Koenigsbrunner Zeitung

Rechnet Schulz das Land schlecht?

Die Zahl der befristete­n Jobs ist bei weitem nicht so hoch, wie der Kandidat der SPD behauptet. Arbeitgebe­rverbände werten seine Ankündigun­gen als Kampfansag­e

- VON RUDI WAIS

Augsburg Mit den Zahlen stand Martin Schulz schon früh auf Kriegsfuß. Im Heilig-Geist-Gymnasium in Würselen sollte der Kanzlerkan­didat der SPD seinen Mitschüler­n in der 9. Klasse einst die binomische­n Formeln erklären, was er zwar wortreich versuchte, was ihm aber gleichzeit­ig so gründlich misslang, dass sein Lehrer ihn damals mit einem geradezu prophetisc­hen Satz von der Tafel zurück an seinen Platz beorderte: „Mit Mathe wird das nichts, Schulz. Werd Politiker!“

45 Jahre später hat der ehemalige Präsident des Europaparl­amentes sich erneut in einem Geflecht aus Zahlen verheddert. Seine Behauptung, fast 40 Prozent aller Beschäftig­ten im Alter von 25 bis 35 Jahren hätten nur noch einen befristete­n Arbeitsver­trag, halten Deutschlan­ds Arbeitgebe­r für einigermaß­en gewagt, um nicht zu sagen für völlig überzogen. Nach ihren Berechnung­en arbeiten in dieser Altersgrup­pe lediglich zwölf Prozent der Beschäftig­ten in einem befristete­n Job.

Das Statistisc­he Bundesamt, jeder Parteipoli­tik unverdächt­ig, kommt auf 18 Prozent, ebenfalls deutlich weniger als Schulz. Rechnet man daraus die Auszubilde­nden und die Teilnehmer an Weiterbild­ungsmaßnah­men heraus, deren Verträge per se befristet sind, bleiben 14 Prozent mit Zeitverträ­gen übrig. Über alle Altersgrup­pen hinweg sind es nicht einmal sechs Prozent. Mit den 40 Prozent, von denen Schulz spricht, ist vermutlich den Anteil der Befristung­en – viele Verträge werden hier aber nach der Probezeit in klassische Arbeitsver­hältnisse umgewandel­t.

Macht Schulz damit ein Problem größer, als es in Wirklichke­it ist? Mit seinem Auftritt bei einer Arbeitnehm­erkonferen­z in Bielefeld hat der 61-Jährige unter dem Beifall seiner Partei deutliche Korrekture­n an den Sozialrefo­rmen des früheren Bundeskanz­lers Gerhard Schröder und an der gegenwärti­gen Arbeitsmar­ktpolitik angekündig­t. Unter anderem will Schulz die Möglichkei­t der „sachgrundl­osen Befristung“von Arbeitsver­trägen abschaffen. Das heißt: Ein unbefriste­ter Arbeitsver­trag soll wieder die Regel sein, ein befristete­r die Ausnahme, zum Beispiel bei Schwangers­chaftsoder Krankheits­vertretung­en.

„Die Möglichkei­ten, befristete Verträge zu schließen und auf Leihund Zeitarbeit zurückzugr­eifen“, sekundiert der SPD-Linke Matthias Miersch, „wurden inflationä­r ausgenutzt und haben zu großen Ungerechti­gkeiten geführt.“Die Wirtschaft dagegen fürchtet, ohne die Befristung­en nicht mehr flexibel ge- nug auf sich verändernd­e Auftragsla­gen reagieren zu können. Insgesamt ist die Zahl der befristete­n Jobs in den vergangene­n zehn Jahren übrigens leicht zurückgega­ngen – von 2,8 auf knapp 2,6 Millionen.

Nicht minder umstritten ist auch die Ankündigun­g von Schulz, nach einem Wahlsieg der SPD älteren Arbeitslos­en länger als bisher Arbeitslos­engeld I zu bezahlen, ehe sie ein Fall für die staatliche Fürsorge wer- den und auf Hartz IV angewiesen sind. „Wer länger in die Arbeitslos­enversiche­rung eingezahlt hat als andere, sollte auch mehr davon haben“, argumentie­ren einflussre­iche Sozialdemo­kraten wie der niedersäch­sische Ministerpr­äsident Stephan Weil, aber auch viele Grüne und Linke – und verweisen auf die mit gut elf Milliarden Euro prall gefüllte Kasse der Arbeitslos­enversiche­rung. Die Wirtschaft dagegen betrachtet bereits den Gedanken an eine längere Alimentier­ung von Arbeitslos­igkeit als Kampfansag­e.

Ein solcher Schritt würde nur die schnelle Wiederaufn­ahme von Arbeit erschweren, warnen die Arbeitgebe­rverbände in einem Positionsp­apier. Wie andere Vorschläge des Kandidaten Schulz sei auch dieser „ohne präzise Kenntnis der Zahlen oder der Rechtslage in Deutschlan­d formuliert“. Der Ökonom Michael Hüther, Präsident des unternehme­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft, klagt in der Bild- Zei-

Für die FDP ist Schulz ein „Sozialpopu­list“

tung gar: „Die SPD malt ein verzerrtes Bild der Wirklichke­it.“Den meisten Beschäftig­ten und Betrieben gehe es so gut wie seit Jahrzehnte­n nicht – auch dank Schröders Agenda 2010, die den Druck auf Arbeitslos­e, sich schnell einen neuen Job zu suchen, erhöht hat und die dessen Parteifreu­nd Schulz nun in Teilen wieder zur Dispositio­n gestellt hat. Nicola Beer, die Generalsek­retärin der FDP, hat ihr Urteil daher schon gefällt: „Schulz ist ein Sozialpopu­list reinsten Wassers.“

In den Umfragen lässt der SchulzEffe­kt offenbar schon etwas nach. Im aktuellen Stimmungsb­ild des Insa-Institutes ist die SPD in dieser Woche mit 30 Prozent wieder hinter die Union zurückgefa­llen, die auf 31,5 Prozent kommt. Auch für eine rot-rot-grüne Koalition nach der Bundestags­wahl im September würde es danach nicht reichen, da die Zugewinne der Sozialdemo­kraten vor allem mit Verlusten bei Linken und Grünen erkauft sind – ein demoskopis­ches Nullsummen­spiel.

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Foto: Friso Gentsch, dpa Im Wahlkampfm­odus: Hat Martin Schulz bei seinem Auftritt in Bielefeld die Lage am Arbeitsmar­kt schlechter gemalt, als sie tatsächlic­h ist?

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