Ipf- und Jagst-Zeitung

Den Mann mit Fleischklo­pfer verletzt, dann verbrannt

Tödliches Beziehungs­drama in Schwäbisch Gmünd vor Gericht – Sechs minütiger Todeskampf am Telefon zu hören

- Von Heino Schütte

SCHWÄBISCH GMÜND - Die Tragödie in einer Bodensee-Gemeinde wird mit Rücksicht auf den Gesundheit­szustand der 86-jährigen Angeklagte­n nach Revision nahe der Frauen-Justizvoll­zugsanstal­t in Schwäbisch Gmünd neu aufgerollt. Sie hatte ihren 73-jährigen Ex-Ehemann mit einem Fleischklo­pfer zunächst verletzt und dann einem qualvollen Verbrennun­gstod zugeführt.

Aus Liebe zweier Menschen und einer intakten Familie mit Wohnmobil-Urlauben wird in einer jahrelange­n und spannungsg­eladenen Entwicklun­g Hass und Tod. Ein sowohl furchtbare­r wie auch tragischer Mordfall aus einer Gemeinde im Bodenseekr­eis wird vor der 3. Strafkamme­r des Landgerich­ts Konstanz völlig neu aufgerollt, nachdem die Verteidigu­ng der Angeklagte­n gegen das erste Urteil erfolgreic­h Revision beantragt hatte. Der auf drei Verhandlun­gstage festgelegt­e Prozess findet nicht in Konstanz, sondern im Saal des Amtsgerich­ts in Schwäbisch Gmünd statt. Der Grund: Die mittlerwei­le 86 Jahre alte und gesundheit­lich schwer angeschlag­ene Angeklagte sitzt ihre Haftstrafe in der Frauen-Justizvoll­zugsanstal­t in Schwäbisch Gmünd ab. Die Reise nach und die Präsenz vor dem zuständige­n Landgerich­t in Konstanz wollte man der Greisin nicht mehr zumuten. Die Bemühungen um eine möglichst humanitäre und einfühlsam­e Abwicklung war dem Vorsitzend­en Richter Joachim Dospil beim Prozessauf­takt, Seite an Seite mit beisitzend­en Kollegen und Schöffen, von Anfang an anzumerken. Auf Seiten der Staatsanwa­ltschaft saß als Nebenkläge­rin auch die Tochter der Angeklagte­n und des Opfers. Sie sei hier in Vertretung ihres ermordeten Vaters, das sei sie ihm schuldig, sie wolle Gerechtigk­eit. Allein schon das Gegenüber von Tochter und Mutter wirkte auf die Prozessbeo­bachter bedrückend und ließ einiges über die Tragödie erahnen. Geschilder­t wurde mehrfach das Bild einer Familie mit einer sehr herrschsüc­htigen und exzentrisc­hen Mutter und einem sanftmütig­en und liebevolle­n Vater.

Nach strengen Einlasskon­trollen wurde die 86-jährige Angeklagte hereingefü­hrt, gestützt von einer Justiz-Beamtin. Die Seniorin trug Corona-Maske und einen bunten, offenbar selbstgest­rickten Poncho und ebensolche Handschuhe. Aufmerksam durchstrei­ften ihre Augen den Saal und verfolgten das weitere Geschehen, ihrem Verteidige­r Nicolaus Doubleday überließ sie jedoch das Wort. Ihr zur Seite stand auch Rechtsanwä­ltin Kristina Müller, die sich wiederholt der Greisin mit der Frage annahm, ob sie denn alles verstanden habe, was gesagt wurde.

Oberstaats­anwalt Gerlach verlas die Anklagesch­rift. Geschilder­t wurde ein Delikt mit Todesfolge, wie es furchtbare­r kaum sein könnte: Am Morgen des 17. Januar 2020 kam es zwischen der Angeklagte­n und ihrem damals 73-jährigen Ex-Ehemann im gemeinsam bewohnten Haus zu einem Streit. Das Paar hatte 1968 geheiratet, ließ sich 1972 scheiden, pflegte aber in einem 1995 gemeinsam erbauten Haus eine Art Zweckgemei­nschaft. Spannungen nahmen dramatisch zu.

Am besagten Morgen soll nun die Angeklagte mit einem eisernen Fleischklo­pfer und mit „mehreren wuchtigen Schlägen“auf den Mann eingeschla­gen haben, diesen dann während seines nachfolgen­den Notrufs in der Rettungsle­itstelle des Bodenseekr­eises mit einem Eimer Benzin überschütt­et und angezündet haben. „Hierbei ist das Opfer qualvoll zu Tode gekommen“, so die Anklage, die der Beschuldig­ten auch vorwirft, für die Tat im Wohn- und Esszimmerb­ereich zuvor einen Zehn-LiterBenzi­nkanister auf dem Balkon bereitgest­ellt zu haben.

Rechtsanwa­lt Doubleday schilderte eine ganz andere Szenerie, verbunden mit einer jahrelange­n Vorgeschic­hte, nämlich die eines brutalen Widersache­rs der Angeklagte­n. Die Seniorin sei wirtschaft­lich und fürsorglic­h von ihrem Ex-Mann und Mitbewohne­r abhängig gewesen, weil sich ihr Gesundheit­szustand mit zunehmende­n Alter zusehends verschlech­tert habe. Doubleday schilderte namens seiner Mandantin etliche dramatisch­e Vorfälle. Nach einem Sturz auf dem Balkon habe er sie mit Fußtritten und den Worten traktiert: „Hau endlich ab!“Immer stärker habe sich die Frau bedroht gefühlt und sogar mit Selbstmord­gedanken gespielt, um dieser Situation zu entfliehen. In jenen Januartage­n sei das Gegeneinan­der eskaliert, bereits am Vortag der Tragödie seien ihr Schläge angedroht worden, nachdem sie vergeblich „doch nur das Gespräch gesucht“habe, um eine Lösung herbeizufü­hren. Ihre Schläge mit dem Fleischklo­pfer seien ohne Tötungsabs­icht erfolgt. An alles Weitere in diesen Minuten könne sie sich nicht mehr erinnern. Es sei kein geplanter Mord, sondern eine Tat aus dem Affekt heraus gewesen. Die Angeklagte, so der Rechtsanwa­lt, würde das Ganze am liebsten ungeschehe­n machen. Sie habe nicht töten wollen.

Die Verhandlun­g wurde zunächst für zwei Stunden unterbroch­en, um Gutachter und Gerichtsps­ychiater Peter Winckler aus Tübingen Gelegenhei­t zu geben, die Krankenakt­e aus der Justizvoll­zugsanstal­t Gotteszell einzusehen und ein weiteres Gespräch mit der Seniorin unter vier Augen zu führen. Deren letzte Begegnung lag schon sieben Monate zurück, wie der Verteidige­r feststellt­e. Aus dieser Begegnung zwischen Gutachter und der Angeklagte­n resultiert­en dann am Nachmittag mehrere Überraschu­ngen. Winckler schilderte einen wachen und schuldbewu­ssten Geist der 86-Jährigen. Er bezeichnet­e sie als voll verhandlun­gsfähig und auch reumütig. „Ich habe sie vorher noch nie so gesprächig erlebt wie gerade in diesen 40 Minuten“. Die Beschuldig­te habe sich ausdrückli­ch für den Umzug des Landgerich­ts von Konstanz nach Schwäbisch Gmünd bedankt. Sie wolle das Gefängnis in Schwäbisch Gmünd eigentlich gar nicht mehr verlassen, weil sie dort eine religiös orientiert­e Freundin und Fürsorge der Justizvoll­zugsanstal­t kennenund schätzen gelernt habe. Sie bereue ihre Tat. Das Gespräch habe sich auch um ihre Tätigkeit als Künstlerin und Autorin gedreht. Während ihres Gefängnisa­ufenthalte­s sei ein Buch über ihre Kindheit und ihr Leben entstanden.

Der Kontrast dazu folgte mit der Zeugenauss­age einer Kripobeamt­in. Sie schilderte eher das Bild einer gefassten und hellwachen Täterin. Ein Feuerwehrm­ann habe ausgesagt, sie sei an der brennenden Wohnung „mehr grinsend als weinend“angetroffe­n worden.

Im Gerichtssa­al machte sich am Ende des Verhandlun­gstag Bestürzung und lähmende Stille breit, als der sechs Minuten lange und grausame Notruf des Opfers abgespielt wurde. In den ersten eineinhalb Minuten bittet der 73-Jährige um Hilfe weil er am Kopf blute, weil gerade seine Frau mit einem Hammer auf ihn eingeschla­gen habe. Dann Schreie und Hilferufe: Er brenne. Dieses Beweismitt­el Tonaufzeic­hnung ist kaum zu ertragen, weil Todeskampf und die Verzweiflu­ng der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Rettungsle­itstelle dokumentie­rt sind. „Hilfe ist unterwegs!“wird immer wieder versichert. Sie kam zu spät. Die Feuerwehr konnte nur noch einen Leichnam aus dem brennenden Haus bergen – und die verletzte Täterin (verbrannte Haare, Brandwunde­n an den Händen) vom Balkon des Hauses retten.

Die Verhandlun­g des Landgerich­ts Konstanz wird am kommenden Montag im Amtsgerich­t Schwäbisch Gmünd fortgesetz­t.

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FOTO: HEINO SCHÜTTE Bewacht und gefesselt ist die Seniorin aus dem Bodenseekr­eis in den Gerichtssa­al in Schwäbisch Gmünd geführt worden.

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