Das umstrittenste Stück zu Beginn
BBs „Die Maßnahme“ist am Freitagabend auf dem Gaswerk-Areal zu sehen. Der Regisseur macht aus der Not eine Tugend, inszeniert die Räume gleich mit und deutet mit starken Bildern das Stück
Die Besucher des Brechtfestivals müssen sich am Freitagabend für eine der beiden Eröffnungsveranstaltungen entscheiden. Entweder das Gastspiel „Der gute Mensch von Downtown“auf der Brechtbühne oder die Festivalproduktion von BBs Lehrstück „Die Maßnahme“auf dem Gaswerk-Areal, an jenem Ort, an dem das Theater künftig eine Spielstätte unterhalten soll, bis die Sanierung des Großen Hauses und der Neubau des Verwaltungsgebäudes abgeschlossen sind. Der Festivalleiter Patrick Wengenroth muss gleich zwei Mal im Abstand von einer halben Stunde offiziell sein Brechtfestival eröffnen – ein Novum.
Ebenso, dass es auf dem Gaswerk-Areal eine große Theaterproduktion zu sehen gibt – nicht vom Theater inszeniert, sondern vom Brechtfestival. Regisseur Selcuk Cara macht aus der Not (noch ist keine ordentliche Bühne auf dem Gaswerk-Areal eingebaut) eine Tugend und nimmt die Besonderheiten der Räume in seine Inszenierung auf. Das Publikum muss sich von dem einen Haus ins andere bewegen. Zu Beginn sind die Zuschauer dabei so heimatlos wie die Flüchtlinge, die im ersten rund 20-minütigen Bild an einem Strand ankommen. Alle Sinne werden angesprochen. Es riecht nach Muscheln, nach Strand, während die Zuschauer selbst die dunkle Halle mit kleinen Taschenlampen ausleuchten. Im schwachen Licht sieht man, wie hinter einem Gitterzaun Flüchtlinge mit ihrem Schlauchboot am Strand ankommen; dort schießt aber auch ein inszenierter Fotograf Bilder vom Elend und von der Not der Menschen. Das ist auch Selbstkritik des Regisseurs, wenn er nun die Not der Flüchtlinge inszeniert.
Von dort geht es weiter ins Apparatehaus, eine große Halle, in der immer noch Maschinen aufgebaut sind. Eine quadratische Bühne wie ein Laufsteg ist in der Mitte eingerichtet. Das Orchester und der Chor (Leitung: Geoffrey Abbott), die die starke Komposition Hanns Eislers spielen, sind hinter einem Vorhang verborgen.
Bevor es mit der „Maßnahme“von Brecht losgeht, liest eine Schauspielerin aus Dostojewskis Erzählung „Der Großinquisitor“vor. Noch eine Ebene, die der Regisseur Selcuk Cara bei seiner Inszenierung der „Maßnahme“einzieht. Vor dem Hintergrund der Fluchtbewegung nach Europa, vor dem Hintergrund aber auch von Dostojewskis Kritik an der Institution Kirche geht es zu Brechts Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, vor allem der kommunistischen Parteidisziplin.
In dem Stück gerät ein junger Genosse in Konflikt mit dem ParteiApparat, weil er aus Mitleid Menschen hilft und dadurch den großen Plan der Revolution in China gefährdet. Letztlich willigt der Genosse in seinen Tod ein, um die Mission der Parteigenossen nicht weiter zu gefährden. Mit einer ausgeklügelten Choreografie lässt Selcuk Cara seine Darsteller das Lehrstück spielen. Ein Abend, bei dem man durch die schwer zu heizenden Räume spürt, wie kalt es nachts Anfang März ist, ein Abend, der für diejenigen, die nur einen Stehplatz haben, eine Anstrengung ist, ein Abend aber auch, der zeigt, wie fremd und dogmatisch dieses Werk von Brecht ist.
Gastspiel „Der gute Mensch von Downtown“, Theater RambaZamba, um 11.30 Uhr auf der Brechtbühne, ausverkauft
Die Maßnahme, Lehrstück von Bertolt Brecht, Festival produktion, Gaswerk Areal, 18 Uhr und 21 Uhr
Konstantin Wecker Trio im Scheibengasbehälter, 20.30 Uhr, ausverkauft
Lange Brechtnacht mit Isolation Berlin, Provino Club, Provinostraße 35, 19.30 Uhr; Mark Schröppel, Au