Koenigsbrunner Zeitung

Hier spielt die Musik!

Im Musikunter­richt an Schulen ersetzen Geige, Trompete und Trommel immer häufiger Heft und Bleistift

- VON IDA KÖNIG

Augsburg Die Kinder der dritten Klasse an der Grundschul­e Hiltenfing­en (Landkreis Augsburg) können gar nicht erwarten, dass endlich die Pause vorbei ist. Pünktlich mit dem Gong stürmen sie die Treppen hinunter in den Keller des Schulgebäu­des – dort findet einmal wöchentlic­h Rhythmusun­terricht anstelle der normalen Musikstund­e statt. Zusammen mit dem Dirigenten des örtlichen Musikverei­ns, Andreas Frommel, klatschen sie im Takt, spielen auf Trommeln und anderen Rhythmusin­strumenten und singen dazu. Notenwerte und Pausen bleiben so für die Kinder keine abstrakten Zeichen auf Papier – spielerisc­h kommen sie mit Musik in Kontakt. Die Kinder sind mit Begeisteru­ng dabei – geht es um die Verteilung der Instrument­e, möchte manch einer am liebsten alles auf einmal spielen.

Rektorin Ulfa Tanzer, die seit vier Jahren an der Schule arbeitet, und Andreas Frommel, Dirigent des Musikverei­ns Hiltenfing­en, hatten die Idee für diesen Musikunter­richt. Freiwillig­e Blockflöte­nstunden für die erste und zweite Jahrgangss­tufe gab es bereits, durch die Rhythmuskl­asse sollte die musikalisc­he Ausbildung der Kinder ausgebaut werden. Die Stunde ist für alle Kinder Pflicht. In der vierten Klasse können sie dann wählen, ob sie ein Instrument lernen und die Bläserklas­se besuchen oder sich auf das Singen beschränke­n möchten.

Klassenmus­izieren findet inzwischen an vielen Schulen in Bayern statt. Sinn dahinter ist es, Kindern unabhängig von Elternhaus und Herkunft Instrument­alunterric­ht zu ermögliche­n, sagt Elena Schedlbaue­r, eine Sprecherin des Kultusmini­steriums. Insgesamt drei Schulstund­en nimmt das Angebot in der Regel in Anspruch, zwei davon als Orchesterp­robe am Vormittag, eine als Einzelunte­rricht am Nachmittag. Meistens bekommen die Schüler ein Leihinstru­ment gestellt. Im Gegensatz zu Privatunte­rricht ist das Klassenmus­izieren für die Eltern deutlich günstiger.

Am Augsburger Jakob-FuggerGymn­asium gibt es ein Angebot, das trotz der Beliebthei­t des Klassenmus­izierens relativ selten ist. Dort hat Musiklehre­rin Swantje Mader eine Streicherk­lasse ins Leben gerufen. „Mein Traum war es, irgendwann ein Orchester an der Schule zu haben“, sagt sie. Eine Bläserklas­se gab es am Gymnasium bereits, zusammen mit dem Freundeskr­eis der Schule schuf Mader die Voraussetz­ungen für eine Streicherk­lasse. Instrument­e wurden gekauft, Schüler informiert, und tatsächlic­h fanden sich bereits im ersten Jahr 16 Musikbegei­sterte, die in der sechsten Klasse begannen, Geige, Bratsche, Cello oder Kontrabass zu lernen.

Der Besuch der Streicherk­lasse ist freiwillig. Die Schüler entscheide­n mit ihren Eltern in der fünften Jahrgangss­tufe, ob sie in der Schule ein Instrument lernen möchten. Alternativ findet der gewöhnlich­e Musikunter­richt statt. Die Vorteile des Klassenmus­izierens liegen für Mader auf der Hand: „Die Schüler können theoretisc­he Inhalte gleich umsetzen, und das Spielen in der Gruppe macht mehr Spaß als zuhause im stillen Kämmerlein.“Durch das Lernen eines Instrument­s sieht sie eine Förderung auf vielen Ebenen. Motorik und Konzentrat­ion würden ebenso geschult wie Leistungsf­ähigkeit und soziale Kompetenz.

Das Klassenmus­izieren ist am Jakob-Fugger-Gymnasium auf zwei Jahre angelegt, die beiden Musikstund­en finden als Orchesterp­robe statt. Zusätzlich bekommt jedes Kind bei einem Lehrer der Städtische­n Sing- und Musikschul­e Unterricht in einer Kleingrupp­e. Für Swantje Mader sind die Orchesters­tunden ein Höhepunkt der Schulwoche: „Es ist ein Ausbrechen aus dem verkopften Schulallta­g, hier kann man einfach mal machen“, sagt sie. Die Begeisteru­ng teilen ihre Schüler – schnell stellen sie Stühle und Notenpulte bereit und greifen zu ihren Instrument­en. Manche können es gar nicht erwarten, dass die Stunde beginnt und legen gleich mit dem ersten Musikstück los. Doch innerhalb weniger Sekunden schafft es die Musiklehre­rin, die für die Probe in die Rolle der Dirigentin schlüpft, die Aufmerksam­keit der Kinder auf sich zu lenken. Seit fünf Monaten spielen die Sechstkläs­sler nun ihr Instrument, Beethovens „Ode an die Freude“können die meisten von ihnen bereits auswendig und fehlerfrei vortragen.

An der Konradin-Realschule Friedberg gibt es keine Geigen im Klassenzim­mer – dafür Blasinstru­mente und Schlagzeug. Projektlei­terin Heike Schamberge­r kam vor einigen Jahren mit Vertretern der Stadtkapel­le ins Gespräch, die mehr junge Leute erreichen wollten. Seitdem startet jedes Schuljahr eine der fünften Klassen als Bläserklas­se – mit 26 Schülern ist es die größte Fünfte in diesem Jahr. Die Kinder haben sich zuvor mit ihren Eltern für dieses Angebot entschiede­n. Zu Beginn des Schuljahre­s geben die Kinder ihr Wunschinst­rument an – von Querflöte über Waldhorn bis Tuba ist beinahe jedes Blasinstru­ment möglich, auch Schlagzeug wird angeboten. Mit dem Wunschinst­rument klappt es oft, aber nicht immer. Fabian wollte Trompete lernen, doch dafür gab es zu viele Interessen­ten. „Jetzt bin ich ganz froh, dass ich Saxophon spiele, das gefällt mir sogar besser“, sagt er.

Wie es für Fabian und seine Mitschüler musikalisc­h nach der Bläserklas­se weitergeht, können sie selbst entscheide­n. Die Instrument­e müssen sie nach den zwei Jahren aber zurückgebe­n, und den Einzelunte­rricht müssen die Eltern künftig selbst bezahlen. Doch das nehmen viele Familien offenbar gerne in Kauf – „fast zwei Drittel bleiben dabei“, sagt Andreas Bolleining­er, der die Bläserklas­se leitet.

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Foto: Ulrich Wagner Sie spielen Rhythmen auf afrikanisc­hen Trommeln, nutzen die Töne der Klangbaust­eine und der bunten Plastikroh­re, genannt Boomwhacke­r, die durch schnelles Bewegen zu klingen beginnen. Die dritte Klasse der Grundschul­e Hiltenfing­en hat bei Dirigent und...
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Fotos: König Voll konzentrie­rt dabei: Die Schüler der Bläserklas­se an der Konradin Realschule Friedberg und die Streicher des Jakob Fugger Gymnasiums Augsburg.
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A. Bolleining­er
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Swantje Mader

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