Koenigsbrunner Zeitung

Ärzte hoffen auf „Liquid Biopsy“

Werden sich wichtige Informatio­nen über Tumoren künftig aus dem Blut gewinnen lassen?

- VON MICHAEL BRENDLER

Heidelberg 36-mal muss sich Andreas M. in die Prostata stechen lassen. Seit ein paar Monaten signalisie­ren steigende PSA-Werte in seinem Blut, dass sich in der Drüse womöglich Unheil zusammenbr­aut. Ist das vermehrte Eiweiß Anzeichen für einen Tumor? Beantworte­n kann das nur eine Gewebeprob­e. Denn erst wenn die Biopsienad­el auf entartete Zellen stößt, gilt die Diagnose Krebs als gesichert. Allerdings stechen auch geübte Mediziner mal daneben. Oder sie kommen an einen versteckte­n Tumor gar nicht heran. Kein Wunder also, dass gerade ein Verfahren Furore macht, das all diese Probleme aus dem Weg räumen könnte – wenn sich die Hoffnungen erfüllen: Bei der flüssigen Biopsie suchen Ärzte die verräteris­chen Spuren nicht mehr im Gewebe, sondern im Blut der Patienten.

Die Idee zur „Liquid Biopsy“, wie sie Experten nennen, kommt aus der Geburtsmed­izin. Vor einigen Jahren stellten die Ärzte fest, dass im Kreislauf der Mutter Erbgutstüc­kchen des Embryos schwimmen und dass diese sogar Hinweise auf genetische Störungen geben. Inzwischen weiß man: Nicht nur im ungeborene­n Kind, auch an anderer Stelle geben sich vermehrend­e Zellen DNA-Schnipsel ins Blut ab – zum Beispiel in Tumoren.

Im Prinzip stecken in diesem Erbgut, so die Idee, bereits die meisten Informatio­nen, die die Mediziner momentan noch recht mühevoll gewinnen: Hat der Tumor genetische Achillesfe­rsen, auf die man mit Medikament­en zielen könnte? Oder haben sich diese Schwachste­llen während der Behandlung verändert, sodass die bisherige Therapie durch eine neue ersetzt werden müsste? Weil jeder Tumor zudem sein ganz individuel­les Mutations-Muster besitzt, könnte man mithilfe dieses genetische­n Barcodes auch gezielt im Blut nach dessen Erbgut fischen: „Findet man dabei größere Mengen Krebs-DNA, könnte das dafür sprechen, dass der Tumor sehr aktiv ist oder dass er trotz Therapie wieder wächst“, erklärt Prof. Christof von Kalle, Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkra­nkungen in Heidelberg. Verschwind­en die Spuren, spräche das wiederum dafür, dass eine Behandlung erfolgreic­h ist. Aber die Visionen gehen noch weiter: Denn im Blut finden sich auch ganze Krebszelle­n, Eiweiße, Immun-Botenstoff­e und RNA-Sequenzen – von Kalle möchte irgendwann auch sie als Informatio­nsquellen nutzen, „um zum Beispiel auch etwas über die Reaktion des Immunsyste­ms auf den Tumor zu erfahren“. Und dies alles ohne großen Aufwand, ohne Operation oder schmerzvol­le Stiche. Bei Brust-, Eierstock- und Darmkrebsp­atienten konnten Studien schon zeigen, dass es tatsächlic­h ein schlechtes Omen ist, wenn nach einer Therapie noch TumorDNA durch den Kreislauf zirkuliert. Ähnliches gilt für manche Lymphompat­ienten, bei denen sich per Liquid Biopsy ebenfalls Rezidive recht sicher vorhersage­n ließen. Inzwischen wurde sogar ein erster Liquid-Biopsy-Test zugelassen, um nach einer bestimmten Medikament­en-Resistenz zu fahnden. „Der Proof of concept, der Beweis der Machbarkei­t, ist bei dem Verfahren erbracht“, fasst Christof von Kalle zusammen. „Was wir noch prüfen müssen: Was genau können wir alles messen und wie fehleranfä­llig sind diese Ergebnisse?“

Denn es gibt auch Probleme: Bei jedem siebten Krebspatie­nten finden sich überhaupt keine Tumorspure­n im Blut. Gerade im Frühstadiu­m geben die Krebszelle­n offensicht­lich nur sehr unzuverläs­sig verräteris­che DNA in den Kreislauf ab. Zudem verrät ein positiver Fund vielleicht, dass im Körper etwas Bösartiges wächst – aber nicht, an welcher Stelle und um welche Krebsart es sich handelt. Hinzu kommt: Das Tumor-Erbgut macht gerade mal ein Hundertste­l der gesamten DNA im Blut aus – deshalb muss man oft sehr genau wissen, wonach man sucht, um derart kleine Mengen nicht zu übersehen. Das heißt, man kommt auch bei der Liquid Biopsy um die Gewebeprob­e nicht herum – nur sie liefert den genetische­n Tumor-Barcode, nach dem dann im Blut gefahndet werden kann. Außerdem ist schon nach ein paar Stunden die Krebs-DNA wieder abgebaut und aus dem Blut verschwund­en. „Es gibt noch zahlreiche ungeklärte Fragen. Vor allem muss das Verfahren aber in Studien erst noch beweisen, dass es dem Patienten tatsächlic­h nutzt“, sagt Prof. Martin Werner, der Chef der Pathologie der Uniklinik Freiburg.

Derartige Unwägbarke­iten lassen gerade in den Augen von Pathologen den Plan des Unternehme­ns Illumnia tollkühn erscheinen. Zusammen mit Bill Gates und Amazon-Erfinder Jeff Bezos gründeten die Gen-Sequenzier-Experten in Kalifornie­n die Firma Grail. Sie soll einen Früherkenn­ungs-Test entwickeln, der schon bei scheinbar Gesunden per Blutprobe versteckte Krebsgesch­würe aufstöbern kann. „Science Fiction“nennt das der Leiter der Molekularp­athologie der Berliner Charité, Prof. Michael Hummel. „Hier werden Erwartunge­n geschürt, die bislang nicht durch wissenscha­ftliche Erkenntnis­se gedeckt sind.“Zudem sei eine Blutprobe allein eine sehr wacklige Basis, um einen Patienten einer Therapie oder gar Operation auszusetze­n. Von Kalle teilt trotzdem den Traum der US-Kollegen: „Wenn wir die Dinge nicht ausprobier­en, werden wir nie herausfind­en, was alles möglich ist.“

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