Augsburg ist bunt – und wird noch bunter
Bei den Kindern unter sechs Jahren haben 63 Prozent ihre Wurzeln im Ausland. Wenn es soziale Probleme gibt, ist es meist keine Frage der kulturellen Herkunft, sondern der Zugehörigkeit zu bestimmten Milieus
Auf den Augsburger Spielplätzen und in den Kindergärten zeigt sich die Entwicklung am deutlichsten: 63,3 Prozent der Kinder unter sechs Jahre haben ausländische Wurzeln. Vor zehn Jahren waren es noch 57 Prozent, wobei die meisten Kinder in Deutschland geboren sind. „Augsburg verändert sich. Wir müssen uns auf eine buntere Gesellschaft einstellen“, sagt Integrationsreferent Reiner Erben (Grüne).
Diese Entwicklung wird für Augsburg seit einigen Jahren vorhergesagt, inzwischen ist sie beim Gang durch die Stadt zu erkennen oder beim Blick in die Namenslisten von Schulklassen. Augsburg liegt beim Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund (entweder man selbst oder mindestens ein Elternteil ist im Ausland geboren) bundesweit an einem der oberen Plätze, vermutlich auch ein Erbe aus der Zeit als Industriestadt mit vielen Gastarbeitern. „Aber wir sind keine Ausnahme: Frankfurt hat bei den Kindern um die 70 Prozent, München mehr als 50 Prozent“, sagt Erben. Er sieht einen Ansatzpunkt darin, mehr Mitarbeiter mit Migrationshintergrund in die Stadtverwaltung zu holen. „Es ist konsequent, wenn unsere Mitarbeiter die Gesamtzusammensetzung in der Stadt widerspiegeln“, sagt Erben. Türkischstämmige Mitarbeiter bei der Müllabfuhr seien da wohl kaum das Ende der Fahnenstange.
Am Lech liegt der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund über alle Altersklassen hinweg bei 43 Prozent. Der jüngste Flüchtlingszustrom hat daran nicht viel geändert: Der Anteil der Flüchtlinge macht weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
Das wichtigste Thema werden Bildung und das Erlernen der deutschen Sprache sein. Der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf dem Gymnasium nähere sich der Gesamtverteilung in dieser Altersklasse an, sagt Bildungsreferent Hermann Köhler (CSU). „Es hat einen Bewusstseinswandel in manchen Milieus gegeben. Es ist ein Bildungsbewusstsein entstanden.“
Die letzte umfangreiche Untersuchung dazu hat es 2010/11 gegeben. Die Botschaft damals war: Die Migrantenkinder waren auf der Mittelschule überproportional, auf der Realschule und dem Gymnasium unterproportional vertreten, wenn auch mit Tendenz zur Angleichung. Doch Migrationshintergrund mit schlechterer Bildung gleichzusetzen ist zu kurz gesprungen. Die Statistik würde zwar auf den ersten Blick einen Zusammenhang hergeben, aber sie verdeckt das eigentliche Thema – nämlich wie Kinder im Elternhaus gefördert werden. Kinder aus gut situierten und gebildeten Familien gehen häufiger aufs Gymnasium als solche aus sozial schwachen, bildungsfernen Familien. In Migrantenfamilien sind Eltern teils schon aufgrund schlechter Sprachkenntnisse häufiger auf schlecht bezahlte Jobs angewiesen. „Der sozio-ökonomische Status ist das eigentliche Thema“, sagt Sozialbürgermeister Stefan Kiefer (SPD). Hartz-IV-Bezieher gebe es auch in deutschen Familien. Die Diskussion auf einen Faktor zu verengen, werde der Realität nicht gerecht.
Regelmäßig wertet die Stadt aus, wie es um die soziale Lage bestellt ist. Dazu erstellt das Statistikamt einen Sozialindex für jeden Stadtteil: Indikatoren sind unter anderem der Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund und die Zahl der Kinder, die in Hartz-IV-Haushalten leben. Auch der Anteil der Alleinerziehenden (hohes Armutsrisiko), die Zahl der Arbeitslosen und der Rentner, die auf Grundsicherung angewiesen sind, fließt mit ein. Vor Kurzem wurden Zahlen von 2015 veröffentlicht. In der Summe hat sich die Lage gegenüber 2010 verbessert, was vor allem daran liegt, dass der Arbeitsmarkt momentan brummt.
Die Arbeitslosenquote sank von 6,8 auf 5,9 Prozent. Langfristig bedeutet das aber keine Entwarnung. Nach wie vor ist Augsburg aufgrund seiner Sozialstruktur die Stadt mit dem höchsten Armutsrisiko in Bayern. „Wir müssen bei den Arbeitsplätzen in den Bereichen, wo wir nicht so gut aufgestellt sind, zulegen“, sagt Kiefer. Von der Uniklinik mit 1000 neuen Arbeitsplätzen und dem Innovationspark verspreche man sich einen Aufschwung. Auf der anderen Seite sei es wichtig, die Abgehängten wieder auf die Spur zu bringen. „Wenn in einer Familie Hartz IV in dritter Generation bezogen wird, ist es ein Kunststück, so etwas aufzubrechen.“
Deutlich wird, wie unterschiedlich Stadtteile mit sozialen Problemen belastet sind. Die höchsten Werte erreichte der Index in Oberhausen und Rechts der Wertach, gefolgt von Herrenbach und dem Hochfeld. Diese Viertel schneiden bei allen Indikatoren nicht gut ab. Im Vergleich dazu gibt es in Bergheim, Spickel, Firnhaberau und Inningen noch eine heile Welt.
Im Rahmen der Möglichkeiten versucht die Stadt, die Dinge zu steuern. Beim Hortausbau bekommen schwierigere Viertel zum Beispiel tendenziell eher den Zuschlag als sozial gefestigte Stadtteile, weil die Tagesbetreuung den Kindern Struktur gibt, die zu Hause fehlen würde. Auch mit dem Bundesprojekt Soziale Stadt (Oberhausen) versucht die Stadt, problematischen Vierteln durch eine Sanierung einen Impuls zu geben. In Stadtteilen mit hoher Alterung wie dem Bärenkeller müsse man auch zusehen, wie man günstigen barrierefreien Wohnraum sichere, so Kiefer. »Kommentar
Soziale Lage in Stadtteilen unterscheidet sich sehr