Jäger rettet verletztes Reh
Tierliebe Ein Kitz wurde schwer verletzt in einer abgemähten Wiese gefunden. Ein Hinterlauf musste amputiert werden. Doch das Tier kam schnell mit seiner neuen Situation zurecht. Heute lebt Rufus bei einer Familie in Langenneufnach
Langenneufnach Es gibt Geschichten, in denen sich Pechvögel zu Glückskindern entwickeln. Das Schicksal von Rufus gehört in diese Kategorie. Doch Rufus ist kein stolzer Jüngling aus einem Märchen oder ein tapferer Ritter aus einer historischen Sage. Rufus ist ein Reh, und ein ungewöhnliches dazu. Das Tier bekommt man nicht ausschließlich in der Dämmerung in Wäldern, Wiesen und Feldern zu sehen, sondern auch tagsüber. Es tollt nämlich in einem extra dafür errichteten Gehege im Garten der Jägerfamilie Uschi und Dietmar Paun in Langenneufnach umher – wenn auch mit körperlicher Einschränkung.
Rehkitze werden von ihren Muttertieren in den ersten Wochen nach der Geburt meist in hohem Gras versteckt. Sie sind noch zu langsam, um mit den Rehgeißen mitlaufen zu können. „Wenn Gefahr droht, fliehen sie nicht, sondern kauern sich flach zusammen und verharren still, um nicht entdeckt zu werden“, berichtet Jäger Dietmar Paun. So seien sie fast perfekt getarnt.
Dieses instinktive Verhalten behalten sie selbst bei lärmenden Traktoren bei. „So werden Rehkitze immer wieder Opfer von großen landwirtschaftlichen Mähmaschinen“, weiß Paun. „Tierschutzverbände und Jägervereinigungen sprechen von jährlich rund einer halben Million Wildtieren, die auf dieser Weise verstümmelt oder getötet werden.“
Verhängnisvolle Schutzstrategie
Auch Rufus wurde seine Schutzstrategie zum Verhängnis. Im Mai 2014 fügte ihm ein Mähdrescher auf einer Wiese in Münsterhausen (Landkreis Günzburg) eine schwere Verletzung zu. Das Areal wurde vorher zwar nach Wildtieren abgesucht, Rufus aber nicht entdeckt.
Doch der damalige Winzling hatte Glück im Unglück. Er wurde nach der Mähaktion gefunden. Und damit begann seine Aufzucht durch Menschen. „In der Natur hätte er keine Überlebenschance mehr gehabt“, verdeutlicht Dietmar Paun.
Rufus’ erste Bezugspersonen wurden Christl und Hans Aumann. Letzterer ist Jäger und kundig mit Wildtieren und Natur. Die Bereitschaft zum Großziehen eines Rehkitzes war bei beiden vorhanden. Christl Aumann wurde für Rufus zur Ersatzmutter.
Das Tier musste sich zwei Operationen unterziehen. Dabei wurde sein rechter Hinterlauf amputiert. Zudem erfolgte, bevor bei ihm das Gehörn anfing zu wachsen, eine Das Tier erholte sich rasch, nicht zuletzt durch die aufopferungsvolle und zeitintensive Betreuung von Christl Aumann. Schnell lernte Rufus das Laufen mit nur drei Beinen.
Im September 2014 musste die Familie Aumann das Reh aus Platzgründen abgeben. Ihr Garten wurde für ein heranwachsendes Reh zu klein. Bei Uschi und Dietmar Paun erhielt Rufus ein rund 250 Quadratmeter großes Gehege mit Wiese, hohen Tannen und speziellen Rückzugsmöglichkeiten.
Keine romantische Bambi Idylle
Dort lebt er nun fern einer romantischen Bambi-Filmidylle. „Wie unsere Vorgänger legen auch wir größten Wert darauf, dass Rufus keine Vermenschlichung erfährt“, betont Dietmar Paun. Er sei nach wie vor ein Wildtier. „Das zeigt sich auch daran, dass er noch immer scheu und schreckhaft ist und bei ihm nach wie vor der periodische Fellwechsel stattfindet.“Eine Besonderheit sei für die Familie lediglich, dass das Reh als „Gartentier“im häuslichen Umfeld lebt. Die artgerechte Haltung hat bei den Pauns oberste Priorität. „Wir versorgen das Tier täglich zwei Mal“, erzählt Uschi Paun. Auf dem Speiseplan stehen unter anderem Obst, Gemüse, Müsli und Heu. Sein Lieblingsessen sind Walnüsse. Zuweilen erhält Rufus besondere Gäste. Dann besuchen ihn Kindergarten-Kinder oder Schulklassen. Das damit verbundene Ziel sei, den Nachwuchs für Tiere und Natur zu sensibilisieren, erklärt Dietmar Paun. Darüber hinaus ist Rufus der AuslöKastration. ser einer von Christl Aumann gegründeten sogenannten „RehkitzRettungsgruppe“im Bereich Münsterhausen und Schellenbach. Die Vereinigung mit überwiegend Kindern und Jugendlichen sucht nach vorheriger Mitteilung der Landwirte die abzumähenden Wiesen nach Wildtieren ab.
Ein Thema, das auch Dietmar Paun am Herzen liegt. „Landwirte sind nach dem Tierschutzgesetz verpflichtet, vermeidbare Tötungen und Verletzungen zu verhindern“, so der Jäger.
Weitere Schutzprojekte seien das Anbringen von Sensoren zum Aufspüren von Wildtieren oder die Aufstellung von Wildscheuchen. Weiter bittet Paun die Landwirte, Wiesen und Weiden immer von innen nach außen zu mähen. Das biete Fluchtmöglichkeiten und trage ebenfalls zur Rettung bei. Diese Vorkehrungen seien schon in diesen Wochen wichtig, da die Jungenaufzucht vieler Wildtiere sowie der erste und teils auch der zweite Schnitt im Grünland der Landwirtschaft demnächst anfallen.
Zurück zu Rufus: Für das Leben in freier Wildbahn sei er nicht gewappnet, resümiert Dietmar Paun. „Da würde er sich nicht zurechtfinden.“Dennoch sei das Tier mit Fortuna im Bunde gewesen. „Hätte die Mähmaschine einen Vorderlauf erfasst, hätte er keine Überlebenschance gehabt“, urteilt der Jäger.
Insofern ist Rufus zwar ein Pechvogel, der sich allerdings zum Glückskind gemausert hat. Beigetragen haben dazu engagierte und verantwortungsvolle Menschen, die ihn vor einem qualvollen Tod bewahrten. »Kommentar