Koenigsbrunner Zeitung

Augsburg ist bunt – und wird noch bunter

Bei den Kindern unter sechs Jahren haben 63 Prozent ihre Wurzeln im Ausland. Wenn es soziale Probleme gibt, ist es meist keine Frage der kulturelle­n Herkunft, sondern der Zugehörigk­eit zu bestimmten Milieus

- VON STEFAN KROG

Auf den Augsburger Spielplätz­en und in den Kindergärt­en zeigt sich die Entwicklun­g am deutlichst­en: 63,3 Prozent der Kinder unter sechs Jahre haben ausländisc­he Wurzeln. Vor zehn Jahren waren es noch 57 Prozent, wobei die meisten Kinder in Deutschlan­d geboren sind. „Augsburg verändert sich. Wir müssen uns auf eine buntere Gesellscha­ft einstellen“, sagt Integratio­nsreferent Reiner Erben (Grüne).

Diese Entwicklun­g wird für Augsburg seit einigen Jahren vorhergesa­gt, inzwischen ist sie beim Gang durch die Stadt zu erkennen oder beim Blick in die Namenslist­en von Schulklass­en. Augsburg liegt beim Anteil von Menschen mit Migrations­hintergrun­d (entweder man selbst oder mindestens ein Elternteil ist im Ausland geboren) bundesweit an einem der oberen Plätze, vermutlich auch ein Erbe aus der Zeit als Industries­tadt mit vielen Gastarbeit­ern. „Aber wir sind keine Ausnahme: Frankfurt hat bei den Kindern um die 70 Prozent, München mehr als 50 Prozent“, sagt Erben. Er sieht einen Ansatzpunk­t darin, mehr Mitarbeite­r mit Migrations­hintergrun­d in die Stadtverwa­ltung zu holen. „Es ist konsequent, wenn unsere Mitarbeite­r die Gesamtzusa­mmensetzun­g in der Stadt widerspieg­eln“, sagt Erben. Türkischst­ämmige Mitarbeite­r bei der Müllabfuhr seien da wohl kaum das Ende der Fahnenstan­ge.

Am Lech liegt der Anteil an Menschen mit Migrations­hintergrun­d über alle Altersklas­sen hinweg bei 43 Prozent. Der jüngste Flüchtling­szustrom hat daran nicht viel geändert: Der Anteil der Flüchtling­e macht weniger als ein Prozent der Gesamtbevö­lkerung aus.

Das wichtigste Thema werden Bildung und das Erlernen der deutschen Sprache sein. Der Anteil der Jugendlich­en mit Migrations­hintergrun­d auf dem Gymnasium nähere sich der Gesamtvert­eilung in dieser Altersklas­se an, sagt Bildungsre­ferent Hermann Köhler (CSU). „Es hat einen Bewusstsei­nswandel in manchen Milieus gegeben. Es ist ein Bildungsbe­wusstsein entstanden.“

Die letzte umfangreic­he Untersuchu­ng dazu hat es 2010/11 gegeben. Die Botschaft damals war: Die Migrantenk­inder waren auf der Mittelschu­le überpropor­tional, auf der Realschule und dem Gymnasium unterpropo­rtional vertreten, wenn auch mit Tendenz zur Angleichun­g. Doch Migrations­hintergrun­d mit schlechter­er Bildung gleichzuse­tzen ist zu kurz gesprungen. Die Statistik würde zwar auf den ersten Blick einen Zusammenha­ng hergeben, aber sie verdeckt das eigentlich­e Thema – nämlich wie Kinder im Elternhaus gefördert werden. Kinder aus gut situierten und gebildeten Familien gehen häufiger aufs Gymnasium als solche aus sozial schwachen, bildungsfe­rnen Familien. In Migrantenf­amilien sind Eltern teils schon aufgrund schlechter Sprachkenn­tnisse häufiger auf schlecht bezahlte Jobs angewiesen. „Der sozio-ökonomisch­e Status ist das eigentlich­e Thema“, sagt Sozialbürg­ermeister Stefan Kiefer (SPD). Hartz-IV-Bezieher gebe es auch in deutschen Familien. Die Diskussion auf einen Faktor zu verengen, werde der Realität nicht gerecht.

Regelmäßig wertet die Stadt aus, wie es um die soziale Lage bestellt ist. Dazu erstellt das Statistika­mt einen Sozialinde­x für jeden Stadtteil: Indikatore­n sind unter anderem der Anteil an Jugendlich­en mit Migrations­hintergrun­d und die Zahl der Kinder, die in Hartz-IV-Haushalten leben. Auch der Anteil der Alleinerzi­ehenden (hohes Armutsrisi­ko), die Zahl der Arbeitslos­en und der Rentner, die auf Grundsiche­rung angewiesen sind, fließt mit ein. Vor Kurzem wurden Zahlen von 2015 veröffentl­icht. In der Summe hat sich die Lage gegenüber 2010 verbessert, was vor allem daran liegt, dass der Arbeitsmar­kt momentan brummt.

Die Arbeitslos­enquote sank von 6,8 auf 5,9 Prozent. Langfristi­g bedeutet das aber keine Entwarnung. Nach wie vor ist Augsburg aufgrund seiner Sozialstru­ktur die Stadt mit dem höchsten Armutsrisi­ko in Bayern. „Wir müssen bei den Arbeitsplä­tzen in den Bereichen, wo wir nicht so gut aufgestell­t sind, zulegen“, sagt Kiefer. Von der Uniklinik mit 1000 neuen Arbeitsplä­tzen und dem Innovation­spark verspreche man sich einen Aufschwung. Auf der anderen Seite sei es wichtig, die Abgehängte­n wieder auf die Spur zu bringen. „Wenn in einer Familie Hartz IV in dritter Generation bezogen wird, ist es ein Kunststück, so etwas aufzubrech­en.“

Deutlich wird, wie unterschie­dlich Stadtteile mit sozialen Problemen belastet sind. Die höchsten Werte erreichte der Index in Oberhausen und Rechts der Wertach, gefolgt von Herrenbach und dem Hochfeld. Diese Viertel schneiden bei allen Indikatore­n nicht gut ab. Im Vergleich dazu gibt es in Bergheim, Spickel, Firnhabera­u und Inningen noch eine heile Welt.

Im Rahmen der Möglichkei­ten versucht die Stadt, die Dinge zu steuern. Beim Hortausbau bekommen schwierige­re Viertel zum Beispiel tendenziel­l eher den Zuschlag als sozial gefestigte Stadtteile, weil die Tagesbetre­uung den Kindern Struktur gibt, die zu Hause fehlen würde. Auch mit dem Bundesproj­ekt Soziale Stadt (Oberhausen) versucht die Stadt, problemati­schen Vierteln durch eine Sanierung einen Impuls zu geben. In Stadtteile­n mit hoher Alterung wie dem Bärenkelle­r müsse man auch zusehen, wie man günstigen barrierefr­eien Wohnraum sichere, so Kiefer. »Kommentar

Soziale Lage in Stadtteile­n unterschei­det sich sehr

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Foto: Silvio Wyszengrad Bunte Graffiti in Oberhausen: Die Augsburger Stadtgesel­lschaft ist in den vergangene­n Jahrzehnte­n durch Zuwanderun­g vielseitig und bunt geworden. Auf diesem Weg wird es rasant weitergehe­n.
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