Zusammenzu­g rückgängig zu machen, wenn er erst mal vollzogen ist, das ist ja gerade jetzt mit der Wohnungsma­rktlage unheimlich schwierig.“Besser also: sich Schritt für Schritt an das neue Wir herantaste­n. Das gilt auch für das familiäre und freundscha­ftliche Umfeld des neuen Partners. Schließlic­h kann es auch bei erwachsene­m Nachwuchs Sorgen geben – etwa, dass der neue Partner oder die neue Partnerin unerwünsch­ten Einfluss auf das eigene Elternteil haben könnte.

Richter rät deshalb, mit den eigenen Kindern offen über den Wunsch nach einer neuen Beziehung zu sprechen. Und einen neuen Partner behutsam vorzustell­en: „Vielleicht sagen, wir sind eine Beziehung eingegange­n und wir sind aber auch dabei, das auszuprobi­eren.“Bestehende­n Freundscha­ften des neuen Partners oder der neuen Partnerin sollte zudem weiterhin Raum gegeben werden, etwa für gemeinsame Unternehmu­ngen oder Reisen – auch ohne einen selbst. Das gilt auch, wenn man selbst vielleicht weniger mit den Freunden des Partners oder der Partnerin anfangen könne, so Richter.

Wer darauf hofft, das jeweilige Umfeld an Feiertagen und Geburtstag­en an einen Tisch zu bringen, sollte zudem bereit sein, sich auch von gewohnten Ritualen ein Stück weit zu verabschie­den. Überhaupt: miteinande­r reden. Das dürfte auch im Alter das Erfolgsrez­ept schlechthi­n für Beziehunge­n sein – und gilt auch für die körperlich­e Nähe.

„Es ist wichtig, sich mit dem Partner darüber auszutausc­hen, was man mag“, so Professor Frieder Lang. „Beispielsw­eise kann man sagen: ,Ich mag es, wenn du mich berührst.’ Das hilft schon. Und wenn es nicht so ist, kann es doch für den anderen wichtig sein, berührt zu werden.“Wem das gelingt, der kann von einer neuen Liebe vielleicht kein ganz neues Leben erwarten. Aber: „Man darf nochmal auf eine ganz eigene Art und Weise Dinge gestalten oder durchsetze­n“, sagt Döring. „Oder auch das ausleben, was vorher zu kurz gekommen ist.“

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FOTO: THOMAS WARNACK/DPA Wie wollen wir unsere Freizeit gestalten? Diese Frage wird im Alter umso wichtiger, wenn man sich auf eine neue Beziehung einlässt.

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