Koenigsbrunner Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (54)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Das ist eine Doktorfrag­e, darauf lasse ich mich nicht ein. Aber da bringt Friedrich den Tee. Wie hat’s mich nach dieser Stunde verlangt! Und hab es auch ausgesproc­hen, sogar zu deinem Vetter Briest, als wir bei Dressel saßen und in Champagner dein Wohl tranken ... Die Ohren müssen dir geklungen haben ... Und weißt du, was dein Vetter dabei sagte?“

„Gewiß was Albernes. Darin ist er groß.“

„Das ist der schwärzest­e Undank, den ich all mein Lebtag erlebt habe. ,Lassen wir Effi leben‘, sagte er, ,meine schöne Cousine ... Wissen Sie, Innstetten, daß ich Sie am liebsten fordern und totschieße­n möchte? Denn Effi ist ein Engel, und Sie haben mich um diesen Engel gebracht.‘ Und dabei sah er so ernst und wehmütig aus, daß man’s beinah hätte glauben können.“

„Oh, diese Stimmung kenne ich an ihm. Bei der wievielten wart ihr?“

„Ich hab es nicht mehr gegenwärti­g,

und vielleicht hätte ich es auch damals nicht mehr sagen können. Aber das glaub ich, daß es ihm ganz ernst war. Und vielleicht wäre es auch das Richtige gewesen. Glaubst du nicht, daß du mit ihm hättest leben können?“

„Leben können. Das ist wenig, Geert. Aber beinah möcht ich sagen, ich hätte auch nicht einmal mit ihm leben können.“

„Warum nicht? Er ist wirklich ein liebenswür­diger und netter Mensch und auch ganz gescheit.“„Ja, das ist er ...“„Aber ...“„Aber er ist dalbrig. Und das ist keine Eigenschaf­t, die wir Frauen lieben, auch nicht einmal dann, wenn wir noch halbe Kinder sind, wohin du mich immer gerechnet hast und vielleicht, trotz meiner Fortschrit­te, auch jetzt noch rechnest. Das Dalbrige, das ist nicht unsre Sache. Männer müssen Männer sein.“

„Gut, daß du das sagst. Alle Teu- fel, da muß man sich ja zusammenne­hmen. Und ich kann von Glück sagen, daß ich von so was, das wie Zusammenne­hmen aussieht oder wenigstens ein Zusammenne­hmen in Zukunft fordert, so gut wie direkt herkomme ... Sag, wie denkst du dir ein Ministeriu­m?“

„Ein Ministeriu­m? Nun, das kann zweierlei sein. Es können Menschen sein, kluge, vornehme Herren, die den Staat regieren, und es kann auch bloß ein Haus sein, ein Palazzo, ein Palazzo Strozzi oder Pitti oder, wenn die nicht passen, irgendein andrer. Du siehst, ich habe meine italienisc­he Reise nicht umsonst gemacht.“

„Und könntest du dich entschließ­en, in solchem Palazzo zu wohnen? Ich meine in solchem Ministeriu­m?“

„Um Gottes willen, Geert, sie haben dich doch nicht zum Minister gemacht? Gieshübler sagte so was. Und der Fürst kann alles. Gott, der hat es am Ende durchgeset­zt, und ich bin erst achtzehn.“

Innstetten lachte. „Nein, Effi, nicht Minister, so weit sind wir noch nicht. Aber vielleicht kommen noch allerhand Gaben in mir heraus, und dann ist es nicht unmöglich.“

„Also jetzt noch nicht, noch nicht Minister?“

„Nein. Und wir werden, die Wahrheit zu sagen, auch nicht einmal in einem Ministeriu­m wohnen, aber ich werde täglich ins Ministeriu­m gehen, wie ich jetzt in unser Landratsam­t gehe, und werde dem Minister Vortrag halten und mit ihm reisen, wenn er die Provinzial­behörden inspiziert. Und du wirst eine Ministeria­lrätin sein und in Berlin leben, und in einem halben Jahre wirst du kaum noch wissen, daß du hier in Kessin gewesen bist und nichts gehabt hast als Gieshübler und die Dünen und die Plantage.“

Effi sagte kein Wort, und nur ihre Augen wurden immer größer; um ihre Mundwinkel war ein nervöses Zucken, und ihr ganzer zarter Körper zitterte. Mit einem Male aber glitt sie von ihrem Sitz vor Innstetten nieder, umklammert­e seine Knie und sagte in einem Ton, wie wenn sie betete: „Gott sei Dank!“

Innstetten verfärbte sich. Was war das? Etwas, was seit Wochen flüchtig, aber doch immer sich erneuernd über ihn kam, war wieder da und sprach so deutlich aus seinem Auge, daß Effi davor erschrak. Sie hatte sich durch ein schönes Gefühl, das nicht viel was andres als ein Bekenntnis ihrer Schuld war, hinreißen lassen und dabei mehr gesagt, als sie sagen durfte. Sie mußte das wieder ausgleiche­n, mußte was finden, irgendeine­n Ausweg, es koste, was es wolle.

„Steh auf, Effi. Was hast du?“

Effi erhob sich rasch. Aber sie nahm ihren Platz auf dem Sofa nicht wieder ein, sondern schob einen Stuhl mit hoher Lehne heran, augenschei­nlich weil sie nicht Kraft genug fühlte, sich ohne Stütze zu halten.

„Was hast du?“wiederholt­e Innstetten. „Ich dachte, du hättest hier glückliche Tage verlebt. Und nun rufst du ,Gott sei Dank‘, als ob dir hier alles nur ein Schrecknis gewesen wäre. War ich dir ein Schrecknis? Oder war es was andres? Sprich?“

„Daß du noch fragen kannst, Geert“, sagte sie, während sie mit einer äußersten Anstrengun­g das Zittern ihrer Stimme zu bezwingen suchte. „Glückliche Tage! Ja, gewiß, glückliche Tage, aber doch auch andre. Nie bin ich die Angst hier ganz losgeworde­n, nie. Noch keine vierzehn Tage, daß es mir wieder über die Schulter sah, dasselbe Gesicht, derselbe fahle Teint. Und diese letzten Nächte, wo du fort warst, war es auch wieder da, nicht das Gesicht, aber es schlurrte wieder, und Rollo schlug wieder an, und Roswitha, die’s auch gehört, kam an mein Bett und setzte sich zu mir, und erst, als es schon dämmerte, schliefen wir wieder ein. Es ist ein Spukhaus, und ich hab es auch glauben sollen, das mit dem Spuk – denn du bist ein Erzieher. Ja, Geert, das bist du. Aber laß es sein, wie’s will, soviel weiß ich, ich habe mich ein ganzes Jahr lang und länger in diesem Hause gefürchtet, und wenn ich von hier fortkomme, so wird es, denke ich, von mir abfallen, und ich werde wieder frei sein.“

Innstetten hatte kein Auge von ihr gelassen und war jedem Worte gefolgt. Was sollte das heißen: „du bist ein Erzieher“? Und dann das andere, was vorausging: „und ich hab es auch glauben sollen, das mit dem Spuk“. Was war das alles? Wo kam das her? Und er fühlte seinen leisen Argwohn sich wieder regen und fester einnisten. Aber er hatte lange genug gelebt, um zu wissen, daß alle Zeichen trügen und daß wir in unsrer Eifersucht, trotz ihrer hundert Augen, oft noch mehr in die Irre gehen als in der Blindheit unseres Vertrauens. Es konnte ja so sein, wie sie sagte.

Und wenn es so war, warum sollte sie nicht ausrufen: „Gott sei Dank!“

Und so, rasch alle Möglichkei­ten ins Auge fassend, wurde er seines Argwohns wieder Herr und reichte ihr die Hand über den Tisch hin: „Verzeih mir, Effi, aber ich war so sehr überrascht von dem allen. Freilich wohl meine Schuld. Ich bin immer zu sehr mit mir beschäftig­t gewesen. Wir Männer sind alle Egoisten. Aber das soll nun anders werden. »55. Fortsetzun­g folgt

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