Ipf- und Jagst-Zeitung

Was den Menschen zum Menschen macht

Svante Pääbo erhält für seine Forschung im Bereich der Paläogenet­ik den Nobelpreis für Medizin

- Von Walter Willems

STOCKHOLM/LEIPZIG (dpa) - Nur selten lässt sich der Beginn einer ganzen Forschungs­richtung auf einen einzelnen Wissenscha­ftler zurückführ­en. Bei Svante Pääbo, dem diesjährig­en Empfänger des Nobelpreis­es für Medizin, ist es so: Er gilt als Begründer der Paläogenet­ik, also der Erforschun­g prähistori­scher Arten anhand ihres Erbguts. Vor allem aber hat der Direktor am Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionä­re Anthropolo­gie (MPI-EVA) Rätsel zur Herkunft des Menschen geklärt, die noch vor Kurzem unlösbar schienen: Der Homo sapiens hat sich im Lauf der Evolution mit inzwischen ausgestorb­enen Menschenar­ten vermischt – und dabei Teile ihres Erbguts übernommen.

Pääbo sei ein „visionärer Wissenscha­ftler“, betont Jean-Jacques Hublin, ebenso wie Pääbo Gründungsd­irektor des Max-Planck-Instituts in Leipzig. Er sei Vater eines Forschungs­feldes, „das noch vor einer Generation undenkbar war“, und habe das Studium der menschlich­en Evolution revolution­iert.

Das überschwän­gliche Lob ist nicht übertriebe­n. Der 1955 in Stockholm geborene Pääbo hat das Erbgut des Neandertal­ers entschlüss­elt und mit dem Denisova-Menschen eine bis dato unbekannte weitere ausgestorb­ene Menschenar­t identifizi­ert. Doch die bahnbreche­ndste Erkenntnis ist, dass diese Verwandten des Homo sapiens teilweise in uns weiterlebe­n.

Denn diese drei Menschenar­ten zeugten miteinande­r Nachwuchs, und die meisten Menschen tragen Erbanlagen dieser Ahnen in sich. Bei Europäern stammen etwa ein bis zwei Prozent des Erbguts von Neandertal­ern, Ostasiaten tragen ein bis sechs Prozent Erbgut von DenisovaMe­nschen in sich. Der Gentransfe­r hat vielerlei Folgen, etwa für unser Aussehen, aber auch für unsere Gesundheit.

Beispiel Covid-19: Ein Team um Pääbo berichtete 2020 im Fachblatt „Nature“, dass eine von Neandertal­ern stammende Genvariant­e das Risiko für einen schweren Covid-19Verlauf etwa verdreifac­ht. Eine andere Neandertal­er-Variante dagegen mildere das Risiko für einen schweren Verlauf, berichtete­n Pääbo und Kollegen 2021 im Fachblatt „PNAS“. Die Bewohner des tibetische­n Hochplatea­us wiederum verdanken den Denisova-Menschen eine Variante des Gens EPAS1, die das Leben in großer Höhe ermöglicht.

Diese und andere Erkenntnis­se fußen auf einer eigens entwickelt­en Methode: dem Isolieren und Aufbereite­n uralter DNA. Denn Neandertal­er starben vor etwa 40 000 Jahren aus, Denisova-Menschen eventuell noch früher. Weil DNA schnell zerfällt und überdies durch zahllose andere Organismen kontaminie­rt wird – bis zu 99,9 Prozent des Erbguts können etwa von Bakterien und Pilzen stammen –, hielten es viele Forscher für ausgeschlo­ssen, das Erbgut ausgestorb­ener Menschenar­ten zu entschlüss­eln.

Schon als Doktorand an der Universitä­t Uppsala veröffentl­icht Pääbo – als Einzelauto­r – 1985 im Fachblatt „Nature“einen Text zum Erbgut einer ägyptische­n Mumie. Mitte der 1990er-Jahre, damals noch an der Universitä­t München, entschlüss­elt er

Neandertal­er-Erbgutsequ­enzen aus den Mitochondr­ien – den Kraftwerke­n der Zellen. Die Studie zeigt, dass Neandertal­er keine Vorfahren des Menschen waren, sondern Vettern.

Im Jahr 2010 stellen Pääbo und Kollegen Neandertal­er-DNA aus dem Zellkern vor. Der Abgleich mit dem Erbgut des Homo sapiens ergibt, dass die letzten gemeinsame­n Vorfahren beider Arten vor etwa 800 000 Jahre lebten. Weitere Vergleiche zeigen, dass bei Europäern und Asiaten ein bis zwei Prozent des Erbguts von Neandertal­ern stammt, nicht aber bei Afrikanern. Der Homo sapiens hatte sich also, so die Folgerung, nach dem Verlassen von Afrika mit den in Europa und Vorderasie­n lebenden Neandertal­ern vermischt. 2014 entschlüss­eln Pääbo und Kollegen das Neandertal­er-Genom fast komplett.

Schon zuvor, im Jahr 2012, identifizi­ert er aus Funden in einer Höhle in Sibirien eine weitere, bis dahin unbekannte Menschenar­t. Dieser Denisova-Mensch war eng verwandt mit den Neandertal­ern und hatte sich seinerseit­s ebenfalls mit dem Homo sapiens vermischt – und Spuren in dessen Erbgut hinterlass­en.

„Durch seine bahnbreche­nde Forschung hat Svante Pääbo eine völlig neue wissenscha­ftliche Disziplin begründet, die Paläogenet­ik“, schreibt das Nobelpreis-Komitee. „Pääbos Entdeckung­en haben eine einzigarti­ge Quelle erschlosse­n, die ausgiebig von der wissenscha­ftlichen Gemeinscha­ft genutzt wird, um Evolution und Wanderunge­n des Menschen besser zu verstehen.“Derzeit soll die Methode so verfeinert werden, dass auch ältere oder aus einem ungünstige­n Klima stammende DNA rekonstrui­ert werden kann.

Was kommt als Nächstes? Die genetische­n Unterschie­de zwischen Mensch und Neandertal­er seien bekannt, sagt Johannes Krause, ebenfalls Direktor am Leipziger MaxPlanck-Institut. Nun gelte es zu verstehen, was genau diese Veränderun­gen bewirken. „Das heißt: wirklich auf molekulare­r Ebene verstehen, was den Menschen zum Menschen macht.“Dies könne dazu beitragen, die Gründe für den Erfolg des Menschen in der Evolution zu verstehen.

 ?? FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA ?? Nachbildun­g eines älteren Neandertal­ers: Die meisten Menschen tragen Erbanlagen dieses und weiterer Ahnen in sich.
FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Nachbildun­g eines älteren Neandertal­ers: Die meisten Menschen tragen Erbanlagen dieses und weiterer Ahnen in sich.
 ?? FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA ?? Gilt als Begründer der Paläogenet­ik: Svante Pääbo, diesjährig­er Empfänger des Nobelpreis­es für Medizin.
FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA Gilt als Begründer der Paläogenet­ik: Svante Pääbo, diesjährig­er Empfänger des Nobelpreis­es für Medizin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany