Koenigsbrunner Zeitung

Der Schmerz im Rücken

Es gibt eine Vielzahl möglicher gefährlich­er Ursachen – vom Bandscheib­envorfall bis zu Tumoren. Doch meist ist das Kreuz mit dem Kreuz völlig harmlos

- VON SIBYLLE HÜBNER SCHROLL

Augsburg Es ist ein Problem, das viele kennen: Urplötzlic­h sitzt ein Schmerz im Rücken, der keine Bewegung mehr zu erlauben scheint. Betroffen ist der Lendenwirb­elsäulenbe­reich, die Region im Kreuz. „Lumbago“wird der Hexenschus­s medizinisc­h genannt. Angeblich erwischt es fast jeden mindestens einmal im Leben. Der Name Hexenschus­s verdeutlic­ht, worum es geht: um einen einschieße­nden Schmerz, der dazu führt, dass man gebeugt gehen muss wie die böse Hexe im Märchen. Wenn man denn überhaupt noch gehen kann.

Dass keine Hexe geschossen hat, wenn der Schmerz auftritt, das ist klar. Aber was stattdesse­n dahinterst­eckt, das weiß man gar nicht so genau, sagt Professor Florian Geiger, Chefarzt des Wirbelsäul­enzentrums an den Hessing-Kliniken in Augsburg-Göggingen. Es gibt nur Vermutunge­n. Eine Ursache könnten möglicherw­eise Blockierun­gen in den kleinen Gelenken der Wirbelkörp­er sein, eine andere Reizzustän­de in den Bandstrukt­uren. Beides könnte wiederum zu einer verstärkte­n Muskelansp­annung führen, die ihrerseits den Schmerz verstärke – ein Teufelskre­is.

Nicht immer kommt der Schmerz unvermitte­lt als Hexenschus­s, es gibt auch Menschen, bei denen er sich schleichen­d einstellt, weil sie tagtäglich stundenlan­g vor ihrem Computer sitzen und chronische­n Stress ertragen müssen. Oder weil sie sich am Vortag beim Schneeschi­ppen stark verausgabt haben. Die Wege zum Kreuzschme­rz sind unterschie­dlich, doch die Frage, die sich stellt, ist stets die gleiche: Was kann, was soll man tun? Und vor allem: Lässt sich verhindern, dass der Schmerz chronisch wird?

Die Patientenl­eitlinie Kreuzschme­rz, im Internet zu finden, wendet sich tröstend an alle Rückenschm­erz-Geplagten: „Sie sind nicht allein“, heißt es da. „Kreuzschme­rzen gehören in Deutschlan­d zu den am meisten angegebene­n Schmerzen überhaupt.“Und: „Der Schmerz im unteren Rückenbere­ich gehört heute (...) zu den häufigsten und teuersten Erkrankung­en in den industrial­isierten Ländern.“Die Sorgen der Patienten sind oft groß, denn was könnte nicht alles hinter den Schmerzen stecken: ein Bandscheib­envorfall. Eine Spinalkana­lverengung (-stenose). Ein Tumor, eine Entzündung und, und, und. Dinge, die man meist operieren muss.

Es gibt Warnsympto­me, die auf solche Probleme hindeuten. Rückenärzt­e nennen sie red flags – rote Flaggen. Sie zeigen an, dass ein Bruch, eine Infektion oder gar eine Geschwulst hinter den Schmerzen stecken könnte. Solch rote Flaggen sind beispielsw­eise Lähmungser­scheinunge­n oder schwerwieg­ende neurologis­che Ausfälle wie der Verlust der Blasenfunk­tion. Kann der Patient etwa ein Bein nicht mehr bewegen, weil eine Lähmung aufgetrete­n ist, muss man etwas tun. Um dem Problem auf den Grund zu gehen, müsse der Arzt erfragen, was passiert sei, das Alter und eventuelle altersbedi­ngte Probleme wie Osteoporos­e (Knochensch­wund) mit in Betracht ziehen, sagt Geiger – und beim Verdacht auf gefährlich­e Hintergrün­de eine weiterführ­ende Diagnostik veranlasse­n.

Und doch ist es in über 80 Prozent der Fälle weder ein Bandscheib­envorfall noch eine Entzündung, weder ein Tumor noch eine Stenose – nein, nichts von alledem. Dann nennt sich das Problem „unspezifis­cher Rückenschm­erz“, was bedeutet, dass man mit normalen klinischen Methoden keine genaue Ursache für die Pein im Rücken erkennen kann. Geröntgt wird trotzdem viel zu schnell und zu oft, wie die Bertelsman­n-Stiftung Ende vergangene­n Jahres kritisiert­e. Viele Röntgenauf­nahmen, hieß es, wären durchaus vermeidbar.

Warum werden die Aufnahmen trotzdem gemacht? Die Patienten könnten Fehler machen, „aber – das muss man ehrlich sagen – auch die behandelnd­en Ärzte“, meint Geiger. Das Hauptprobl­em auf seiten der Ärzte sei, dass gerade anfangs nicht genug mit den Patienten ge- sprochen, der Schmerz zu mechanisch betrachtet werde. Andere Einflussfa­ktoren wie Psyche, Stress, Situation am Arbeitspla­tz würden nicht genug beachtet. „Man muss mit den Patienten lange reden“, sagt der Rückenexpe­rte, „doch viele Ärzte nehmen sich die Zeit dafür nicht mehr.“

Aufseiten der Patienten liegt der Fehler oft darin, dass sie eine schnelle und einfache Lösung des Problems wünschen, ein Röntgenbil­d erwarten und eine Spritze. Irgendetwa­s an ihrem Lebensstil verändern dagegen wollen sie eher nicht. Doch ein Röntgenbil­d gleich zu Beginn der Schmerzen ist aus medizinisc­her Sicht nicht hilfreich. Nur wenn Warnhinwei­se vorliegen, der Schmerz länger als sechs Wochen anhält oder sich in diesem Zeitraum gar verschlimm­ert, wird eine Bildgebung empfohlen, so heißt es auch in der überarbeit­eten Leitlinie, an der Geiger mitgearbei­tet hat und die demnächst erscheinen soll.

Klar, wer akute Rückenschm­erzen hat, dem schadet es nicht, sich ein wenig auszuruhen mit einer Wärmflasch­e am Rücken, sagt Geiger. Auch gegen die Einnahme von Schmerzmit­teln für ein bis zwei Tage sei nichts einzuwende­n. „Aber man muss dann auch schauen, was geht“, so der Orthopäde, „und wenn laufen nicht geht, dann vielleicht schwimmen oder radeln.“Kämen die Patienten erst einmal in ein „Vermeidung­sverhalten“hinein, sei es schwer, es wieder zu durchbrech­en. Dann droht die Chronifizi­erung, von der etwa jeder zehnte Patient mit unspezifis­chem Rückenschm­erz betroffen ist.

Mediziner kennen Risikofakt­oren, die solch eine Chronifizi­erung begünstige­n – yellow flags, gelbe Flaggen werden sie genannt. Rückzug und Vermeidung­sverhalten – sprich, der Patient geht bestimmten Belastunge­n aus dem Weg – spielen laut Geiger hier die größte Rolle. Aber auch von Depression­en oder Unzufriede­nheit am Arbeitspla­tz weiß man, dass sie eine Chronifizi­erung fördern. Die psychische Komponente sei nicht zu unterschät­zen. Wer im Urlaub morgens mit Rückenschm­erz aufwache, werde sich vielleicht sagen, „das bisschen Schmerz macht nichts, ich genieße den Tag trotzdem“. Wer dagegen aufwacht und an einen ungeliebte­n Arbeitspla­tz muss, werde den Schmerz sehr viel schwerer nehmen.

All das müsse man in einem Gespräch erfragen, meint Geiger, und sodann den Patienten aktivieren. Denn wer einen unspezifis­chen Rückenschm­erz hat, sollte sich, anders als früher empfohlen, nicht längerfris­tig schonen. „Bei ungefähr vier Wochen liegt die Grenze“, sagt Geiger, „danach wird es schwer, den Patienten wieder an Aktivität zu gewöhnen.“Geiger rät, in einer Gruppe aktiv zu werden, also zum Beispiel zum Nordic Walking oder zum Yoga zu gehen. Beliebt, aber schlecht seien dagegen Maßnahmen, bei denen sich die Patienten hinlegen und passiv bearbeiten lassen, sei es mit Massagen oder Akupunktur: Damit werde dem Patienten Abhängigke­it suggeriert und dass er selbst nichts machen kann, so Geigers Kritik. „Massagen und Wellness dürfen kein Dauerzusta­nd sein.“

Auf die Mitarbeit des Patienten selbst kommt es vielmehr ganz wesentlich an. Ihm müsse man auch beibringen, dass Rückenschm­erzen primär etwas Ungefährli­ches seien, so Geiger, und ähnlich wie Kopfschmer­zen meist von selbst ausheilen. Seine zentrale Botschaft an Rückenschm­erz-Geplagte: „Wenn es akut ist, die Ruhe bewahren, Hausmittel anwenden und sich ein bisschen schonen – und wenn der Schmerz auch nach vier bis sechs Wochen noch da ist, beim Spezialist­en nachschaue­n lassen, was dahinterst­ecken könnte.“

Und sind es vor allem die schwer arbeitende­n Menschen, die der Rückenschm­erz plagt, also zum Beispiel Bauarbeite­r oder Landwirte? Nein, offensicht­lich nicht. Geiger sagt, unter seinen Patienten habe er davon nur wenige. Stattdesse­n seien viele unter seinen Patienten, die den ganzen Tag im Büro sitzen müssten. Kritischer als Schwerarbe­it sei offenbar, dass sich die Menschen immer weniger, zu wenig bewegten. Und wenn jemand mit schwacher Rückenmusk­ulatur dann plötzlich etwas Ungewohnte­s tut, dann kann es sein, dass sie da ist, die Hexe – und ihr Schuss.

Es gibt Warnsympto­me, die beachtet werden müssen

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Foto: Africa Studio, fotolia Fast jeder hat schon einmal unangenehm­e Erfahrunge­n mit Rückenschm­erzen gemacht.
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Foto: Hessing Stiftung/Königer Wo tut es weh? Professor Florian Geiger bei einer Rückenunte­rsuchung.

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