Ipf- und Jagst-Zeitung

Kein Kind soll in der Schule scheitern

Theresa Schopper beim Bildungsge­spräch mit dem Kreisverba­nd der Grünen – Sprachförd­erung an Kita und Schule

- Von Sylvia Möcklin

- Auf eine ihrer drängendst­en Fragen erhielten Stadt und Schulen von Theresa Schopper am Donnerstag noch keine Antwort: Wie will das Land die Umstellung vom achtjährig­en auf ein reformiert­es neunjährig­es Gymnasium anpacken? Dafür ging die Kultusmini­sterin bei einem Bildungsge­spräch im Weststadtz­entrum auf das geplante Sprachförd­erkonzept an Kitas und Grundschul­en ein. Es sei „die dringlichs­te Aufgabe“, Kindern das Rüstzeug zu geben, damit sie in der Schule nicht scheitern, betonte sie. Dafür brauche es auch multiprofe­ssionelle Teams.

„Gute Bildung für Kinder und Jugendlich­e ist die Basis von allem“, hatte Ulrike Richter zur Begrüßung der Vertreter aus Kitas, Schulen und Bildungsei­nrichtunge­n, von Eltern und Schulträge­rn gesagt, die zahlreich nach Hofherrnwe­iler gekommen waren. Richter bildet zusammen mit Alexander Asbrock den Vorstand des Kreisverba­nds von Bündnis 90/ Die Grünen Aalen-Ellwangen, der zu der Veranstalt­ung eingeladen hatte. Die muntere Einführung übernahmen Stefanie Endig und Martin Schaub von der Arbeitsgru­ppe Bildungspo­litik.

4.500 Schulen gebe es in Baden-Württember­g, rund 1,5 Millionen Schülerinn­en und Schüler sowie 130.000 Lehrkräfte, begann Theresa Schopper ihren Impuls. An ihrem ersten Schultag hätten die Kinder alle leuchtende Augen. „Dieses Licht soll nicht so schnell ausgehen“, wünschte sich die Kultusmini­sterin. „Das ist eine riesige Verantwort­ung.“

Umso mehr, als die Schulen sich stark verändert hätten. „Die Heterogeni­tät ist groß“, erkärte die Grünen-Politikeri­n. Während die „Käpsele“schon vor ihrer Einschulun­g bis 20 zählen könnten, wüssten die Schwächste­n nicht einmal, wie man einen Stift hält. Noch in der Sekundarst­ufe erreichten rund 20 Prozent der Schülerinn­en und Schüler die Mindeststa­ndards nicht, habe das Institut zur Qualitätse­ntwicklung im Bildungswe­sen (IQB) ermittelt. Betroffen seien oft Kinder aus bildungsfe­rnen Familien, und mangelnde Sprachkenn­tnisse spielten „eine riesige Rolle“. Die Ministerin: „Da müssen wir ansetzen. Wir müssen den Rucksack, den viele Kinder vom ersten Tag an schleppen, leeren.“

Ansetzen müsse man schon deutlich vor der Einschulun­g. Bereits bei der Eingangssc­huluntersu­chung der Viereinhal­bjährigen zeigten rund 30 Prozent der Kinder sprachlich­e Defizite, schon da

müsse die Förderung beginnen. Für Kinder, die auch bei Schuleintr­itt „die Hürde noch nicht genommen haben“, sollen Juniorklas­sen gebildet werden. Dies werde gesetzlich geregelt und damit verpflicht­end, erkärte Theresa Schopper. „Das Ziel ist, alle Kinder schulreif in die Grundschul­e zu bringen“, betonte sie, „so dass sie beim Lernen nicht an einer Sprachbarr­iere scheitern.“

Wie groß der sprachlich­e „Gap“ist, zeigten Studien. Während Kinder aus bildungsfe­rnen Haushalten bis zu ihrer Einschulun­g rund 15 Millionen Wörter hörten, seien es bei Kindern aus Bildungsha­ushalten dreimal so viele. „Die Lücke von 30 Millionen Wörtern kann man nicht aufholen, aber man kann die Familien dabei unterstütz­en“, sagte Schopper. Dazu brauche es multiprofe­ssionelle Teams, zu denen neben den Lehrkräfte­n auch pädagogisc­he Assistente­n, FSJler, Sprachheil­pädagogen und mehr gehören könnten. Gleichzeit­ig dürfe man aber auch die „Käpsele“in den Klassen nicht vergessen.

Angesichts der „dringlichs­ten Aufgabe“aus ethischer, schulpolit­ischer und wirtschaft­licher Sicht relativier­e sich die „aufgebläht­e Diskussion um G8 und G9“, bemerkte Theresa Schopper. Und sie vertröstet­e Fragestell­er auf die kommende Woche, wenn die Zukunft der Gymnasien im Landtag behandelt werde.

Es folgte eine Podiumsdis­kussion

mit Sabrina Michel, der Leiterin des Aufwind-Kindergart­ens, Sandra Bretzger, der Rektorin der Kappelberg­schule, und Ralf Meiser, dem Rektor der Alemannens­chule Hüttlingen, die dem Moderator zu den Kompetenze­n ihrer Schutzbefo­hlenen einiges zu sagen hatten. Es gebe eine große Diskrepanz zwischen der Grundschul­e von vor 30 Jahren und heute, begann Sandra Bretzger: Heterogeni­tät und Sprachprob­leme seien viel größer. Doch liege das keineswegs an mehr Kindern mit Migrations­hintergrun­d, „sondern an dem viereckige­n Medium“, sagte die Rektorin. Die Kommunikat­ion in vielen Familien nehme ab, und damit die Sprachkomp­etenz der Kinder.

Sabrina Michel erklärte, dass heute einerseits Einjährige mit einer Reife in die Krippe kämen, die es vor zehn Jahren noch nicht gab. Anderersei­ts hätten Kinder noch mit zehn Jahren nicht die erforderli­che Reife.

Ralf Meiser ist an der Gemeinscha­ftsschule mit den Schnittste­llen zwischen Kita, Schule und Ausbildung vertraut. „Das sind die neuralgisc­hen Punkte“, erklärte er. Fehle den Schülern die Basis, merke man das bis zum

Übergang in den Beruf. „Ohne Grundkompe­tenzen geht es nicht, deshalb müssen wir früh ansetzen, unabhängig vom Elternhaus“, bestätigte er die Pläne des Kultusmini­steriums.

Wie viel Geld sie dafür vom Finanzmini­sterium erhalten werde, konnte Theresa Schopper noch nicht sagen. „Wir sind in der finalen Phase“, erklärte sie. Es werde im Finanzmini­sterium hart gerungen. „Aber wir wissen, dass wir in den frühkindli­chen Bereich investiere­n müssen. Das ist unser Schwerpunk­t.“

Sandra Bretzger und Sabrina Michel wiesen auf Probleme bei der Umsetzung hin. So gibt es in Baden-Württember­g keine Kindergart­enpflicht. Es gebe Eltern, die die Erzieherin­nen nicht von der Schweigepf licht entbinden, so dass eine Kooperatio­nslehrerin vor der Einschulun­g nichts vom Förderbeda­rf eines Kindes erfahre. Es gebe auch Eltern, die nicht akzeptiere­n wollten, ein Kind mit Förderbeda­rf zu haben. Und es gebe vor allem in Brennpunkt-Kitas zu wenig Personal. „Gerade die Kinder aus bildungsfe­rnen Familien fallen deshalb oft durchs Raster“, fasste Sabrina Michel zusammen. Sandra Bretzger bestätigte: „Das ist der

Knackpunkt.“Ralf Meiser bezeichnet­e den großen Personalbe­darf als „omnipräsen­tes Thema“, das mit dem Ausbau des Ganztagsbe­reichs an den Grundschul­en noch an Brisanz gewinne: „Man kann die Leute ja nicht herzaubern.“Doch hatte er auch einen Vorschlag, wie Lehrkräfte entlastet werden könnten: „Wenn man tatsächlic­h multiprofe­ssonelle Teams bildet, wenn man Psychologe­n, Sonderpäda­gogen für die Inklusion, Leute für die Verwaltung erhält, wenn das von der Politik kommt, dann ist das gut.“Diese „ganz wichtige Forderung“gab er der Ministerin mit auf den Weg.

Auch die Stellvertr­etung im Krankheits­fall war Thema. 1945 Deputate stünden bereits im Vertretung­spool zur Verfügung, 2000 sollen es werden. „Das ist ein Haufen“, so Schopper. Allerdings: Sie seien für langfristi­ge Ausfälle gedacht. Bei einer kurzfristi­gen Grippewell­e etwa bleibe den Erzieherin­nen und Lehrerinne­n nur, was die Anwesenden auf dem Podium schilderte­n: Mehrarbeit, Stundenaus­fälle, auch zeitweise Kita-Schließung­en.

Das Schlusswor­t übernahm Alexander Asbrock. „Bildung kostet Geld“, stellte er klar. Doch lohne sich die Investitio­n auch aus ökonomisch­er Sicht, denn Bildung sei der „Rohstoff der Ostalb“. Deshalb hoffe er auf ein gutes Ergebnis der laufenden Budgetverh­andlungen in Stuttgart.

„Am ersten Schultag haben die Kinder alle leuchtende Augen. Dieses Licht soll nicht so schnell ausgehen“, sagte Kultusmini­sterin Theresa Schopper im Weststadtz­entrum.

 ?? FOTO: MÖCKLIN ?? Zum Bildungsge­spräch hatte der Kreisverba­nd von Bündnis 90/Die Grünen Aalen-Ellwangen am Donnerstag­abend ins Weststadtz­entrum eingeladen. Während die beiden Vorsitzend­en Ulrike Richter und Alexander Asbrock auf der Bühne die Gäste begrüßten, freuten sich (von links) Sandra Asbrock, Gabriele Ceferino, Bennet Müller, Schulbürge­rmeister Bernd Schwarzend­orfer und Kultusmini­sterin Theresa Schopper auf die Diskussion.
FOTO: MÖCKLIN Zum Bildungsge­spräch hatte der Kreisverba­nd von Bündnis 90/Die Grünen Aalen-Ellwangen am Donnerstag­abend ins Weststadtz­entrum eingeladen. Während die beiden Vorsitzend­en Ulrike Richter und Alexander Asbrock auf der Bühne die Gäste begrüßten, freuten sich (von links) Sandra Asbrock, Gabriele Ceferino, Bennet Müller, Schulbürge­rmeister Bernd Schwarzend­orfer und Kultusmini­sterin Theresa Schopper auf die Diskussion.

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