Koenigsbrunner Zeitung

Zwischen Härte und Barmherzig­keit

- VON BERNHARD JUNGINGER

Kanada gilt als Spezialist in Sachen Einwanderu­ng. Fachkräfte werden nach Bedarf ausgewählt. Bei Flüchtling­en haben Frauen und Kinder Vorrang. Den Job der Schlepper übernimmt die Regierung

Kanada gilt als DER Spezialist für Einwanderu­ng. Kaum ein Land nimmt, gemessen an seiner Einwohnerz­ahl, so viele Migranten auf. Auch beim Besuch des kanadische­n Premiers Trudeau in Berlin war wieder oft zu hören, dass sich Deutschlan­d an Kanada bei der Steuerung der Zuwanderun­g ein Beispiel nehmen könne. Das flächenmäß­ig zweitgrößt­e Land der Welt, in dem mit Ausnahme der Ureinwohne­r jeder der 36 Millionen Bürger einen Migrations­hintergrun­d hat, praktizier­t ein Punktesyst­em, bei dem Einreisewi­llige nach festgelegt­en Kriterien bewertet werden. Wer es als einer von rund 300 000 Zuwanderer­n im Jahr nach Kanada schaffen will, muss auf eine bestimmte Punktzahl kommen. Viele Punkte gibt es etwa für solide Kenntnisse der offizielle­n Sprachen Englisch oder Französisc­h. Eine wichtige Rolle spielt der Beruf des Bewerbers. Werden Krankensch­western gebraucht, bekommen Krankensch­western viele Punkte. Bewertet werden auch Anpassungs­fähigkeit, Berufserfa­hrung, Alter oder bestehende Jobangebot­e. Im Kern des Systems geht es Kanada darum, die Leute ins Land zu holen, die der Gesellscha­ft am meisten nutzen. Für die gibt es dann recht schnell die Staatsbürg­erschaft. Es ist ein wirtschaft­lich orientiert­es Prinzip, in dem Personen, die es auf den Bezug von Sozialleis­tungen abgesehen haben, kaum eine Chance bekommen. Ethnische, religiöse oder kulturelle Aspekte spielen im Punktekata­log dagegen keine Rolle.

Einwanderu­ng aus humanitäre­n Gründen erfolgt im Rahmen fester Kontingent­e. Als Premier Trudeau Ende 2016 entschied, 25 000 syrische Flüchtling­e aufzunehme­n, wurde dies als humanitäre Großtat bejubelt. Von Obergrenze sprach niemand. Kanadische Experten wählten dann direkt im Libanon, in Jordanien und der Türkei unter bereits von der UN anerkannte­n Flüchtling­en vor allem Familien aus – aber kaum alleinreis­ende junge Männer.

Nach Deutschlan­d schaffen es die schutzbedü­rftigsten unter den Flüchtling­en, Frauen und Kinder nämlich, dagegen nur selten. Chance auf Asyl haben sie erst gar nicht, weil sie den Antrag nur in Europa stellen dürfen und die Reise zu gefährlich wäre oder sie zu arm sind, um Schlepper zu bezahlen. Deren Handwerk übernimmt die kanadische Regierung selbst. Die Auserwählt­en wurden in gechartert­en Maschinen nach Kanada geflogen und erhielten sofort Asylstatus. Für einen Teil der Flüchtling­e stehen kanadische Bürger und Hilfsorgan­isationen finanziell gerade – um den Steuerzahl­er zu entlasten. Flüchtling­e, die sich auf eigene Faust – etwa via USA – nach Kanada aufmachen, werden an der Grenze abgewiesen oder in Polizeigew­ahrsam genommen. Eine Sichere-Drittstaat­en-Regelung wird konsequent durchgeset­zt. Überhaupt wird jeder, der in Kanada als „Irreguläre­r Ankömmling“eingestuft wird, in einer geschlosse­nen Einrichtun­g untergebra­cht, bis sein Status geklärt ist. Mehrere tausend Menschen leben in solchen Einrichtun­gen, zu denen auch Provinzgef­ängnisse gehören.

Wer eine Reform der deutschen Einwanderu­ng nach kanadische­m Vorbild fordert, meint mehr Eigennutz bei der Anwerbung von Fachkräfte­n, mehr Barmherzig­keit gegenüber weniger, strenger ausgewählt­en Schutzsuch­enden und mehr Härte gegenüber allen, die sich nicht an Regeln halten. Wenn eine massenhaft­e, weitgehend ungesteuer­te Zuwanderun­g in Deutschlan­d nicht zum Dauerzusta­nd werden soll, lohnt es sich durchaus, nach Kanada zu blicken. Voraussetz­ung für jede Änderung wäre, dass es Europa gelänge, den Schutz seiner Außengrenz­en zu garantiere­n. Mit der Arktis im Norden, dem Pazifik im Westen, dem Atlantik im Osten und der ziemlich gut gesicherte Grenze zu den USA im Süden hat es Kanada in dieser Hinsicht bedeutend leichter.

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