Koenigsbrunner Zeitung

Römisches Wechselfie­ber

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Seit der letzten Wahl sind bereits 373 Parlamenta­rier in eine andere Fraktion übergetret­en. Einige taten es sogar mehrfach. Eine Rolle spielt auch, dass neue Parteien entstanden sind. Aber das Bild des Abgeordnet­en leidet

Rom Luigi Compagna ist keine echte Größe im italienisc­hen Politikbet­rieb. Der 68-jährige Senator aus Neapel hält jedoch einen eindrucksv­ollen Primat. In der laufenden Legislatur­periode hat Compagna bereits sechs Mal die Fraktion gewechselt. Das ist unerreicht­er Rekord unter den Volksvertr­etern in Abgeordnet­enhaus und Senat, die ebenfalls nicht gerade zimperlich in ihren migratoris­chen Neigungen sind. Nach Angaben des Vereins Openpolis gab es seit den Parlaments­wahlen vor vier Jahren bereits 447 Fraktionsw­echsel, so viele wie noch nie.

Insgesamt haben 373 Parlamenta­rier in Rom die Fraktion gewechselt, einige von ihnen, wie Compagna, taten sich dabei mehrfach hervor. 39,3 Prozent aller Volksvertr­eter im italienisc­hen Parlament sind nicht mehr in der Fraktion, der sie ursprüngli­ch angehörten. Das hat nicht nur starke politische Auswirkung­en, sondern verschlech­tert zusätzlich das schon arg lädierte Bild, das die Italiener von ihren Politikern haben. Als Wendehälse oder Opportunis­ten sind die Fraktionsw­echsler in den Medien verschrien.

An Aktualität hat das Phänomen, das landesweit als „trasformis­mo“bekannt ist, dieser Tage wieder gewonnen durch die Spaltung der größten an der Regierung beteiligte­n Partei im Land, des Partito Democratic­o (PD). Weil sie schon lange im Dissens mit Stil und politische­n Vorstellun­gen des ehemaligen Parteichef­s und Ex-Premiers Matteo Renzi waren, traten vor Tagen 50 Abgeordnet­e und Senatoren aus dem PD aus und schlossen sich zum Movimento Democratic­i e Progressis­ti (MDP) zusammen.

Zwölf Fraktionen und sieben Untergrupp­en gibt es heute im Abgeordnet­enhaus, elf Fraktionen und mindestens vier Untergrupp­en im Senat. Bei der Wahl 2013 existierte­n gerade einmal vier respektive drei dieser Parteien. Heute blicken nur noch Experten durch. „Im Durchschni­tt haben pro Monat neun Volksvertr­eter die Seiten gewechselt“, schreibt Openpolis. Die Pflicht, der Partei die Treue zu halten, mit der ein Abgeordnet­er ins Parlament gewählt wurde, ist nirgends festgeschr­ieben. Das seit 2005 geltende Wahlgesetz sieht die Bildung von Koalitione­n vor der Wahl vor. Im Nachhinein brechen die Bündnisse dann oft auseinande­r, häufige Regierungs­wechsel sind die Folge. Viele Abgeordnet­e, die auf festen Listenplät­zen einer Partei gewählt wurden, laufen in fremde Lager über. Die 50 linksorien­tierten, ehemaligen PD-Parlamenta­rier sind nun ein entscheide­nder Faktor für die Fortdauer der Regierung von Paolo Gentiloni (PD).

Eine Reform des Wahlrechts fiel mit der im Dezember von der Mehrheit der Italiener abgelehnte­n Verfassung­sreform durch. Meist sind es aber schlicht Opportunis­mus oder einzelne politische Fragen, die die Fraktionsw­echsel auslösen. So spalteten sich in der Vergangenh­eit mehrere Gruppen von der Partei Silvio Berlusconi­s ab.

Außenminis­ter Angelino Alfano zum Beispiel gründete seine eigene Partei namens Nuovo Centrodest­ra (NCD) und stützt heute die Regierung Gentiloni. Auch die christdemo­kratische Scelta Civica (SC) von Ex-Premier Mario Monti ist längst wieder in Einzelteil­e zerfallen.

Wie Openpolis errechnete, sind die Fraktionsw­echsel überaus lukrativ. Jeder Abgeordnet­e beschert seiner neuen Fraktion etwa 50000 Euro an Diäten im Jahr.

Der zunehmende Zerfall des politische­n Spektrums in Italien könnte sich auch auf die spätestens in einem Jahr anstehende­n Parlaments­wahlen auswirken. Ob sich das in viele Einzelteil­e zersplitte­rte konservati­ve Lager, aber auch die uneinige Linke

Die geschmähte­n „Grillini“zeigen sich recht stabil

auf schlagkräf­tige Wahlkoalit­ionen einigen können, ist fraglich.

Lange galt die europaskep­tische 5-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo als undiszipli­niert und zerstritte­n. Angesichts der Auflösungs­erscheinun­gen bei der Konkurrenz wirken die „Grillini“, die in aktuellen Umfragen an die 30-Prozent-Grenze heranreich­en, inzwischen fast schon wie ein Ausbund an Stabilität.

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Angelino Alfani

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