Der Fall Franz von Bodman
Der Adelige aus Zwiefaltendorf war KZ-Arzt, Massenmörder und verdächtig des Brudermordes. Trotzdem erinnert im Riedlinger Ortsteil ein Ehrengrab an seine Familie und auch an ihn. Dagegen rührt sich Widerstand.
- Baronengrab nennt sich im Volksmund die Ruhestätte an der Nordseite der Kirche St. Michael in Zwiefaltendorf (Kreis Biberach). Ein überdachtes, drei Meter hohes Holzkreuz mit Jesus, flankiert von zwei Stelen aus Gauinger Marmor. Ein Familiengrab zu Ehren eines Seitenastes der Freiherren von Bodman. Der Jesus wurde von Peter Arnold, Zimmermeister und Chronist im Ort, vor zehn Jahren erneuert. „Alles war verfault, die Figur musste ich aufschneiden und reinleimen, den Kopf komplett neu machen“, erklärt er an diesem sonnigen Märztag. Dass an den Stelen auch etwas „faul“ist, bemerkte er damals nicht, zumal auch diese beizeiten erneuert wurden. Heute jedenfalls ist in den Marmor ein Name eingraviert, der für Verbrechen und Grausamkeit steht: „Dr. med. Franz Freiherr v. u. z. Bodman“, geboren 1909 in München, gestorben 1945 in St. Johann, Österreich. Von der Öffentlichkeit bisher kaum wahrgenommen, unter Geschichtsschreibern aber bekannt als KZ-Arzt. „Ein Nazi der schlimmsten Kategorie, der Tausende Menschen auf dem Gewissen hat“, sagt Arnold. „Und dann steht sein Name auf einem Ehrenmal? Das passt nicht zusammen.“
Dieser Ansicht ist auch Hans Petermann, der frühere Bürgermeister von Riedlingen lebt in Zwiefaltendorf und hat die Inschrift durch Zufall entdeckt. „Dieser Name sollte dort nicht stehen“, sagt der 75-Jährige. „Und wenn doch, dann nur mit einer Erläuterung über die Hintergründe.“Und die sind furchtbarer Natur.
Bodman ist ein altes und angesehenes Adelsgeschlecht am Bodensee. Nach Zwiefaltendorf kam der besagte Familienzweig durch eine Einheirat in die Adelsfamilie Speth. Franz von Bodman wuchs in dem Schloss auf zusammen mit seinem Bruder Rudolf, der später auf mysteriöse Weise ums Leben kam, sowie mit seiner Schwester Maria Sophie. Nach dem Abitur am Gymnasium Ehingen promovierte er 1934 in Tübingen zum Arzt. Schon zuvor NSDAPMitglied, trat er im selben Jahr auch der SS bei, in der er bis zum Obersturmbandführer aufstieg. Und sich damit für höhere Aufgaben der Nationalsozialisten empfahl.
So war Bodman 1942 Lagerarzt im KZ Auschwitz und soll dort eine „Initiative beim Morden“gezeigt haben. Laut dem NS-Historiker Ernst Klee („Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer“) ist er der Erfinder des Tötens von Häftlingen durch Injektionen mit Phenol, was zu Atemlähmung und Herzstillstand führt. Eine Praxis, die Bodman auch eigenhändig vornahm, wie frühere KZInsassen berichten. Orli Reichert, wegen ihrer Hilfsbereitschaft der „Engel von Auschwitz“genannt, beschreibt Bodman so: „Seine Hände waren die eines Schlächters und seine Augen waren kalte, mitleidlose Fenster.“Und der Häftlingsarzt Fritz Leo erinnert sich: „Ein kleiner, dicker Mann mit Glatze und Brille, hinter der seine bösartigen Augen funkelten.“
Nach Auschwitz agierte Bodman als Arzt in den Konzentrationslagern Natzweiler, Warschau, Lublin und Majdanek, in Neuengamme soll er an der Vergasung sowjetischer Kriegsgefangener mit Zyklon B mitgewirkt haben. In Vaivara in Estland ergaben Ermittlungen der Landesjustizverwaltung, dass er „maßgeblich an der Vernichtung polnischer und deutscher Juden beteiligt gewesen sein soll, insbesondere dadurch, das er mehrmals arbeitsunfähige Häftlinge ausgesucht und zur Exekution bestimmt haben soll“.
Gegen Ende des Krieges kam Bodman als Truppenarzt nach Österreich zur SS-Panzer-Division „Wiking“– und nahm sich am 25. Mai 1945 im Gefangenenlazarett in Markt Pongau das Leben. Beerdigt wurde er in Lend (Bezirk Salzburg), wo das Grab inzwischen Aufsehen erregt. Ausgelöst durch Die Linke im Deutschen Bundestag, die sich gegen die öffentlich finanzierte Grabpflege für KZKommandanten und NS-Verbrecher stellt – und bei Recherchen auf Bodmans Grab auf dem Ehrenfriedhof stieß. Seither will die Gemeinde die Grabstelle umgestalten, was bisher am Innenministerium scheitert, das offenbar Debatten fürchtet um die Gräber weiterer Kriegsverbrecher. Zweifel gibt es auch an der Donau in Oberschwaben.
„Die Stimmung im Dorf ist, die Sache besser totzuschweigen“, erklärt Hans Petermann, „das ist aus meiner Sicht aber der falsche Weg.“Die Zurückhaltung der Bürger erklärt sich auch aus der einstigen Bindung zu der adeligen Familie, die Holz und Grund besaß, die im Ort allgegenwärtig war. „Mit den Kindern von Franz sind wir groß geworden, man hatte freundschaftliche Beziehungen“, sagt Petermann, der sich noch an seine Erstkommunion erinnert: „Da gab es von der Frau Baronin fünf Mark.“Der Kommunalpolitiker
ist in direkter Nachbarschaft zum Schloss aufgewachsen. „In unserer Jugend war bekannt, dass Franz ein Naziverbrecher war, ohne Genaueres zu wissen. Meine Eltern haben gerätselt, ob er wie viele andere nach Südamerika gef lohen ist. Groß darüber reden wollte jedoch niemand.“Das gilt auch für Franz’ jüngeren Bruder Rudolf, womöglich Opfer eines Mordes.
Sein Name steht ebenfalls auf der Marmorstele auf dem Kirchfriedhof, Todesjahr 1938, Zwiefaltendorf. Gestorben infolge eines Fenstersturzes aus einem Erker des Schlosses, wie es hieß. Sein Hund habe ihn angefallen und ins Ohr gebissen, daraufhin sei er in die Tiefe gestürzt, behauptete sein Bruder Franz. Arthur Sauter, einst Bürgermeister von Zwiefaltendorf, ist der Sache nachgegangen, hat Erzählungen dokumentiert über Erbstreitereien und Tathergang. Darunter vom Nachbarn und Landwirt Paul Müller, der damals einen Schuss im Schloss gehört haben will. Und vor allem vom Briefträger Albert Arnold, der bei Rudolf die Totenwache hielt und demnach erklärte: „Wenn der Schwindel vorbei ist, dann rede ich auch.“Dazu sollte es aber nicht mehr kommen.
Anfang Februar 1945 wurde Arnold von der Gestapo abgeholt. Seiner Frau Theresia schrieb er: „Ich bin im Arrest in Reutlingen, mir geht es gut und nächste Woche werde ich in Pforzheim als Briefträger eingesetzt.“Schon bald darauf erhielt sie jedoch die Todesnachricht: „Albert Arnold, verstorben am 15. Februar 1945 in Pforzheim-Schönenfeld durch Fliegerangriff “. In Wirklichkeit sei er auf dem Huchenfeld durch
Gewehrschüsse hingerichtet worden, um einen Mordzeugen auszuschalten. Sauter ist noch heute überzeugt: „Rudolf von Bodman wurde aller Wahrscheinlichkeit nach von seinem Bruder Franz erschossen und zum Fenster im ersten Obergeschoss hinausgeworfen.“
Das hübsche Schloss direkt an der Donau, Nebengebäude, Wald und Grund haben die von Bodmans längst verkauft und Zwiefalten den Rücken gekehrt. Bis dahin gab es auch keinen Ärger mit der Familie, sagt Sauter – der einst der Witwe allerdings ein Anliegen ausschlagen musste. Dabei ging es um das geplante Kriegerdenkmal für die Gefallenen. Denn in Zwiefaltendorf war es nur wenige Tage vor Kriegsende noch zu heftigen Gefechten gekommen, 18 zumeist junge Wehrmachtsangehörige ließen ihr Leben. „Die Baronin kam zu mir und wollte, dass ihr Mann als Gefallener mit auf das Denkmal kommt.“Der KZ-Arzt, der Massenmörder, der sich in Österreich durch Suizid seiner Verantwortung entzogen hatte. Sauter konnte schließlich den Gemeinderat überzeugen, gegen den Eintrag zu stimmen.
Ihren Willen hat die Witwe im Nachhinein doch bekommen, wenn auch nicht auf dem Kriegerdenkmal auf der Südseite der Kirche, sondern der Marmorstele auf der Nordseite. Doch was tun mit der Namensgravur? Riedlingens Bürgermeister Markus Schafft hat sich mit der österreichischen Gemeinde Lend, wo das eigentliche Grab liegt, in Verbindung gesetzt. „Wenn man was machen will, sollte es an beiden Grabstätten analog geschehen, dann ist es verständlich und authentisch“, sagt Schafft, der sich außerdem mit dem Kirchengemeinderat abstimmen will, der über den Friedhof verfügt. Denkbar wäre an beiden Orten eine Informationstafel, die über die Taten des Franz von Bodman aufklärt, ein passender Ansatz, wie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge bestätigt.
Dagegen hätte auch Johannes von Bodman nichts, der das ursprüngliche Familiengut in Ludwigshafen-Bodman leitet, das der Bruder seines Urgroßvaters einst Richtung Zwiefaltendorf verließ. „Dieser Franz von Bodmann hat furchtbare Taten während der NS-Diktatur begangen. Das ist uns bewusst und wir gehen offen damit um“, erklärt Johannes von Bodman der „Schwäbischen Zeitung“. „Deshalb sind wir auch einverstanden mit entsprechenden auf klärenden Hinweisen.“Eine endgültige Entscheidung darüber können allerdings nur die Nachfahren, also die Kinder von Franz von Bodmann treffen.
Peter Arnold, Hans Petermann und Arthur Sauter wären froh über eine solche Lösung, froh über eine gelebte Erinnerungskultur in ihrer Heimat. „Man legt ja gerne und zurecht Gedenksteine für ehemalige jüdische Mitbürger. Aber um das Thema Täter wird ein Bogen gemacht, um die Nachkommen nicht zu beschädigen und die eigene Herkunft nicht in einem schlechten Licht zu sehen“, sagt Petermann. „Das sind aber falsche Befürchtungen.“
Chronist Arnold nickt. „Es ist ja alles geschehen. Für die Gegenwart und die Zukunft können wir nur daraus lernen.“Und auch soll niemand behaupten können, in Zwiefaltendorf wäre etwas faul.