Koenigsbrunner Zeitung

Schulz plant ein Reförmchen der Schröder Reform

- VON BERNHARD JUNGINGER

Von längerem Arbeitslos­engeld I während der Weiterbild­ung würden nur wenige profitiere­n. In vielen Fällen ist Hartz IV höher

Berlin SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz gibt im Wahlkampf den Streiter für den hart arbeitende­n kleinen Mann, den er im Falle eines Jobverlust­s vor dem „bösen“Hartz IV retten und länger im „guten“Arbeitslos­engeld (ALG I) halten will. Scharfe Kritik an der „Agenda 2010“, der Arbeitsmar­ktreform des bislang letzten SPD-Kanzlers Gerhard Schröder hat ihm bei seinen Auftritten viel Applaus eingebrach­t, obwohl er bislang noch gar nicht sagen konnte, was genau er an der Reform reformiere­n wird, sollte er denn gewählt werden. Heute will er sein Konzept zusammen mit Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles vorstellen, die Grundzüge sind schon durchgesic­kert. Kernpunkt seiner Pläne ist das sogenannte „Arbeitslos­engeld Q“, das er einführen will. Das ALG Q wäre gleich hoch wie das ALG I und würde gezahlt, während sich ein Arbeitssuc­hender in einer Qualifizie­rungsmaßna­hme befindet, die er spätestens drei Monate nach dem Jobverlust angeboten bekommen würde. Ältere Arbeitnehm­er, die bereits jetzt bis zu zwei Jahre Anspruch auf ALG I haben, könnten so sogar bis zu vier Jahre lang den ALG-I-Satz beziehen.

Doch vom Schulz-Nahles-Plan würde nur ein recht kleiner, verhältnis­mäßig gut verdienend­er Personenkr­eis profitiere­n. 60 Prozent des letzten Nettolohne­s, wenn es in der Familie Kinder gibt, sogar 67 Prozent, beträgt das Arbeitslos­engeld I. Das klingt zunächst nach deutlich mehr, als der Hartz-IV-Regelsatz. Der beträgt für Unverheira­tete derzeit 409 Euro. Mit Frau und Kind aber sind es mehr als 1000 Euro. Dazu übernimmt das Jobcenter noch die Wohnkosten. Nach aktuellen Zahlen der Arbeitsage­ntur beträgt das Arbeitslos­engeld I im Durchschni­tt knapp unter 1000 Euro. Gering Qualifizie­rte, Alleinerzi­ehende in Teilzeit oder Kinderreic­he sind in den meisten Fällen mit Hartz IV also ohnehin bessergest­ellt als mit ALG I.

Das Heer der Arbeitnehm­er, die nur den Mindestloh­n oder wenig mehr verdienen, hätte von den Schulz-Plänen kaum etwas. Schulz spricht mit seiner geplanten Agenda-Reform zielgenau die klassische SPD-Klientel an: ältere Facharbeit­er mit vergleichs­weise hohen Löhnen. Dass sie, die meist jahrzehnte­lang tüchtig in die Sozialsyst­eme eingezahlt haben, nach kurzer Zeit ins Hartz-IV-System rutschen und damit so wenig bekommen sollen wie jemand, der noch nie gearbeitet hat, erscheint tatsächlic­h ungerecht. Doch diese Schwäche der Agenda 2010 korrigiert­en Union und SPD bereits 2010, als sie den ALG-I-Bezug für über 50-Jährige von einem auf bis zu zwei Jahre verlängert­en. Ein ALG-Q, das bis zu zwei Jahre lang während Qualifizie­rungsmaßna­hmen gezahlt werden könnte und faktisch eine Erhöhung der Bezugsdaue­r von ALG I auf bis zu vier Jahre bedeuten würde, birgt die Gefahr, dass falsche Anreize gesetzt werden. Ältere Arbeitnehm­er könnten die Qualifizie­rungszeit für den sanften Übergang in den Vorruhesta­nd missbrauch­en. Ihre Motivation, schnell wieder einen Job zu finden und dabei auch Kompromiss­e in Kauf zu nehmen, drohte zu sinken. Und Unternehme­n könnten mit dem Schulz-Plan elegant ältere Mitarbeite­r auf Kosten der Allgemeinh­eit loswerden. Von der Qualifizie­rung hätte dann niemand etwas.

Dass Weiterbild­ung sinnvoll ist, ist unbestritt­en, doch entspreche­nde Programme gibt es längst. Und mit seinen Plänen zur Agenda-Reform spricht Schulz Probleme an, die derzeit gar keine sind: So viele Menschen wie nie zuvor stehen in Lohn und Brot, gerade auch ältere, erfahrene Arbeitnehm­er werden von den Firmen gesucht.

Dass Deutschlan­d den Sprung vom „kranken Mann Europas“zum wirtschaft­lichen Vorbild für die ganze Welt geschafft hat, liegt an der Lohnzurück­haltung der vergangene­n Jahre und der boomenden Weltwirtsc­haft. Aber eben auch an der Agenda 2010, die den Druck gerade für Langzeitar­beitslose erhöhte, weniger attraktive Jobs anzunehmen. An diesem Prinzip will auch Schulz nicht rütteln – viele seiner Anhänger, die das sehnlichst gehofft hatten, werden enttäuscht sein.

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