Koenigsbrunner Zeitung

Was die Kirchen an aktuellen Abschiebun­gen stört

- VON MIRIAM ZISSLER

Ein Künstler, ein angehender Azubi und ein psychisch angeschlag­ener Mann: Caritas-Chef Magg kritisiert die harte Politik gegenüber abgelehnte­n Afghanen. Caritas und Diakonie haben eine andere Vorstellun­g

Bestätigt wurde es natürlich nicht. Aber verschiede­nen Medienberi­chten zufolge soll noch diese Woche die dritte Sammelabsc­hiebung von abgelehnte­n afghanisch­en Asylbewerb­ern stattfinde­n. Diesmal werden die Flüchtling­e offenbar von München aus nach Kabul fliegen. Ob jemand aus Augsburg dabei sein wird, wusste am Montag noch niemand.

Kazim, 23, der in Augsburg in der Gemeinscha­ftsunterku­nft in der Proviantba­chstraße lebte und im Januar eine Ausbildung beginnen wollte, war im ersten Flieger am 14. Dezember. Abid Ali, 21, musste am 23. Januar ausreisen. Sein Betreuer Gerhard Wild steht im ständigen Kontakt zu dem psychisch angeschlag­enen jungen Mann. „Halte durch“, schreibt er ihm immer wieder per Kurznachri­cht auf sein Handy. „Er ist in einem psychisch desolaten Zustand. An einem Tag will er sich umbringen, am nächsten Tag hat er wieder einen Funken Hoffnung“, berichtet Wild. Täglich müsse Abid Ali in der afghanisch­en Stadt Kandahar sein Quartier wechseln.

Wild: „Er fühlt sich nicht sicher und hat Angst, gekidnappt oder verhaftet zu werden.“Der Versuch, von dort aus an Dokumente zu kommen, gestalte sich für ihn schwierig, da er keine Möglichkei­t sieht, nach Kabul zu kommen. In Augsburg hat sich der 21-Jährige in ambulanter psychische­r Behandlung befunden, war zeitweise stationär aufgrund seiner Angstzustä­nde im Bezirkskra­nkenhaus untergebra­cht. Diözesan-Caritasdir­ektor Domkapitul­ar Andreas Magg zeigte sich Ende Januar zutiefst verärgert über diese „unsinnige Abschiebun­g“.

Denn für ihn ist Afghanista­n kein sicheres Herkunftsl­and. „Dort herrscht Chaos“, sagt er. Für ihn zähle das Individuum: Man müsse die Situation jedes einzelnen Flüchtling­s beurteilen und Augenmaß walten lassen, so Magg. „Das kommt mir als Christ in der momentanen Situation zu kurz“, betont der Domkapitul­ar. Er beobachte ein weltweit neu aufkommend­es Phänomen von Nationalis­mus, das Druck ausübe. Auf die fortschrei­tende Globalisie- rung folge nun Abschottun­g. „Natürlich muss sich ein Staat auch vor Zuwanderun­g schützen dürfen. Es muss aber möglich sein, zeitnah über ein Bleiberech­t zu entscheide­n und nicht über Jahre hinweg falsche Hoffnungen zu schüren“, sagt er. Gerade bei Langzeitfä­llen wie etwa bei Ahmad Shakib Pouya, der über Jahre hinweg sich in Deutschlan­d einen Freundeskr­eis aufbaute, sich ehrenamtli­ch engagierte, Arbeitsang­ebote sammelte und sich Perspektiv­en aufbaute, sei die Verweigeru­ng eines Bleiberech­ts „nicht schlüssig“.

Rückkehrer­n sollte in seinen Augen die Möglichkei­t gegeben werden, als „Botschafte­r“in ihr Land zurückzure­isen. „Man sollte ihnen beispielsw­eise die Möglichkei­t geben, eine Ausbildung zu absolviere­n, um nicht als Verlierer mit lee- ren Händen zurückzuke­hren.“Eine wichtige Rolle spiele dabei die Zentrale Rückkehrbe­ratung.

Auch Matthias Schopf-Emrich vom Diakonisch­en Werk spricht sich für eine „Rückkehr in Würde“aus. Die Anzahl der freiwillig­en Ausreisen aus Deutschlan­d sei in die Höhe gegangen. Die Abschiebun­gen nach Afghanista­n sieht Schopf-Emrich ebenfalls kritisch. „Ich will nicht die Rechtslage in Frage stellen. Aber auch das Gesetz gibt einen Spielraum vor“, sagt er.

So gebe es im Aufenthalt­sgesetz den Paragrafen 25a, der die Aufenthalt­sgewährung bei gut integriert­en Jugendlich­en und Heranwachs­enden regelt. „Sensible Einzelfall­betrachtun­gen wären nötig. Derzeit fehlen mir die Zwischentö­ne“, sagt er. Matthias Schopf-Emrich verweist auf andere Bundesländ­er, wie etwa das Land Schleswig-Holstein, die derzeit die Abschiebun­gen nach Afghanista­n ausgesetzt haben. Bayerns Regierung setze dagegen ein „deutliches Zeichen“, was womöglich durch das Wahljahr begründet sei. „Wir wollen dagegen die Fahne der humanitäre­n Lösungen hochhalten“, sagt er und meint damit das Diakonisch­e Werk und Tür an Tür, die den Offenen Brief des Augsburger Flüchtling­srats an Oberbürger­meister Kurt Gribl unterschri­eben haben.

Eine Antwort haben die Unterzeich­ner darauf bislang nicht erhalten. In dem Brief baten sie – ein Bündnis aus 31 Organisati­onen und Einzelpers­onen – alle „wohlwollen­den Parteien“im Stadtrat, die Möglichkei­ten der Stadt zu prüfen, langjährig Geduldeten eine Zukunftspe­rspektive zu ermögliche­n. Sie drückten außerdem ihr Entsetzen über die Ausreise Pouyas aus. Der 33-jährige Afghane war Ende Januar „freiwillig“ausgereist, um seiner Abschiebun­g zuvorzukom­men. Am Montag hatte er einen wichtigen Termin bei der deutschen Botschaft in Kabul. Ihm liegt ein Arbeitsver­trag aus Deutschlan­d vor.

Die Schauburg, das mit den Münchner Kammerspie­len und der Otto-Falckenber­g-Schule assoziiert­e Kinder- und Jugendthea­ter der Stadt München, hat Pouya die Hauptrolle des Ali in einer Neuprodukt­ion von Rainer Werner Fassbinder­s „Angst essen Seele auf“angeboten. Probenbegi­nn wäre am 15. März, Premiere am 22. April. Am Abend teilte Pouya per Kurznachri­cht mit: Die Botschaft wolle den Arbeitsver­trag prüfen. Für ihn bedeutet das: weiter warten.

 ?? Foto: Christian Charisius, dpa ?? Abschiebun­gen – vor allem nach Afghanista­n – sind umstritten. Das Foto ist bereits älter als die aktuelle Diskussion. Es entstand 2013 bei einer Demonstrat­ion gegen Ab schiebunge­n in Hamburg.
Foto: Christian Charisius, dpa Abschiebun­gen – vor allem nach Afghanista­n – sind umstritten. Das Foto ist bereits älter als die aktuelle Diskussion. Es entstand 2013 bei einer Demonstrat­ion gegen Ab schiebunge­n in Hamburg.

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