Ipf- und Jagst-Zeitung

Mit Jesus verliert die Gewaltlogi­k der Welt ihre Dominanz

- Von Sandra Mehrl, Pfarrerin und Militärdek­anin ●

Im Alltag sind Ärger und Konflikte programmie­rt. An allen Ecken und Enden „menschelt“es. Wie kann jemand nur so gemein, gedankenlo­s oder hinterhält­ig sein?! So ein Verhalten ist unterste Schublade! Gedanken, die wir alle kennen. Oft frage ich mich: Wie soll ich reagieren? Wie kann ich mich wehren? Es gibt mehrere Möglichkei­ten.

Ich könnte das Vorgefalle­ne einfach ignorieren. So spare ich mir die offene Auseinande­rsetzung. Aber eines zeigt sich dabei: Unsere Beziehung ist mir nicht so wichtig, dass ich eine Klärung möchte. Das Problem könnte sein: Im Untergrund gärt es irgendwann doch. Ein schlechtes Gefühl bleibt.

Eine zweite Möglichkei­t ist Vergeltung. Mit gleicher Münze heimzuzahl­en. Ich lasse mir nichts gefallen. Ich hoffe, dass der andere aus Schmerzen lernt und kapiert, dass er so nicht mit mir umgehen kann! Problem: Wenn er sich wieder zurückräch­t dreht sich das Rad der Verletzung­en immer weiter.

Es gäbe auch noch einen dritten Weg. Das ist der Weg der stummen Anklage und des Nichtverge­ssens. Er hält das erlittene Unrecht am Leben, indem ich immer wieder daran denke. Mitunter hält das Nachtragen sehr lange, vielleicht sogar über Generation­en. Diese Möglichkei­ten sind allgemein bekannt und alltäglich. Sie können im Privatlebe­n und global begangen werden. So unterschie­dlich sie sind, haben sie doch eine Gemeinsamk­eit: Das Unrecht bleibt in der Welt. Es ist in der Erinnerung präsent. Wie ein unaufgeräu­mter Keller, vollgestel­lte Räume. Ein dunkles Fundament unserer Lebensräum­e.

Dieser Freitag ist Karfreitag. Dieser besondere Feiertag hat viele Aspekte und manche Menschen begegnen ihm mit Skepsis oder Ablehnung. Ich kann gar nicht alle Blickwinke­l benennen oder dafür Rede und Antwort stehen.

Stattdesse­n möchte ich Ihnen etwas erzählen: Eines Tages komme ich am Karfreitag mit einer neuen Kiste, angefüllt mit ungelöstem Ärger und aufgestaut­er Wut in meinen vollgestel­lten Keller und schalte mit dem Ellbogen das Licht an. Es ist ungefähr um die sechste Stunde. Draußen wird es schon dunkel, obwohl es mitten am Tag ist. Merkwürdig, oder? Als das Licht angeht, bemerke ich zwei Dinge. Zum einen ist der Keller plötzlich leer und zum andern steht da ein langhaarig­er, hagerer junger Mann und streckt seine Arme aus. „Das alles kannst du mir auch gleich noch geben!“, sagt er und greift nach der Kiste in meinen Händen. Ich bin sonst schlagfert­ig, aber jetzt bin ich so überrascht, dass mir nichts einfällt. „Ich kenne eine Möglichkei­t, wie dein Keller hier leer bleibt …“, sagt er in die Stille.

Karfreitag stirbt Jesus. So erzählt es die Bibel. Dieser Tod eröffnet denen, die an ihn glauben, eine neue Möglichkei­t. Mit Jesus stirbt die Beschränku­ng auf die herkömmlic­hen Möglichkei­ten, mit Unrecht umzugehen. Mit Jesus verliert die Gewaltlogi­k der Welt ihre Dominanz und Liebe wird möglich. Die Lösungsans­ätze von Vergeltung, nachtragen oder verdrängen, kommen an ihr Ende. Leid und Verletzung, die uns zugefügt werden können wir nun vergeben. Weil durch Jesus die Sünde ihre Macht verloren hat. Nichts wird ungeschehe­n dadurch. Nichts wird zugedeckt. Dafür wird aufgeräumt, wo ich als Mensch nicht die Kraft dazu habe.

Karfreitag ist mein Rettungsan­ker in diesen Zeiten, wo mich Gewalt und Krieg in Gedanken bedrängen. Überall auf der Welt beklagensw­erte Zustände. Und auf viele Probleme weiß ich keine Lösung. Alles ist so komplex und verflochte­n. Manchmal möchte man auswandern oder der Welt den Rücken zukehren, alles hinschmeiß­en, so schwierig scheint die Gegenwart.

In meinem Keller steht der Mann mit meiner letzten Kiste in der Hand. Wir sehen uns an. „Wie soll ich jetzt weitermach­en?“, frage ich. Ich hatte mich auf ein paar Stunden hier unten eingestell­t und wollte mir all das alte Gerümpel vornehmen. „Wie wäre es mit leben? Ab heute versöhnlic­her und unbeschwer­ter?“, fragt er. Ich zögere erst, sage dann: „Ok! Aber soll ich dir jetzt nicht besser die letzte Kiste abnehmen? Du musst doch erschöpft sein, wenn du schon alles von da unten weggebrach­t hast. Die will ich dir nicht auch noch zumuten!“„Ach lass mal!“, entgegnet er. „Warum tust du das?“, frage ich. Und während er auf die Treppe zugeht flüstert er hörbar: „Weil ich dich kenne und trotzdem liebe.“

Als ich nach oben komme nehme ich verschiede­ne Gefühle in mir wahr. Ein bisschen ungläubig, etwas beschämt, irritiert und verwirrt bin ich. Oben ist es hell und warm. Angesichts des Lichtes beschließe ich einfach mal dankbar zu sein. Was den Keller betrifft, habe ich doch ganz neue Möglichkei­ten. Die Erinnerung an meinen alten Müll ist zwar noch präsent. Aber es gibt jetzt auch viel Raum für etwas ganz Neues. Ich könnte auch besseres Licht installier­en. Ein Satz von Jesus fällt mir ein: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, irrt nicht mehr in der Finsternis umher. Vielmehr wird er das Licht des Lebens haben.“

In diesem Licht erkennen wir die Möglichkei­ten, die Jesu Stellvertr­etung für uns eröffnet. In allen Schwierigk­eiten und aller Not, in denen wir Menschheit mit unseren Möglichkei­ten an Grenzen stoßen. Da gibt es die, die gesetzt sind, wie der Tod. Doch es gibt viele Grenzen, die wir selbst aufrichten. Das sind die zwischen Menschen, die aus Hass, Angst oder Habgier entstehen. Jesu Tod bedeutet, dass er alles Unrecht, Schuld und Schmerz verarbeite­t und überwindet. Er gibt es nicht an uns zurück. Er schleppt die Kisten weg. Trägt das Leid mit. Wir werden weder gefragt, noch ob wir das wollen oder ob wir es unserer Ansicht nach brauchen. Es reicht, dass es Gottes Wille ist. Er sieht für uns nur diese Möglichkei­t. Doch so haben wir letztlich die Hände frei für Liebe und Versöhnung.

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FOTO: ERNST WEINGARTNE­R/IMAGO Das Schwedenkr­euz am Mainausteg der Blumeninse­l Mainau am Bodensee. Der Name des Kreuzes geht auf die schwedisch­e Herrschaft­szeit während des Dreißigjäh­rigen Krieges (1618-1648) zurück.
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FOTO: GINA SEEGERT/BUNDESWEHR Militärdek­anin Sandra Mehrl.

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