Kein Kind soll in der Schule scheitern
Theresa Schopper beim Bildungsgespräch mit dem Kreisverband der Grünen – Sprachförderung an Kita und Schule
- Auf eine ihrer drängendsten Fragen erhielten Stadt und Schulen von Theresa Schopper am Donnerstag noch keine Antwort: Wie will das Land die Umstellung vom achtjährigen auf ein reformiertes neunjähriges Gymnasium anpacken? Dafür ging die Kultusministerin bei einem Bildungsgespräch im Weststadtzentrum auf das geplante Sprachförderkonzept an Kitas und Grundschulen ein. Es sei „die dringlichste Aufgabe“, Kindern das Rüstzeug zu geben, damit sie in der Schule nicht scheitern, betonte sie. Dafür brauche es auch multiprofessionelle Teams.
„Gute Bildung für Kinder und Jugendliche ist die Basis von allem“, hatte Ulrike Richter zur Begrüßung der Vertreter aus Kitas, Schulen und Bildungseinrichtungen, von Eltern und Schulträgern gesagt, die zahlreich nach Hofherrnweiler gekommen waren. Richter bildet zusammen mit Alexander Asbrock den Vorstand des Kreisverbands von Bündnis 90/ Die Grünen Aalen-Ellwangen, der zu der Veranstaltung eingeladen hatte. Die muntere Einführung übernahmen Stefanie Endig und Martin Schaub von der Arbeitsgruppe Bildungspolitik.
4.500 Schulen gebe es in Baden-Württemberg, rund 1,5 Millionen Schülerinnen und Schüler sowie 130.000 Lehrkräfte, begann Theresa Schopper ihren Impuls. An ihrem ersten Schultag hätten die Kinder alle leuchtende Augen. „Dieses Licht soll nicht so schnell ausgehen“, wünschte sich die Kultusministerin. „Das ist eine riesige Verantwortung.“
Umso mehr, als die Schulen sich stark verändert hätten. „Die Heterogenität ist groß“, erkärte die Grünen-Politikerin. Während die „Käpsele“schon vor ihrer Einschulung bis 20 zählen könnten, wüssten die Schwächsten nicht einmal, wie man einen Stift hält. Noch in der Sekundarstufe erreichten rund 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Mindeststandards nicht, habe das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) ermittelt. Betroffen seien oft Kinder aus bildungsfernen Familien, und mangelnde Sprachkenntnisse spielten „eine riesige Rolle“. Die Ministerin: „Da müssen wir ansetzen. Wir müssen den Rucksack, den viele Kinder vom ersten Tag an schleppen, leeren.“
Ansetzen müsse man schon deutlich vor der Einschulung. Bereits bei der Eingangsschuluntersuchung der Viereinhalbjährigen zeigten rund 30 Prozent der Kinder sprachliche Defizite, schon da
müsse die Förderung beginnen. Für Kinder, die auch bei Schuleintritt „die Hürde noch nicht genommen haben“, sollen Juniorklassen gebildet werden. Dies werde gesetzlich geregelt und damit verpflichtend, erkärte Theresa Schopper. „Das Ziel ist, alle Kinder schulreif in die Grundschule zu bringen“, betonte sie, „so dass sie beim Lernen nicht an einer Sprachbarriere scheitern.“
Wie groß der sprachliche „Gap“ist, zeigten Studien. Während Kinder aus bildungsfernen Haushalten bis zu ihrer Einschulung rund 15 Millionen Wörter hörten, seien es bei Kindern aus Bildungshaushalten dreimal so viele. „Die Lücke von 30 Millionen Wörtern kann man nicht aufholen, aber man kann die Familien dabei unterstützen“, sagte Schopper. Dazu brauche es multiprofessionelle Teams, zu denen neben den Lehrkräften auch pädagogische Assistenten, FSJler, Sprachheilpädagogen und mehr gehören könnten. Gleichzeitig dürfe man aber auch die „Käpsele“in den Klassen nicht vergessen.
Angesichts der „dringlichsten Aufgabe“aus ethischer, schulpolitischer und wirtschaftlicher Sicht relativiere sich die „aufgeblähte Diskussion um G8 und G9“, bemerkte Theresa Schopper. Und sie vertröstete Fragesteller auf die kommende Woche, wenn die Zukunft der Gymnasien im Landtag behandelt werde.
Es folgte eine Podiumsdiskussion
mit Sabrina Michel, der Leiterin des Aufwind-Kindergartens, Sandra Bretzger, der Rektorin der Kappelbergschule, und Ralf Meiser, dem Rektor der Alemannenschule Hüttlingen, die dem Moderator zu den Kompetenzen ihrer Schutzbefohlenen einiges zu sagen hatten. Es gebe eine große Diskrepanz zwischen der Grundschule von vor 30 Jahren und heute, begann Sandra Bretzger: Heterogenität und Sprachprobleme seien viel größer. Doch liege das keineswegs an mehr Kindern mit Migrationshintergrund, „sondern an dem viereckigen Medium“, sagte die Rektorin. Die Kommunikation in vielen Familien nehme ab, und damit die Sprachkompetenz der Kinder.
Sabrina Michel erklärte, dass heute einerseits Einjährige mit einer Reife in die Krippe kämen, die es vor zehn Jahren noch nicht gab. Andererseits hätten Kinder noch mit zehn Jahren nicht die erforderliche Reife.
Ralf Meiser ist an der Gemeinschaftsschule mit den Schnittstellen zwischen Kita, Schule und Ausbildung vertraut. „Das sind die neuralgischen Punkte“, erklärte er. Fehle den Schülern die Basis, merke man das bis zum
Übergang in den Beruf. „Ohne Grundkompetenzen geht es nicht, deshalb müssen wir früh ansetzen, unabhängig vom Elternhaus“, bestätigte er die Pläne des Kultusministeriums.
Wie viel Geld sie dafür vom Finanzministerium erhalten werde, konnte Theresa Schopper noch nicht sagen. „Wir sind in der finalen Phase“, erklärte sie. Es werde im Finanzministerium hart gerungen. „Aber wir wissen, dass wir in den frühkindlichen Bereich investieren müssen. Das ist unser Schwerpunkt.“
Sandra Bretzger und Sabrina Michel wiesen auf Probleme bei der Umsetzung hin. So gibt es in Baden-Württemberg keine Kindergartenpflicht. Es gebe Eltern, die die Erzieherinnen nicht von der Schweigepf licht entbinden, so dass eine Kooperationslehrerin vor der Einschulung nichts vom Förderbedarf eines Kindes erfahre. Es gebe auch Eltern, die nicht akzeptieren wollten, ein Kind mit Förderbedarf zu haben. Und es gebe vor allem in Brennpunkt-Kitas zu wenig Personal. „Gerade die Kinder aus bildungsfernen Familien fallen deshalb oft durchs Raster“, fasste Sabrina Michel zusammen. Sandra Bretzger bestätigte: „Das ist der
Knackpunkt.“Ralf Meiser bezeichnete den großen Personalbedarf als „omnipräsentes Thema“, das mit dem Ausbau des Ganztagsbereichs an den Grundschulen noch an Brisanz gewinne: „Man kann die Leute ja nicht herzaubern.“Doch hatte er auch einen Vorschlag, wie Lehrkräfte entlastet werden könnten: „Wenn man tatsächlich multiprofessonelle Teams bildet, wenn man Psychologen, Sonderpädagogen für die Inklusion, Leute für die Verwaltung erhält, wenn das von der Politik kommt, dann ist das gut.“Diese „ganz wichtige Forderung“gab er der Ministerin mit auf den Weg.
Auch die Stellvertretung im Krankheitsfall war Thema. 1945 Deputate stünden bereits im Vertretungspool zur Verfügung, 2000 sollen es werden. „Das ist ein Haufen“, so Schopper. Allerdings: Sie seien für langfristige Ausfälle gedacht. Bei einer kurzfristigen Grippewelle etwa bleibe den Erzieherinnen und Lehrerinnen nur, was die Anwesenden auf dem Podium schilderten: Mehrarbeit, Stundenausfälle, auch zeitweise Kita-Schließungen.
Das Schlusswort übernahm Alexander Asbrock. „Bildung kostet Geld“, stellte er klar. Doch lohne sich die Investition auch aus ökonomischer Sicht, denn Bildung sei der „Rohstoff der Ostalb“. Deshalb hoffe er auf ein gutes Ergebnis der laufenden Budgetverhandlungen in Stuttgart.
„Am ersten Schultag haben die Kinder alle leuchtende Augen. Dieses Licht soll nicht so schnell ausgehen“, sagte Kultusministerin Theresa Schopper im Weststadtzentrum.