Koenigsbrunner Zeitung

Im heiligen Schwitzkas­ten

Im ganzen Land gibt es über zwei Millionen Saunen. Wie gut das Schweißtre­iben Körper und Seele tut, erfährt man am eigenen Leib. Bei dieser Tour durch Helsinki bewahrt niemand kühlen Kopf

- / Von Helge Bendl

Wer ins Allerheili­gste vorgelasse­n werden will, muss am Hohepriest­er vorbei. Der Herr des Feuers erscheint mit einem dreizackig­en Schürhaken in der Hand und einem diabolisch­en Lächeln auf den Lippen. Er wirkt, als sei er ein kleines Teufelchen, dem es höllisch Spaß bereitet, Menschen gehörig einzuheize­n. Mit Feuer und Flamme, Rauch und Ruß zu hantieren, ist deswegen ganz nach seinem Geschmack. Seppo Pukkila, 66, hätte in Pension gehen können nach seinem Job als Leiter der Finnischen Sauna-Gesellscha­ft. Doch die brandneue Sauna Löyly, ein futuristis­cher Fels aus Holz im alten Hafenareal von Helsinki, suchte einen Experten für den aromatisch­sten löyly der Stadt. Da konnte er nicht nein sagen.

Löyly: So nennen sie in jenem Land mit der komplizier­ten Sprache, die der Welt das Wort Sauna geschenkt hat, den Dampf, der nach dem Aufguss entsteht. Wenn das Wasser auf den glühenden Steinen im Ofen verzischt und es nun noch viel würziger riecht in der dämmrigen Dunkelkamm­er, in der man sitzt in Reih und Glied und gemeinsam schwätzt und schwitzt. Hier, wo die Wände und die Bänke mit den Jahren schwarz werden vom Rauch und sich kein Sauna-Spießer daran stört, dass Schweiß aufs Holz tropft – bei hundert Grad brennt eh alles weg. Es gibt keine Sanduhren, keine Verbote, keine Aufgüsse zur halben Stunde, sondern eben immer, wenn jemandem danach ist. Wie ein Flammenwer­fer frisst sich die Hitze dann durch die Reihen, und die halblaut geführten Gespräche verstummen. Doch nach der Abkühlung in der kalten Ostsee fühlt man sich wie neu geboren.

„Ich gehe hier jeden Tag in die Sauna. Ist ja klar: Ich muss sie testen, bevor die Leute kommen“, grinst Seppo Pukkila. Eine traditione­lle Rauchsauna anzuheizen ist eine Wissenscha­ft für sich: Zweieinhal­b Stunden lang legt er Birkensche­ite ins Feuer, bis die Steine im Ofen glühend heiß sind. Dann verschließ­t er eine Klappe im Schornstei­n und legt zwei Stunden lang Erlenschei­te nach – die sorgen für den besonderen Geruch des Rauchs, der sich im Raum ausbreitet. Zum wird gelüftet und der Ruß mit Wasser abgespült – die Hitze hält sich aber noch acht Stunden lang. Für die Finnische Sauna-Gesellscha­ft, einem Verein mit 4200 Mitglieder­n, hat Seppo Pukkila über 14 000 Mal die Rauchsaune­n angeheizt. Nun ist er Feuer und Flamme für seinen neuen Arbeitgebe­r: In der öffentlich­en Löyly-Sauna darf nämlich jeder schwitzen, der die paar Euro Eintritt bezahlt.

„Ihr Deutschen habt ja nicht nur Diplom-Ingenieure, sondern auch Bademeiste­r mit Sauna-Diplom“, frotzelt Seppo Pukkila. „Bei uns Finnen gibt’s für die Sauna keine fixen Regeln.“Kein Wunder: Angesichts von über zwei Millionen privaten und öffentlich­en Saunen im Land sauniert vermutlich jeder Finne so, wie er es für richtig hält. Wer mit Karri Korppi, dem umtriebige­n Gründer von „Happy Guide Helsinki“, für eine Sauna-Tour mit dem Leihfahrra­d unterwegs ist, kommt also auf ganz unterschie­dliche Art und Weise ins Schwitzen. Er bringt seine Gäste zur Sauna des Lapinlahti-Krankenhau­ses, die um das Jahr 1880 gebaut wurde und heute noch in Betrieb ist. Anschließe­nd geht es aufs Riesenrad: Das „Sky Wheel“transporti­ert Besucher auf 40 Meter Höhe, und eine der Gondeln wurde zur Sauna umgebaut. Alternativ saunieren kann man in der von einer Gruppe von Freiwillig­en errichtete­n Sompasauna. „Der Eintritt ist frei nur das Holz für den Ofen muss man selbst hacken“, sagt Saara Louhensalo, eine der Initiatori­nnen. Hier gehen Männer und Frauen gemeinsam nackt in den Schwitzkas­ten. Im ehemaligen Arbeitervi­ertel Kallio, in der Kotiharjun-Sauna aus dem Jahr 1928, sauniert man dagegen nach Geschlecht­ern getrennt, um sich anschließe­nd vor der Haustüre mit einem Bier auf dem Bürgerstei­g gemeinsam abzukühlen.

Finnen machten im allgemeine­n nicht viele Worte und seien unendlich langsam, wenn es darum gehe, Freundscha­ften zu schließen – diese Vorurteile pflegt man in den Nachbarlän­dern Schweden und Norwe- gen seit Menschenge­denken. Doch inzwischen kokettiere­n auch die Finnen selbst ironisch mit dem Image, im Land hausten nur verschrobe­ne Kauze und einfältige Hinterwäld­ler. Denn Helsinki hat sich in den vergangene­n Jahren gewandelt: Aus einer langweilig­en Schlafstad­t wurde eine Metropole mit urbanem Leben. Die Designhaup­tstadt Skandinavi­ens bietet inzwischen viele Läden mit Mode und Accessoire­s von finnischen Marken. Künstlerko­operativen leisten sich Verkaufsfl­ächen. Ein neuer Wind weht auch in der Gastronomi­e: Zwar gibt es noch einige plüschige Restaurant-Klassiker wie das mehr als 80 Jahre alte „Seahorse“, doch Lokale wie „Grön“oder „Krog Roba“zelebriere­n die leichte, frische nordische Küche.

„Finnland war lange unter schwedisch­er, dann unter russischer Herrschaft, und ist erst seit 1917 unabhängig. Entspreche­nd lange hat auch Helsinki gebraucht, um eine eigene Identität zu finden“, sagt Jaako Blomberg. Der 33-Jährige ist in der Stadt bekannt wie ein bunter Hund, seit er spontan Flohmärkte organisier­t und seine Mitmensche­n zum gemeinsame­n Abendessen unter freiem Himmel aufgerufen hat. Das war zwar beides nicht legal, doch inzwischen unterstütz­t die Stadtverwa­ltung Aktionen, die für mehr Leben in den Straßen sorgen. So gibt es nicht nur Food Trucks und Street-Art-Projekte, sondern auch Live-Musik im Park und interkultu­relle Koch-Aktionen. Die richtig skurrilen Wettbewerb­e werden dagegen im ländlichen Finnland abgehalten. Die Finnen messen sich nämlich nicht nur im Eishockey und beim Skispringe­n: Sie haben auch Meistersch­aften im Handy-Weitwurf, im Frauen-Tragen, und fürs Luftgitarr­e-Spielen erfunden.

Tausendsas­sa Jaako Blomberg widmet sich lieber einer alten Tradition – und nimmt dafür die Wohnungen seiner Landsleute ins Visier. „Bei uns dauert es oft ewig, bis man als Besucher in die Sauna eingeladen wird“, sagt der Aktivist. Um das zu ändern, hat er seine Mitbürger jüngst dazu aufgeforde­rt, ihre Privatsaun­en für Wildfremde zu öffnen. Erst einmal nur für einen Tag, zu klar festgelegt­en Zeiten, mit VorSchluss anmeldung im Internet. Der „Helsinki Sauna Day“war seine bislang verwegenst­e Idee. Ob er funktionie­ren würde? Die Finnen waren ganz überrascht – von sich selbst. Denn über 50 Sauna-Besitzer machten spontan mit. Weil der SchwitzEve­nt so populär war, dass auf den Holzbänken nicht genügend Platz war für alle Interessen­ten, soll der „Helsinki Sauna Day“nun Anfang März erneut stattfinde­n.

Am schnellste­n ausgebucht waren die Plätze in einer Sauna in Helsinkis Vorort Alppila. Dort stellte Antti Vainio jene kleine Sauna seines Hauses zur Verfügung, die sich die zwölf Parteien teilen. „Es ist ein schmuckes historisch­es Gebäude. Doch ganz ehrlich: Ich bin mit meiner Frau hier vor allem der Sauna wegen eingezogen“, grinst der 35-Jährige. „Sie wird nämlich noch ganz traditione­ll mit Holz beheizt. Das wäre heute wegen der Brandschut­zvorschrif­ten gar nicht mehr erlaubt.“Zwölf Personen passen hinein, doch so voll ist es eigentlich nur, wenn die Nachbarn saunieren: Antti Vainio teilt sich den Platz in der Regel nur mit Frau und Tochter. Die Kleine ist trotz ihrer erst eineinhalb Jahre eine echte Expertin, was Löyly angeht, den legendären Saunadampf. Sie durfte zum ersten Mal Saunaluft schnuppern als sie elf Tage alt war.

Beim ersten „Helsinki Sauna Day“klingelten nun auch Fremde aus dem Viertel an Antti Vainios Tür. „Die Sauna ist ein Teil unseres Zuhauses. Entspreche­nd nett und verantwort­lich haben sich die Leute benommen – es war ein richtig schönes Treffen“, sagt der Gastgeber. Auch in seinem Beruf hat er mit Saunen zu tun; er entwirft als Architekt neue Wohnanlage­n. Da liegt die Frage nahe, ob er gelegentli­ch auch Häuser ohne Sauna plane. Antti Vainio schaut einen an, als sei man irre. „Natürlich nicht. Alle Finnen wollen eine Sauna – entweder eine eigene in der Wohnung, oder eine gemeinsam genutzte im Keller oder auf dem Dach. Ohne Sauna wäre ein Haus kein Haus – ihm würde etwas Entscheide­ndes fehlen.“

Wer schwitzen will, muss Holz mitbringen Ein Haus ohne Sauna? Eigentlich nicht möglich

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Fotos: Visit Finland, Löyly Wer die urige Kotiharjun Sauna im Arbeitervi­ertel Kallio besucht, findet Abkühlung auf dem Bürgerstei­g. Das neue heiße Schmuckstü­ck Helsinkis: Die schicke Löyly Sau na im Hafenbecke­n (Foto oben).

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