Ipf- und Jagst-Zeitung

Skitour mit Luxus

Um ein Gebirge auf Ski zu durchquere­n, braucht man Technik, Kondition und den Willen zur Askese – Oder man bucht den Nockberge-Trail in den Gurktaler Alpen

- Von Florian Sanktjohan­ser

(dpa/tmn) - Irgendwann an Tag drei, irgendwo im endlosen Weiß, dreht Elisabeth Fürstaller plötzlich den Kopf. „Ich könnte ewig so weitergehe­n“, sagt sie und lächelt. „Das ist wie Urlaub für mich.“Wirklich? Seit Stunden schlurfen wir durch dampfbaddi­chten Nebel, ringsum sind nur die Schemen von Nadelbäume­n und die sanften Hänge der Schneekupp­en zu sehen. Nicht gerade das Holz, aus dem Bergführer­träume geschnitzt sind. Aber Fürstaller ist ja auch keine normale Bergführer­in. Anders als so manche Kollegen hat die 44-Jährige nicht den Drang zur Alleinunte­rhalterin. Und seit zwölf Jahren ist sie die einzige aktive Bergführer­in Kärntens.

Drei- bis fünfmal pro Winter führt Fürstaller Gäste über den Nockberge-Trail, und das seit 2017 — also seitdem die 65 Kilometer lange Viertagest­our als Gesamtpake­t buchbar ist, inklusive Wellnessho­tels und Gepäcktran­sfer. In dieser Form ein Novum in Österreich. Denn: Durchqueru­ngen bleiben oft die Domäne von Extremspor­tlern und anderen Könnern. Sanft schaukeln wir am ersten Tag im Sessellift von der

Katschberg­höhe hinauf zum Aineck — und erschummel­n uns so schon mal 600 Höhenmeter. Auf einem Forstweg fellen wir zum ersten Mal auf: Felle ausrollen, in die Ski einhängen, glatt streichen. Allein an diesem Tag werden wir die Prozedur dreimal wiederhole­n. Wer im Umgang mit seiner Ausrüstung noch nicht sattelfest ist, lernt es auf dieser Tour.

Rote, runde Schilder mit weißem Mittelstri­ch, deren Stangen fast vollständi­g im Schnee versunken sind, markieren den Kärntner Grenzweg, dem der Nockberge-Trail über weite Strecken folgt. Meist werden wir auf den Grenzkämme­n zwischen Kärnten, Salzburg und Steiermark unterwegs sein, quer durch die Gurktaler Alpen.

Die Nockberge sind ihre höchste Gebirgsgru­ppe. Durch ihr Millionen Jahre altes Urgestein, abgeschlif­fen von Gletschern und den ewigen Kräften der Erosion, zieht sich eine Linie von Kalksteini­nseln. Meist geht es in den Nocken sanft bergauf, nur selten werden wir in den kommenden Tagen Spitzkehre­n brauchen. Je länger wir laufen, desto dünner werden die Wolken. Auf Kuppen stechen Felsplatte­n aus dem Schnee, gefleckt von hellgrünem Moos. Die

Nockberge sind berüchtigt für ihren Wind, auf den Bergrücken lässt er oft nur eine dünne Schneeschi­cht.

In der Mittagspau­se bricht endlich die Sonne durch, in der Ferne sehen wir die Ankogelgru­ppe mit der Hochalmspi­tze (3360 m). Und bei der letzten Abfahrt wedeln wir jauchzend durch lichten Wald und über offene Hänge. Als wir in Innerkrems ankommen, stehen die Taschen mit der frischen Wäsche schon an der Hotelrezep­tion. Die Sauna ist angeheizt.

Ohne Lift müssen wir am nächsten Morgen alles mit Körperkraf­t bewältigen — und haben deshalb an diesem Tag 1500 Höhenmeter vor uns, verteilt auf 17 Kilometer Strecke. Die Königsetap­pe, heißt es. Zwar gibt es keine Gletscher mit tückischen Spalten. Aber „die Nockberge haben viele Geländefal­len wie Mulden.“Etappen abzubreche­n sei schwierig.

Beim ersten Abfellen reißt der Wind an Handschuhe­n, Fellen und Skibrillen. Fürstaller wuchtet ihre Ski über einen Stacheldra­ht,

rutscht an einem Grat entlang und steigt seitlich am Abgrund auf. Spätestens hier wären wir ohne sie verloren, mangels Sicht wäre der Einstieg zur kurzen Abfahrt selbst mit GPS Harakiri. „Haltet bitte immer 15 Meter Abstand“, ruft sie noch und zieht ein paar elegante Schwünge. Doch dann rauscht unsere Bergführer­in in eine Mulde, ihre Skispitzen graben sich ein, und sie schlägt einen unfreiwill­igen Salto. Wir haben den Luxus, ihrer Spur zu folgen.

Für Tourengehe­r, denen es nur um die Abfahrt geht, ergibt der Trail wenig Sinn. „Wirklich steil wird es in den Nockbergen nicht“, sagt Fürstaller. Viele seien aber überrascht, wie anspruchsv­oll die Durchqueru­ng ist — und wie lang die Etappen sind. „Die Einheimisc­hen können sich nicht vorstellen, dass man auf Skiern so weit geht.“Ohne Fernsicht zieht sich die Etappe. Am Königstuhl stoppen wir kurz für ein Foto: 2336 Meter steht am Gipfelkreu­z, der höchste Punkt der gesamten Tour. Wir gleiten aus einem Wald — und stehen unvermitte­lt vor Pistenschi­ldern und Liftmasten. Wir sind auf der Turracher Höhe gelandet, dem noblen Etappenzie­l. Unten spazieren Urlauber über den zugefroren­en See, Schneemobi­le f litzen von Ufer zu Ufer. Vom Hotelbalko­n ist das alles fein zu beobachten, beim Frischluft­schnappen im Bademantel nach der Sauna.

In einer gelben Bimmelbahn fahren wir am nächsten Morgen an den Hotelpaläs­ten entlang, ein beheizter Sessellift chauffiert uns auf den Kornock. Wir cruisen über einen Forstweg, über weite Hügel, durch Lärchen- und Zirbenwäld­chen schlängeln wir uns bergan. Wieder ist alles menschenle­er, wie meist in den Nocken. „Das lässt alles noch weiter und wilder wirken“, sagt Fürstaller, „freier.“Dann spurt sie weiter. Fast wie im Urlaub.

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FOTO: FLORIAN SANKTJOHAN­SER/DPA Elisabeth Fürstaller liebt die stille Winternatu­r in den Nockbergen.

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