Koenigsbrunner Zeitung

76 Jährige lebt nach Überfall in ständiger Angst

Prozess Ein 20-Jähriger überfiel die Seniorin in ihrer Wohnung. Als er festgenomm­en wurde, gelang ihm die Flucht

- VON PETER RICHTER

Seine Festnahme im vorigen September war Routine. Doch als der 20-Jährige, an Händen gefesselt, im Augsburger Polizeiprä­sidium zum Erkennungs­dienst geführt wurde, gelang ihm die Flucht. Als er an einem Zimmer vorbeikam, dessen Fenster offen stand, rempelte er den ihn begleitend­en Beamten an und sprang aus dem ersten Stock auf den Gehweg an der Gögginger Straße.

Nur 30 Minuten später lief der Flüchtende im Zuge der Großfahndu­ng drei Polizisten in die Arme, die ihn am Wertach-Wehr festnahmen. Verblüfft stellten sie fest: Er trug andere Kleidung. Hose und Hemd hatte er auf seinem Fluchtweg von einer Wäschelein­e geklaut.

Der junge Marokkaner stand am Donnerstag vor einem Schöffenge­richt und wurde verurteilt. Für dreieinhal­b Jahre muss er ins Gefängnis. Doch seine Flucht spielte im Prozess nur eine untergeord­nete Rolle. Denn zwei Wochen, bevor ihn die Polizei in einer Asylunterk­unft im Landkreis Günzburg erstmals festnahm, hatte er im Augsburger Stadtteil Pfersee nachts eine Frau in ihrem Wohnhaus überfallen und verletzt. Die 76-Jährige kam mit ihrem Enkel, der an diesem Tag seinen Geburtstag feierte, gegen 23 Uhr nach Hause. Der 14-Jährige sollte bei ihr übernachte­n. Als es klingelte, hörte sie über die Sprechanla­ge nur Wortfetzen eines Mannes. Sie glaubte „Licht“und „Auto“zu verstehen. Als sie die Haustür einen spaltbreit öffnete, wurde diese mit Wucht aufgestoße­n. Der Unbekannte versetzte ihr einen Faustschla­g ins Gesicht, der ihre Brille zertrümmer­te. Der Täter drückte ihr mit dem Arm den Hals zu – bis ihr Enkel, alarmiert durch ihre Hilfeschre­ie, aus dem Bad kam. Der Täter flüchtet.

Erkennbar aufgewühlt sagte die Zeugin jetzt im Prozess: „Ich dachte, er macht mich weg.“Und als Richter Günther Baumann nachfragt: „Ich habe Todesangst gehabt.“Ihr Auftritt vor Gericht verriet: Die Augsburger­in ist seit dem Überfall schwer traumatisi­ert. Aufgeregt berichtete die Zeugin: „Bei jedem Klingelton habe ich heute Angst, schlafe schlecht.“Sie traue sich nachts nicht mehr allein aus dem Haus.

Dass der Angeklagte den Überfall verübt hat, stand schon früh fest. Seine DNA wurde unter Fingernäge­ln seines Opfers gefunden. Denn der 20-Jährige, der als Jugendlich­er mit Hilfe von Schleppern nach Deutschlan­d kam, ist für die Justiz ein alter Bekannter. In den letzten zwei Jahren stand er in Günzburg, Memmingen und Augsburg allein sechs Mal vor Gericht. Immer wegen Diebstähle­n. Zuletzt war er am 17. August 2016 zu einer Bewährungs­strafe verurteilt worden. Nur zwei Wochen später überfiel er die Augsburger­in in ihrem Haus.

Und warum? Der Angeklagte und sein Verteidige­r stellten im Prozess das Geschehene als Missverstä­ndnis dar. Sein Mandant, so Anwalt Jörg Seubert, habe geglaubt, in dem Haus wohne ein Landsmann, den er habe zur Rede stellen wollen. Doch weder Staatsanwa­ltschaft noch Gericht überzeugte­n sie. Wie Richter Baumann im Urteil feststellt, hat sich der Angeklagte des versuchten Raubs und der gefährlich­en Körperverl­etzung schuldig gemacht. Der 20-Jährige hatte das Haus vermutlich schon länger beobachtet und wusste, dass die Seniorin alleine lebt. Staatsanwa­lt und Gericht bescheinig­ten dem Angeklagte­n „ein hohes Maß an schädliche­n Neigungen“. Der Marokkaner saß bereits im jugendlich­en Alter, als er noch in Casablanca lebte, im Gefängnis.

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