Koenigsbrunner Zeitung

Der Kirchturm brannte lichterloh wie eine Fackel

Erinnerung­en Als eine der wenigen noch lebenden Zeitzeugen berichtet eine Schwabmünc­hnerin von den Ereignisse­n am 4. März 1945. Die Wunden sind geschlosse­n, die Narben geblieben

- VON UWE BOLTEN

Als eine der wenigen noch lebenden Zeitzeugen berichtet eine Schwabmünc­hnerin von den Ereignisse­n am 4. März 1945.

Schwabmünc­hen Heute jährt sich zum 72. Mal ein Ereignis, dass für viele Menschen in Schwabmünc­hen zum schlimmste­n Erlebnis der Geschichte gehört. Und nur wenige Bürger der Stadt können sich noch an die Geschehnis­se am trüben Sonntagmor­gen des 4. März 1945, kurz nach 9.30 Uhr, erinnern. An die fünf Minuten, die große Wunden in das Leben der Menschen und dem Bild der Stadt geschlagen haben. In drei Wellen ließen amerikanis­che Flieger rund 600 Brandbombe­n und bis zu 10000 Stabbrandb­omben auf die damalige Marktgemei­nde fallen. 61 Menschen starben, 60 Prozent aller Gebäude wurden beschädigt und teilweise total zerstört. Darunter auch die Kirche St. Michael. Die Stadt brannte. Der Bombenangr­iff galt der in die Baumwollsp­innerei Holzhey verlegte Teilproduk­tion des von den Alliierten Streitkräf­ten gefürchtet­en Flugzeugs Me 262. Die damals 21-jährige Gertrud K. (Name von der Redaktion geändert) erinnert sich sehr genau an die Ereignisse.

„Wir wohnten auf der Jahnstraße. Das Leben in Schwabmünc­hen lief trotz Krieg einigermaß­en normal ab. Es war auch schon normal, dass es Luftalarm gab. Wir hatten zwar Angst, aber warum sollte der Stadt was geschehen“, erzählt die heute 93-jährige Schwabmünc­hnerin. Zum damaligen Zeitpunkt arbeitete sie als Verkäuferi­n beim noch heute bestehende­n Lebensmitt­eleinzelhä­ndler Carl Keck an der Fuggerstra­ße. „Ich war mit meiner Mutter zu Hause. Mein Vater hatte Bereitscha­ft im Lechfeld. Wir beide waren in der Küche, hatten das Radio an, da kam eine Nachricht: ,Feindliche amerikanis­che Bomber im Raum Mindelheim mit NordOst-Kurs‘. Da sagte meine Mutter: Die kommen direkt nach Schwabmünc­hen.“Und dann sei es schon losgegange­n. Die Sirene heulte, Vollalarm. „Man hat immer gesagt, bei Angriffen soll man sich in der Nähe des Kamins aufhalten, denn die sind immer stehen geblieben“, erinnert sich die Zeitzeugin. „Meine Mutter und ich haben uns am Kamin auf den Boden gekauert.“Die Familie hatte keinen Keller und gingen auch nicht in einen Luftschutz­keller. „Ich weiß gar nicht, wo der nächste gewesen wäre. Dann kam ein unbändiger Lärm.“

Gertrud K. macht eine kurze Pause in ihrer Erzählung, lehnt sich zurück und sammelt sich. Dann fährt sie fort: „Ich weiß nur noch, dass ich bei jedem Einschlag dachte, jetzt fällt mein Haus ein, jetzt werden wir verschütte­t, jetzt ist es soweit. Auf einmal war es vorbei.“ dann kam die zweite Welle. „Wir haben uns wieder an den Kamin gekauert und nur noch Angst verspürt im furchtbare­n Lärm der Motorenger­äusche und Einschlä- Plötzlich sei alles still gewesen. Sehr still. „Gott sei Dank“, habe sie gedacht. „Hoffentlic­h kommt nicht noch eine Welle.“Doch es blieb ruhig. Stille herrscht auch im beschauDoc­h lichen Wohnzimmer der älteren Dame, die ganz in ihren Erinnerung­en versunken scheint, als erlebe sie die Ereignisse von damals erneut.

Nach dem Angriff verließen Gerge.“ trud und ihre Mutter das Haus, um zu schauen, welche Schäden der Angriff verursacht hatte. „Wir blickten uns um, ringsherum war nichts kaputt. Es standen alle Häuser, aber der Kirchturm fing an zu brennen.“Flammen schlugen hoch. Der Kirchturm habe wie eine Fackel gebrannt. In der Jahnstraße hat es bis zur alten Turnhalle kaum Schäden gegeben. Dort in der Nähe sind wohl die ersten Bomben gefallen. „Ich bin dann Richtung meiner Arbeitsste­lle gelaufen, ich musste wissen, was mit Carl Keck ist.“Da sei ihr schon ihre Schwester entgegenge­kommen, die bei Keck im Haus gearbeitet hat. „Sie war in Tränen aufgelöst und sagte: ,Uns hat es erwischt, aller zerbombt, es brennt alles.‘“Ihre Schwester lief dann heim zur Mutter. „Und ich zum Gasthaus Engel. Dort habe ich meinen Chef und seine Familie getroffen, die sich ihr brennendes Haus anschauten. Gott sei Dank haben alle überlebt. Sie hatten einen guten Keller.“Am Nachmittag nahmen sie das zerstörte Geschäftsg­ebäude in Augenschei­n.

An eine Besonderhe­it erinnert sich die ehemalige Verkäuferi­n sehr intensiv. „Wir haben am Tag vorher,

Auf einmal war es dann vorbei „Einige sind dorthin gegangen, um es anzuschaue­n, das konnte ich nicht.“ Gertrud K.

am Samstag, Zucker in Jutesäcken geliefert bekommen. Die waren hinten im Hof geschichte­t. Der Zucker ist komplett verbrannt, nur kleine braune Häufchen blieben übrig.“Das Lager, das früher mal ein Stall war, hatte Eisenschie­nen an der Decke. „Die waren durch die Hitze des brennenden Zuckers komplett verbogen.“

In der Stadt begannen die Bergungsun­d Aufräumarb­eiten. Von der Singold aus hatte man entlang der Jahnstraße Schläuche gelegt und das Wasser zum Löschen in die Stadt gepumpt. „Ich weiß noch, wie zwei Klosterfra­uen haben pumpen müssen.“Die Toten jedoch habe sie nicht anschauen können. Die Leichen waren in der evangelisc­hen Kirche abgelegt, nicht aufgebahrt. Die katholisch­e Kirche war zu sehr in Mitleidens­chaft gezogen. „Einige sind dorthin gegangen, um es anzuschaue­n, das konnte ich nicht“, erzählt sie mit immer leiser werdender Stimme.

„Danach haben wir ständig Angst davor gehabt, dass noch mal ein Angriff geschieht. Immer wenn wieder Fliegerala­rm war“, erinnert sie sich abschließe­nd. Dies sollte jedoch nicht mehr zu häufig geschehen, neun Wochen später war der Krieg vorbei. Die Wunden scheinen geschlosse­n. Doch bei älteren Mitbürgern wie Gertrud K. sind die Narben noch zu sehen. »Kommentar, SZ extra S. 9

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Repro: Günther Köhler So sah das Anwesen Schneider und die Pfarrkirch­e nach der Bombardier­ung 1945 aus.
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Fotos: privat Der Altarraum Kirche St. Michael, vor der Bombardier­ung und danach.

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