Krank, erschöpft und verzagt
Als Martin Luther 1518 am Wertachbrucker Tor ankam, lag er auf einem Karren. Nicht nur der Fußmarsch war ihm schlecht bekommen, denn in Aussicht stand ein Ketzerverhör Serie (2)
Als der Augustinermönch Martin Luther 1517 zu Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablass-Handel publizierte, hatte die Welt ein neues Thema. In der Kaufmannsstadt Augsburg blieb sein Protest nicht ohne Widerhall. Im Jahr 1518 hatte sich Luther dann auch hier auf dem Reichstag für seine Aufsässigkeit zu rechtfertigen. Unsere neue Serie, immer dienstags an dieser Stelle, verfolgt Luthers Spuren in Augsburg. Die Strecke von Wittenberg nach Augsburg beträgt knapp 500 Kilometer, mit dem Auto in knapp fünf Stunden zu bewältigen. Autos gab’s jedoch vor 500 Jahren noch nicht, stattdessen echte Pferdestärken und für einfachere Leute Schusters Rappen. Auch der Mönch Martinus Luther brach am 26. September 1518 zu Fuß auf, als er in Augsburg im Anschluss an den Reichstag auf den römischen Kardinal Cajetan treffen sollte – zu einem Tribunal. Zu den körperlichen Anstrengungen kamen dieses Mal die seelischen Nöte.
Seine Freiheit, seine berufliche und private Zukunft standen auf dem Spiel. Hundert Jahre zuvor war der Ketzerprozess für den böhmischen Reformator Jan Hus auf dem
Konzil von Konstanz
Luther in Augsburg
1415 tödlich ausgegangen – obwohl diesem freies Geleit zugesagt war. Unterwegs erreichten Luther immer wieder Warnungen; so schrieb ihm ein Vertrauter: „Ich sehe nicht, was dir anderes bevorstehen sollte als das Kreuz.“Luther selbst erzählte später: „Als mich Herzog Friedrich mit freiem Geleit zu Cajetan schickte, der damals in Augsburg war, haben die Stadt und die Universität (Wittenberg) sich schriftlich für mich verwendet. Meine Empfindungen dagegen waren auf der Reise: Nun musst du sterben! Und ich stellte mir den schon für mich bereiteten Scheiterhaufen vor und sagte oft: Ach, welche eine Schande werde ich meinen Eltern sein! So ängstigte mich das Fleisch.“
Die Panikattacken schlugen sich bei dem Mönch in körperlichen Leiden nieder – zusätzlich zu den Strapazen der Reise. Die letzte Strecke vor Augsburg konnte sich Martin Luther nicht mehr auf den Beinen halten. Ein Schwächeanfall infolge einer schweren Magenverstimmung warf den Reformator dann nieder: „Ich wurde verbrannt, denn der Teufel quälte mich mit vielen und scharfen Gedanken.“Drei Meilen vor Augsburg musste Luther erschöpft auf einen Getreidekarren So fuhr er am 7. Oktober 1518, einem Donnerstag, krank auf der Donauwörther Straße durch das Wertachbrucker Tor in die Reichsstadt ein.
Unterkunft gewährten ihm die Karmeliterbrüder von St. Anna, deren Prior Johannes Frosch er kurz zuvor in Wittenberg kennengelernt hatte. Damit er nicht allzu zerschlissen vor dem römischen Legaten gekleidet sei, hatte Luther im Nürnberger Augustinerkloster dank der Freundlichkeit von Prior Wenceslaus Linck noch seine abgetragene Mönchskutte eingetauscht. 22 Jahre später behauptete er in einer Tischrede, er habe damals keinen Pfennig mehr in der Tasche gehabt. Herzog Friedrich hatte seinen Professor al- lerdings mit 20 Goldgulden für die Reise ausgestattet.
Mit der Erinnerung ist das so eine Sache bei Luther. Schon 14 Jahre später erzählte er bei Tisch: „Der Weg war mir unbekannt.“Tatsächlich war er schon im April 1518 bis Coburg auf derselben Route zu einer Disputation nach Heidelberg gegangen. Begleitet übrigens von demselben Magister Leonhard Beier, der auch unterwegs nach Augsburg an seiner Seite war. Seine gesundheitlichen Probleme hatte der Wanderer Luther damals schon. Nach vier Tagen bereits völlig erschöpft langte er am 15. April in Coburg an und von Würzburg ab ließ er sich bis Heidelberg auf einem Karren fahren.
Zeit zum Predigen und Netzwersteigen. ken fand Luther unterwegs allemal. Zuerst wanderte er im September 1518 nach Weimar, wo der Kurfürst aus Augsburg eingetroffen war. Luther predigte in der Schlosskapelle; ob Friedrich selbst unter den Zuhörern war, ist nicht überliefert. In Weimar erhielt er auch Friedrichs Geleitbrief und Reisegeld. Von Ordensbruder Linck in Nürnberg ließ er sich noch in den dortigen Humanistenkreis um Johann von Staupitz, den Generalvikar der AugustinerEremiten und Mentor seines Ordensbruders Martin einführen.
Ein paar Tage gönnte man Luther Ruhe im Kloster St. Anna, ehe er am 12. Oktober Cajetan gegenübertrat. Doch auf der Hut musste er sein, um nicht in Gefangenschaft zu landen.