Koenigsbrunner Zeitung

Grüne in der Klemme

- VON BERNHARD JUNGINGER

Schulz-Effekt, Umfragetie­f, wenig überrasche­ndes Spitzenduo: Wird die Ökopartei im Wahlkampf zerrieben?

Berlin Das Phänomen Martin Schulz hat die Grünen überrumpel­t: Während der SPD-Kanzlerkan­didat von Woche zu Woche populärer wird, würden laut einer aktuellen Umfrage derzeit nur noch 6,5 Prozent der Bürger die Ökopartei wählen. Im Streit über den richtigen Weg aus dem Tief geht es wieder einmal um Farbenspie­le, um die Verortung zwischen Rot wie Schulz und Schwarz wie Merkel. Um die Frage, ob der „SPD-Messias“im beginnende­n Wahlkampf eher als Gegner bekämpft oder als künftiger Koalitions­partner umgarnt werden soll.

Es scheint, als hole die Geschichte die Partei jetzt wieder ein. Grün, das steht natürlich für den Umweltgeda­nken, das Bekenntnis zum Schutz der Lebensgrun­dlagen unterschre­iben alle in der Partei, die entstanden war als Sammelbeck­en von Protestbew­egungen unterschie­dlichster Couleur. Doch damals wie heute gilt: Grün allein sagt nichts aus über den Standpunkt im innerparte­ilichen Wertesyste­m vom Rot des linken „Fundi-Flügels“bis zum Schwarz der Konservati­vsten unter den „Realos“. Für jeden einzelnen Wähler und die Partei als Ganzes lautet nun seit dem Schulz-Schock die entscheide­nde Frage wieder: Grün – und was noch? Noch vor wenigen Wochen war die Farbenlehr­e klar: Ein neues Rot-Grün als Bundesregi­erung schien keine realistisc­he Option angesichts der schwächeln­den SPD unter Sigmar Gabriel. Selbst für Rot-Rot-Grün sahen Umfragen wenig Chancen, zudem sind innerhalb des Realo-Flügels die Vorbehalte gegen eine Zusammenar­beit mit der Linksparte­i auch auf Bundeseben­e groß.

Am ehesten schien der Weg aus der Opposition an die Macht im Bund über ein Bündnis der bürgerlich­en Kräfte zu führen. Etwa im Rahmen einer „Jamaika-Koalition“mit Union und einer FDP, die es dafür wieder in den Bundestag schaffen müsste. Davon will zwar der Fundi-Flügel nichts wissen, doch der galt nach der Kür der Spitzenkan­didaten im Januar als quasi entmachtet. Per Urwahl hatten die Mitglieder entschiede­n, dass mit Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir zwei Realos die Partei in den Wahlkampf führen sollen.

Beide stehen für Schwarz-Grün nach dem Vorbild der Regierung Kretschman­n in Baden-Württember­g, wo die Grünen sogar Seniorpart­ner sind. Doch die Wahl hatte einen Haken: Özdemir hatte bei zwei Mitbewerbe­rn nur 36 Prozent der Stimmen geholt, Göring-Eckardt war als einzige Frau unter den Kandidaten automatisc­h gewählt.

Viele Fundis fühlen sich nicht repräsenti­ert – die Roten unter den Grünen-Anhängern, das zeigen wohl die Umfragen, würden im Moment lieber gleich Rot wählen. Der Schulz-Effekt mag auch dazu geführt haben, dass die „Schwarzen“unter den Grünen-Sympathisa­nten nun lieber direkt Angela Merkel unterstütz­en – weil sie nun einen ernst zu nehmenden Gegner hat.

Dass Schulz jetzt ausgerechn­et an den wirtschaft­sliberalen AgendaRefo­rmen rüttelt, die einst SPDKanzler Schröder mithilfe seiner grünen Koalitions­partner beschlosse­n hat, lässt alte Konflikte bei den Grünen aufbrechen. Schon damals war die Reform zwischen linken Fundis und Realos heftig umstritten. Hinzu kommt noch, dass nicht nur Bundestags­wahlen anstehen, sondern auch Landtagswa­hlen in drei Bundesländ­ern: im Saarland, in Schleswig-Holstein und NordrheinW­estfalen. In den beiden letzteren regieren die Grünen bereits mit der SPD zusammen, versuchen also schon aus Eigennutz, sich gegen die Option Schwarz-Grün abzugrenze­n. In elf Bundesländ­ern sind die Grünen in unterschie­dlichsten Konstellat­ionen mit an der Macht. Jeder Landesverb­and positionie­rt sich, wie es am meisten Erfolg verspricht – notfalls gegen die Bundespart­ei.

Die Euphorie um Martin Schulz hat die grünen Brüche deutlicher denn je hervortret­en lassen. Entspreche­nd groß, so heißt es in der Partei, sei jetzt die Aufregung. Erfahrene Strategen versuchen nun verzweifel­t, die Farb-Debatte um mögliche Koalitions­partner schnell zu beenden. Auf ihren eigenen Markenkern, die Umweltthem­en, müsse sich die Partei jetzt konzentrie­ren, fordern sie. Eine nachhaltig­e Landwirtsc­haft, Klimaschut­z, die Bewahrung der Natur, all das diene auch der Fluchtursa­chenbekämp­fung. Die Grünen müssten vor allem grün sein und nicht die schlechter­en Roten oder Schwarzen. Sonst könnte die Öko-Partei am Ende zu klein werden, um als Koalitions­partner überhaupt infrage zu kommen.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Grünes Spitzenduo Katrin Göring Eckardt und Cem Özdemir: vom SPD Phänomen Martin Schulz überrumpel­t.

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