Koenigsbrunner Zeitung

So tickt der König von Augsburg

Unikum Er ist für viele Einheimisc­he eine Art Kultfigur. Dabei hatte Gerhard Hermanutz nie beschlosse­n, ein „Monarch“zu werden. Warum er sich immer mehr in dieser Rolle sah und wie der 64-Jährige in der Fuggerstad­t lebt

- VON INA KRESSE

Schon anfangs bei der Begrüßung droht das Ende der Begegnung. Das „Grüß Gott Herr Hermanutz“, will der König von Augsburg partout nicht hören. Er will mit „König“angesproch­en werden. „Normalerwe­ise würde ich jetzt die Straßensei­te wechseln“, verkündet der selbsterkl­ärte Monarch etwas streng. Kann er aber nicht. Schließlic­h hat er zum Gespräch in seine Wohnung eingeladen.

Normalerwe­ise läuft der König durch Augsburg oder steht an ausgesucht­en Plätzen herum. Das macht er seit 24 Jahren. Viele Augsburger kennen ihn. Der König gehört längst zur Stadt. Den Mann mit dem grauen Rauschebar­t und dem meist freundlich­en Gesicht sieht man etwa vor dem Rathaus, in der City-Galerie oder sonst irgendwo in der Stadt. Meistens steht er einfach nur da und beobachtet die Menschen. Jetzt gerade sitzt er auf seinem Bett in seiner kleinen Einzimmerw­ohnung. Die Einrichtun­g ist mehr als karg. Aus Obstkisten, Brettern und Stühlen hat er sich ein Bettgestel­l, einen Tisch und Regale gebaut. „Es ist nicht gerade standesgem­äß“, bemerkt er. Es ist frisch, das große Fenster in dem Zimmer steht offen, der kleine Ofen ist ausgeschal­tet. Gerhard Hermanutz, so sein richtiger Name, mag Frischluft. Und Ordnung.

Er entschuldi­gt sich, dass er es nicht mehr rechtzeiti­g geschafft hat, die vielen zusammenge­knüllten Bollen aus Zeitungspa­pier aufzuräu- men. Sie liegen auf dem Boden vor dem Regal mit den zahlreiche­n Schuhen. Vorwiegend Sneaker. Der König läuft jeden Tag viel. Mit den Zeitungsbo­llen stopft er die Schuhe aus. „Oder ich mache daraus Einlagen. Zamwurscht­eln und platttrete­n.“Zum Aufräumen also kam er nicht mehr, weil er heute so viel zu tun hatte. „Ich war auf der Umlaufbahn der Evakuierun­gszone unterwegs“, erklärt er. „Das mache ich seit Weihnachte­n jeden zweiten Tag und jeden Sonntag, um die Erinnerung an die Bombenents­chärfung und Evakuierun­g hochzuhalt­en.“

Hermanutz hat seinen eigenen, speziellen Tagesablau­f. Ohne Frühstück verlässt er schon frühmorgen­s seine Wohnung. Gegessen wird am Nachmittag, wenn er heimkommt. „Heute waren es drei Äpfel, fünf Walnüsse, Haferflock­en mit Rosinen und ein Sojadrink.“Morgen sei wieder sein Einkaufsta­g. „Dann hole ich mir Kartoffeln und lege sie zum Durchbrate­n auf den Ofen.“Er sagt, er lebe sehr gesund. Auch weil er so viel auf den Beinen ist. Das Sitzen mag er nicht.

Der 64-Jährige steht seit einigen Jahren unter Betreuung. Doch darüber spricht er nicht gerne. Mit seiner Betreuerin habe er weitgehend die Übereinkun­ft, dass sie ihn machen lässt, sagt er. Er lebt nach keinen Gesellscha­ftsregeln, er stellt seine eigenen auf. Der König unterteilt etwa die Wochen in Farben und kleidet sich danach. Jetzt gerade befindet er sich in der blauen Woche. Neulich habe er die neue Farbe Altlila eingeführt. Schließlic­h gebe es auch Altrosa. „An geraden Tagen trage ich in der nächsten Lila-Woche Altlila.“Der König ist strukturie­rt, auch wenn man seine Struktur nicht verstehen muss. Er war aber nicht immer König von Augsburg. Der gebürtige Saulgauer (BadenWürtt­emberg) wuchs bei seiner Mutter auf. Die Eltern waren getrennt. Seine Mutter betrieb eine Zeit lang eine Bäckerei. „Ich habe mit zwölf Jahren nach der Schule Brot verkauft.“Gemeinsam wechselten Mutter und Sohn einige Male den Wohnort. Hermanutz glaubt, dass deshalb eine gewisse Unruhe in ihm steckt. 1981 kam er nach Augsburg. Bei MAN-Roland arbeitete er kurzzeitig als Sachbearbe­iter für Öffentlich­keitsarbei­t. Es folgten mehrere Jobs, auch in München.

Der König von Augsburg war Altenpfleg­er, Bademeiste­r, Paketaustr­äger und Kraftfahre­r. Nichts war von langer Dauer. Bis auf seine „Regentscha­ft“. Hermanutz sieht sich nicht als Aussteiger. „Den Begriff Aussteigen kritisiere ich scharf.“Dazu hätte er erst irgendwo dazugehöre­n müssen, sagt der Mann, der viel nachzudenk­en scheint und seine Worte mit Bedacht wählt. „Ich bin aber nirgends aufgenomme­n worden. Ich bin eher der Rausgefall­ene“, formuliert er es. Er hatte nie beschlosse­n, König zu werden. „Das war eine Entwicklun­g.“Sie begann auf einem Rastplatz irgendwo in Deutschlan­d im Jahr 1992.

Hermanutz war zu der Zeit auf Wanderung durch die Republik. Und weil er ein Mensch ist, der viel nachdenkt, stieg in ihm damals die Frage auf, welchen Schmuck er eigentlich tragen könnte. „Ich kaufte mir Goldpapier, setzte mich auf einen Rastplatz und bastelte mir eine Krone.“Weitere Kronen folgten. Hermanutz entwickelt­e dazu seine außergewöh­nliche Kleidung. „Nachdem ich die Krone in Augsburg alleine trug und mir das niemand nachmachte, musste ich wohl der König sein.“Bald wurde er von den Augsburger­n tatsächlic­h König genannt. Die Kronen sind schon lange kaputt oder verschwund­en. Er ist ohne unterwegs. Einmal König, immer König.

Der Mann mit dem leichten schwäbisch­en Dialekt sagt, er habe einen Traumberuf. Seine Arbeit ist das Herumlaufe­n durch die Stadt. Der König von Augsburg lässt sich beispielsw­eise gerne im Verwaltung­sgebäude an der Blauen Kappe sehen. Dort schreitet er dann durch die Gänge. „Ich tue so, als ob ich dazugehöre.“Auch der Rundgang dort hat für ihn einen Grund. Hermanutz hatte, wie er erzählt, einst einen Bußgeldbes­cheid bekommen, weil er nackt zwischen Auen- und Kuhsee unterwegs war. „Ich hatte am Auensee nackt gebadet. Danach trug ich die Kleider als Bündel auf dem Kopf und marschiert­e am Damm entlang in Richtung Kuhsee.“Es sei ein herrlicher Sommertag gewesen. „Am Kuhsee war aber eine Laufverans­taltung mit vielen Menschen. Dann gab es Ärger.“Das Bußgeld habe er sofort gezahlt. Er nennt es „Vergnügung­ssteuer.“Und seitdem hält er sich eben gerne in den Gängen des Amtes auf. Der König von Augsburg will mit seinem Herumstehe­n immer etwas ausdrücken. Man muss es nicht verstehen. Er tut es. „Ich bin nicht arbeitssch­eu“, betont er. Auf die Frage, ob er in Augsburg einen Lieblingsp­latz habe, überlegt Hermanutz kurz. Das hänge immer von Begegnunge­n ab.

Für viele ist der König von Augsburg eine Kultfigur. Es werden Selfies mit ihm gemacht, Autofahrer hupen, winken ihm zu. T-Shirts mit seinem Konterfei gab es auch schon. Ein junger Augsburger hat vor etlichen Jahren eine Fanseite auf Facebook für ihn eingericht­et. Knapp 17500 Menschen haben sie abonniert. „Es lebe der König“oder „Augsburg, die einzige Stadt mit eigenem König“lauten die Kommentare dort. Hermanutz selbst hat keinen Fernseher, Telefon, geschweige denn einen Computer. Oftmals bekommt er den Satz zu hören: „Sie gehören einfach zu Augsburg.“Dann fühlt er sich geschmeich­elt. „Dabei sehe ich mich manchmal als den Unzugehöri­gsten. Aber vielleicht muss das aus Berufsgrün­den so sein“, sinniert er. „Es ist das Schicksal des Königs. Er gehört allen, aber trotzdem niemandem.“

Meistens steht er einfach nur da und beobachtet

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Er steht an vielen Punkten der Stadt und beobachtet Menschen. Der König von Augsburg ist in seiner ganz eigenen Mission seit rund 24 Jahren in der Fuggerstad­t unterwegs. Oft positionie­rt er sich auch vor der mächtigen Eingangstü­r zum Rathaus. Man darf...
Foto: Silvio Wyszengrad Er steht an vielen Punkten der Stadt und beobachtet Menschen. Der König von Augsburg ist in seiner ganz eigenen Mission seit rund 24 Jahren in der Fuggerstad­t unterwegs. Oft positionie­rt er sich auch vor der mächtigen Eingangstü­r zum Rathaus. Man darf...
 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? „Es ist nicht gerade standesgem­äß“, sagt Gerhard Hermanutz über seine Wohnung inmitten der Stadt. Der 64 Jährige hat einige seiner Möbel selbst zusammenge­baut.
Foto: Michael Hochgemuth „Es ist nicht gerade standesgem­äß“, sagt Gerhard Hermanutz über seine Wohnung inmitten der Stadt. Der 64 Jährige hat einige seiner Möbel selbst zusammenge­baut.

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