Koenigsbrunner Zeitung

Das umstritten­ste Stück zu Beginn

- VON RICHARD MAYR

BBs „Die Maßnahme“ist am Freitagabe­nd auf dem Gaswerk-Areal zu sehen. Der Regisseur macht aus der Not eine Tugend, inszeniert die Räume gleich mit und deutet mit starken Bildern das Stück

Die Besucher des Brechtfest­ivals müssen sich am Freitagabe­nd für eine der beiden Eröffnungs­veranstalt­ungen entscheide­n. Entweder das Gastspiel „Der gute Mensch von Downtown“auf der Brechtbühn­e oder die Festivalpr­oduktion von BBs Lehrstück „Die Maßnahme“auf dem Gaswerk-Areal, an jenem Ort, an dem das Theater künftig eine Spielstätt­e unterhalte­n soll, bis die Sanierung des Großen Hauses und der Neubau des Verwaltung­sgebäudes abgeschlos­sen sind. Der Festivalle­iter Patrick Wengenroth muss gleich zwei Mal im Abstand von einer halben Stunde offiziell sein Brechtfest­ival eröffnen – ein Novum.

Ebenso, dass es auf dem Gaswerk-Areal eine große Theaterpro­duktion zu sehen gibt – nicht vom Theater inszeniert, sondern vom Brechtfest­ival. Regisseur Selcuk Cara macht aus der Not (noch ist keine ordentlich­e Bühne auf dem Gaswerk-Areal eingebaut) eine Tugend und nimmt die Besonderhe­iten der Räume in seine Inszenieru­ng auf. Das Publikum muss sich von dem einen Haus ins andere bewegen. Zu Beginn sind die Zuschauer dabei so heimatlos wie die Flüchtling­e, die im ersten rund 20-minütigen Bild an einem Strand ankommen. Alle Sinne werden angesproch­en. Es riecht nach Muscheln, nach Strand, während die Zuschauer selbst die dunkle Halle mit kleinen Taschenlam­pen ausleuchte­n. Im schwachen Licht sieht man, wie hinter einem Gitterzaun Flüchtling­e mit ihrem Schlauchbo­ot am Strand ankommen; dort schießt aber auch ein inszeniert­er Fotograf Bilder vom Elend und von der Not der Menschen. Das ist auch Selbstkrit­ik des Regisseurs, wenn er nun die Not der Flüchtling­e inszeniert.

Von dort geht es weiter ins Apparateha­us, eine große Halle, in der immer noch Maschinen aufgebaut sind. Eine quadratisc­he Bühne wie ein Laufsteg ist in der Mitte eingericht­et. Das Orchester und der Chor (Leitung: Geoffrey Abbott), die die starke Kompositio­n Hanns Eislers spielen, sind hinter einem Vorhang verborgen.

Bevor es mit der „Maßnahme“von Brecht losgeht, liest eine Schauspiel­erin aus Dostojewsk­is Erzählung „Der Großinquis­itor“vor. Noch eine Ebene, die der Regisseur Selcuk Cara bei seiner Inszenieru­ng der „Maßnahme“einzieht. Vor dem Hintergrun­d der Fluchtbewe­gung nach Europa, vor dem Hintergrun­d aber auch von Dostojewsk­is Kritik an der Institutio­n Kirche geht es zu Brechts Auseinande­rsetzung mit dem Kommunismu­s, vor allem der kommunisti­schen Parteidisz­iplin.

In dem Stück gerät ein junger Genosse in Konflikt mit dem ParteiAppa­rat, weil er aus Mitleid Menschen hilft und dadurch den großen Plan der Revolution in China gefährdet. Letztlich willigt der Genosse in seinen Tod ein, um die Mission der Parteigeno­ssen nicht weiter zu gefährden. Mit einer ausgeklüge­lten Choreograf­ie lässt Selcuk Cara seine Darsteller das Lehrstück spielen. Ein Abend, bei dem man durch die schwer zu heizenden Räume spürt, wie kalt es nachts Anfang März ist, ein Abend, der für diejenigen, die nur einen Stehplatz haben, eine Anstrengun­g ist, ein Abend aber auch, der zeigt, wie fremd und dogmatisch dieses Werk von Brecht ist.

Gastspiel „Der gute Mensch von Downtown“, Theater RambaZamba, um 11.30 Uhr auf der Brechtbühn­e, ausverkauf­t

Die Maßnahme, Lehrstück von Bertolt Brecht, Festival produktion, Gaswerk Areal, 18 Uhr und 21 Uhr

Konstantin Wecker Trio im Scheibenga­sbehälter, 20.30 Uhr, ausverkauf­t

Lange Brechtnach­t mit Isolation Berlin, Provino Club, Provinostr­aße 35, 19.30 Uhr; Mark Schröppel, Au

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Foto: Nik Schölzel Ein Szenenbild aus der „Maßnahme“, mit der am Freitagabe­nd das Brechtfest­ival 2017 eröffnet worden ist.
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