Damit sich Schüler nicht grämen müssen
Viele deutsche Wörter sind Augsburger Jugendlichen nicht bekannt. Wie ein besonderes Programm ihnen hilft
Nicht alles ist für Schüler im Unterricht auf Anhieb zu verstehen. Etwa diese Geschichte aus der Bibel: Auf Anweisung von Elias werden 450 Baalspropheten getötet. Nach dieser Machtprobe muss Elias aus Israel fliehen, weil ihn Königin Isebel hinrichten lassen will. Das grämt ihn. Elias flieht in die Wildnis und ist bedrückt. Was so mancher Schüler nicht versteht, ist nicht etwa die Geschichte, sondern ein einziges Wort: „sich grämen“. „Viele Schüler kennen das Wort einfach nicht“, sagt Angelika Felber vom Jakob-Fugger-Gymnasium.
Ein anderes Beispiel. Heidemarie Brosche von der Schiller-Mittelschule sollte einem Schüler noch einmal etwas erklären. „Da habe ich gesagt, dass ich in meiner unendlichen Gütigkeit ihm das noch einmal wiederholen werde“, sagt die Lehrerin. Der Schüler wusste erst nicht, was Heidemarie Brosche zu ihm gesagt hatte. Denn das Wort „Gütigkeit“kannte er nicht.
Viele Kinder wachsen zweisprachig auf: 42 Prozent aller Augsburger haben Migrationshintergrund, bei den noch nicht Volljährigen liegt der Anteil noch weit höher. Auf der einen Seite lernen Kinder, die mit mehreren Sprachen aufwachsen, schnell neue Sprachen. Auf der anderen Seite haben sie aber, wenn es ins Detail geht, oft Defizite. Es fehlen deutsche Vokabeln. Das führt im Unterricht zu Missverständnissen, im schlimmsten Fall zu Unverständnis. Daneben gibt es Kinder aus bildungsfernen Haushalten, die dieselben Sprachdefizite mitbringen.
Das Problem wurde schon lange erkannt. Seit zwei Jahren wird an einem Förderprogramm für Schüler der Sekundarstufe gearbeitet, das sich „Vielfalt in Sprache und Bildung“nennt. Es ist eine Kooperation von Bildungsreferat und Staatlichem Schulamt. Neben dem JakobFugger-Gymnasium, Maria-Theresia-Gymnasium, Reischlesche Wirtschaftsschule, Albert-Einstein-Mittelschule, Kapellen-Mittelschule nimmt auch die Schiller-Mittelschule daran teil. Jeweils vier Lehrkräfte aus verschiedenen Fachbereichen und Jahrgangsstufen haben in den vergangenen zwei Jahren neun Fortbildungen besucht und die Erkenntnisse an ihren Schulen umgesetzt. Jeder hat dabei andere Akzente gesetzt. Am Jakob-Fugger-Gymnasium wurde verstärkt Wortschatzarbeit geleistet. Dort wird unter anderem das eigenständige Erschließen unbekannter Wörter trainiert, es gibt Suchspiele, Übungsmaterial für Vertretungsstunden und ein Wörterbuch für Deutschvokabeln. „Aschfahl“steht beispielsweise darin. Die Beschreibung eines blassen Gesichts ist vielen Kindern nicht geläufig.
Es gibt ein „Wort des Tages“, wenn ein neues unbekanntes Wort gelernt wurde, und den Titel „Wortschatzkönig“für denjenigen, der sich durch das Erklären eines besonderen Wortes hervorgetan hat. Felber: „Das Thema Wertschätzung ist uns auch sehr wichtig und wir versuchen, die Vielsprachigkeit der Schüler mit einzubeziehen. So haben die Jugendlichen das Brecht-Gedicht ‚Vergnügungen‘ in ihre Muttersprache übersetzt.“Wertschätzung und Toleranz werden auch am MariaTheresia-Gymnasium großgeschrieben, so Lehrer Udo Legner. Dort werde unter anderem mit einer fächerübergreifenden Jahrgangslektüre gearbeitet. Es gibt Lautlesetandems und Kreativspiele mit Sprache. Durch Bilder und Erklärungen wird an den Schulen den Schülern das Textverständnis erleichtert.
„Mit den positiven Beispielen und Ansätzen der Schulen soll nun ein Praxishandbuch für den ,kulturund sprachsensiblen Schulalltag‘ zusammengestellt werden“, sagt Ruth Hembacher-Sezer vom Staatlichen Schulamt. Die Lehrer wünschen sich, dass die Verlage von Schulbüchern künftig sprachsensiblere Texte verwenden werden. „Es geht nicht darum, dass die Texte leichter werden und das Niveau sinkt“, so Angelika Felber. Es gehe darum, die Methodik zu ändern und mehr Schüler mitzunehmen. „Das wäre eine große Hilfe, denn die Schüler verstehen oft die Texte in den Schulbüchern nicht“, sagt Heidemarie Brosche. Das erfolgreiche Projekt soll fortgeführt werden.