Keine Klimasünder im Wohnzimmer
Tannhäuser Gärtnereibesitzer widerspricht Jan Böhmermanns Kritik an Zimmerpflanzen
- „Wie uns Zimmerpf lanzen glücklich machen“, „Grüne Superhelden: Zimmerpflanzen fürs Wohlbefinden“oder „Mit Zimmerpflanzen kommt Natur ins Haus“– mit solchen oder ähnlichen Titeln aus deutschen Zeitungen hat der Satiriker Jan Böhmermann vor rund drei Wochen in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“abgerechnet. „Unsere Zimmerpf lanzen sind schlecht für die Natur. Aber anders als bei Lebensmitteln interessiert das hier niemanden“, deklamierte er in diesem Zusammenhang. „Niemand verlangt bei Zimmerpf lanzen so etwas wie ein Ökosiegel, weil Zimmerpf lanzen selbst aussehen wie eines.“Fokus seiner Argumentation lag dabei auf den langen Transportwegen, der aus seiner Sicht mangelhaften Rückverfolgbarkeit ihrer Herkunft sowie dem Einsatz von Torf in der Pf lanzenerde.
Gerhard Goldammer und seine Tochter Carmen Goldammer-Bereth, beide Inhaber der Gärtnerei Goldammer in Tannhausen, haben die Sendung gesehen und halten dagegen: So, wie der Handel mit Zimmerpf lanzen in der Sendung dargestellt wird, entspreche es nicht den Tatsachen. „Hinter allen Kritikpunkten steckt ein Thema, aber nicht in der Tragweite. Das ist fast schon lächerlich, wie das dargestellt wird“, sagt der Gärtner dazu.
Angefangen bei dem Weg der Pf lanze aus ihrem Herkunftsland bis zum Händler. Da auf den Pf lanzenpässen der grünen Exoten aus Brasilien, Costa Rica oder Ägypten jeweils nur der letzte Ort der Transportkette angegeben wird – beispielsweise Niederlande –, werde den Leuten ein falscher
Eindruck vermittelt. „Die ursprüngliche Herkunft der Pf lanze wird verschleiert“, wird dort in einem Fernsehausschnitt resümiert. Von Verschleiern könne allerdings keine Rede sein, ist Goldammer der Ansicht. Denn die Gärtnereien müssen auf Nachfrage durchaus Auskunft geben können, woher die Pf lanzen ursprünglich kommen. Auch verlassen die Pf lanzen ihre Heimat nicht ausgewachsen, sondern allenfalls als Jungpflanzen von ein paar Zentimetern Höhe oder gar als Steckhölzer. Zu Hunderttausenden werden sie so verschifft und in speziellen Großbetrieben in den Niederlanden oder auch am Niederrhein herangezogen. In diesen Größenordnungen sei der Energieund Kraftstoffverbrauch sowie die Transportkosten marginal. „Das verbrauchen Sie zigmal mehr, wenn Sie die Pflanze aus dem Geschäft mit ihrem eigenen Auto nach Hause transportieren“, so der Tannhäuser Gärtner. Im Vergleich dazu seien Lebensmittel wie Erdbeeren aus Spanien, Äpfel aus Neuseeland oder Himbeeren aus Marokko viel stärker belastet als jede Zimmerpf lanze.
Laut Goldammer verbraucht ein Weihnachtsstern in der Züchtung in etwa so viel wie die Herstellung von drei Tafeln Schokolade oder anderthalb Liter Bier. Auch seien die Jungpflanzenfirmen auf der Südhalbkugel oftmals Partnerbetriebe europäischer Großgärtnereien, die bessere klimatische Bedingungen zur Zucht der Pflanzen nutzen. Böhmermanns Aussage „Im tropischen Costa Rica wächst so eine Zimmerpf lanze natürlich viel besser als in Mitteleuropa“sei damit zwar richtig, aber eben verkürzt. Denn die Pflanzen verbringen nur einen kleinen Teil ihres Lebens in den tropischen Herkunftsländern. Wie von Böhmermann weiter ausgeführt, seien die Pflanzen in den niederländischen und deutschen Zuchtbetrieben danach zwar durchaus auf Kunstlicht und Wärme angewiesen, seit Jahren werde sich aber in diesem Bereich um grüne Energiealternativen wie Wärmespeicher, Solar oder den Einsatz von Biogas bemüht, hält Goldammer dagegen. In den vergangenen 14 Jahren sei so der Ausstoß an Kohlenstoffdioxid von Transport über Züchtung bis hin zur Verpackung der Pflanzen um rund 60 Prozent reduziert worden. Auch gelte: Je besser die Pf lanzen an Normal- statt Optimalbedingungen angepasst, beispielsweise bei kühleren Temperaturen herangewachsen sind, desto besser sind sie auf das Klima im heimischen Wohnzimmer vorbereitet und halten damit auch länger.
„Und auch die Erde, in der die Zimmerpf lanze steckt, ist oft nicht umweltfreundlich, denn die kommt zum großen Teil aus Mooren“, weitete Böhmermann seine Kritik an den aus seiner Sicht unterschätzten Klimasündern aus. Obwohl Moore laut einer in der Sendung zitierten WDR-Dokumentation doppelt so viel Kohlenstoff wie Wälder binden, werde daraus Torf zur Anreicherung der Blumenerde abgebaut und somit Treibhausgas freigesetzt. „Torf hat aber auch die gute Eigenschaft, dass er Wasser in der Erde hält. Würde man darauf verzichten, bräuchte die Pflanze auch viel mehr Wasser“, ergänzt Goldammer. Und die Pflanze selbst speichere in ihrer Lebenszeit ja auch wieder Kohlenstoff ein.
Nach Angaben des Gärtners schaffe es die Pflanze bei guter Pf lege, den Energieeinsatz bei der Züchtung durch die eigene Fotosynthese und die Produktion von Sauerstoff wieder auszugleichen – quasi wieder klimaneutral zu werden. „Es ist erstaunlich, wie die Belastung mit jedem Monat sinkt“, sagt Goldammer und betont daher: „Eine Pflanze sollte kein Wegwerfartikel sein. Denn je länger die Pf lanze lebt, desto größer wird der CO2-Speicher und desto besser die Klimabilanz.“
Goldammer rät Pf lanzenliebhabern außerdem, auf unnötige Verpackungen zu verzichten sowie bei Kräutern oder anderen Zierpflanzen auf regionale Produkte auszuweichen – um auch dort, wo es möglich ist, den ökologischen Fußabdruck wirklich so klein wie möglich zu halten.
Weitere Tipps verrät Carmen Goldammer-Bereth im Video unter www.schwaebische.de/regional/ostalb