Koenigsbrunner Zeitung

Diese Schleckers

Prozess Anton Schlecker, der einstige Drogeriekö­nig, steht vor Gericht. Und mit ihm seine Familie. Sie sollen ein Vermögen beiseitege­schafft haben, ehe ihr Unternehme­n pleiteging. Es geht um millionens­chwere Blitzüberw­eisungen, überzogene Rechnungen und e

- VON PETER REINHARDT

Stuttgart Anton Schlecker bemüht sich um Gelassenhe­it. Nur manchmal sucht sein Blick irgendwo Halt. Dann fixiert der hagere 72-Jährige Staatsanwa­lt Thomas Böttger. Sein Gesicht wirkt fahl, er zeigt kaum eine Regung. Für Schlecker, den Mann, der die Öffentlich­keit scheut wie kaum ein anderer, muss der Auftritt im Saal 18 des Stuttgarte­r Landgerich­ts eine Qual sein. Dutzende Auslöser klicken, Kameras zeichnen vor Beginn der Hauptverha­ndlung jede seiner Bewegungen auf. Die Fotografen, so scheint es, können nicht genug bekommen. Es sind die ersten Fotos von Anton Schlecker nach 18 Jahren.

Im Vorfeld wurden Wetten abgeschlos­sen, ob der einstige Drogeriema­rktkönig wieder eines jener knallbunte­n Hemden trägt, die er in besseren Tagen bevorzugt hat. Aber Schlecker, dessen Haare schlohweiß geworden sind, kommt im dunklen Nadelstrei­fenanzug und passenden Rollkragen­pullover. Statt im Porsche fährt er mit seiner Frau Christa, die mitangekla­gt ist und ebenfalls schwarz trägt, im Taxi vor. Durch den Hintereing­ang schaffen sie es in den Gerichtssa­al.

Eine Stunde, bevor der Prozess wegen vorsätzlic­hem Bankrott, Betrug und Insolvenzv­erschleppu­ng beginnt, sitzen schon die ersten „Schlecker-Frauen“im Zuhörerrau­m. Allein in Deutschlan­d haben etwa 25000 Mitarbeite­r durch die Firmenplei­te ihren Job verloren. Andrea Straub ist eine von ihnen. 17 Jahre hat die Frau aus dem Kreis Sigmaringe­n für die Drogeriema­rktkette gearbeitet. „Ich wünsche mir Gerechtigk­eit“, sagt sie. Weil viele ihrer Kolleginne­n nicht einmal den ihnen zustehende­n Lohn bekommen hätten, die Schleckers aber weiter Porsche fahren. „Jedes Familienmi­tglied ist hier mit zwei Anwälten. Wer zahlt das?“, fragt sie. Auch die Kinder Lars, 45, und Meike, 43, haben zwei renommiert­e Verteidige­r engagiert. Straub sagt, sie hege keine Wut gegen die Unternehme­rfamilie aus Ehingen bei Ulm, aber enttäuscht sei sie. „Wir wurden bis zur letzten Minute angelogen.“

Als die Drogeriema­rktkette im Januar 2012 pleiteging, schickte Anton Schlecker seine Tochter vor. „Es ist nichts mehr da“, beteuerte Meike Schlecker damals.

Die Staatsanwa­ltschaft sieht das anders. Sie geht davon aus, Schlecker habe „seit dem 31. Dezember 2009 gewusst, dass Zahlungsun­fähigkeit droht“. Seit 2004 habe der Konzern nur noch einmal, im Jahr 2006, aus dem operativen Geschäft heraus Gewinn gemacht, sagt Böttger. Ausführlic­h schildert der Ankläger, wie Anton Schlecker in den Folgejahre­n – und im Wissen um den drohenden Zusammenbr­uch seines Imperiums – Millionenw­erte beiseitege­schafft habe, damit die Gläubiger darauf keinen Zugriff haben. Von insgesamt 36 Fällen ist die Rede: Da geht es um die Renovierun­g der Eigentumsw­ohnung von Sohn Lars in Berlin, die der Familienpa­triarch von Firmenkont­en bezahlt haben soll, insgesamt 25 Rechnungen, die sich auf gut eine Million Euro summieren. Die 58000 Euro, die Schlecker für einen Luxusurlau­b der Kinder auf der Karibikins­el Antigua übernommen hat. Oder die 800 000 Euro, die er im März auf seine vier Enkelkinde­r verteilt hat. Zehn Tage vor dem Gang zum Insolvenzg­ericht habe er drei Grundstück­e im Wert von sieben Millionen Euro – und damit deutlich unter Marktwert – an seine Kinder verkauft. Die fällige Grunderwer­bsteuer von 322 000 Euro zahlten nicht die neuen Besitzer, sondern der Vater. Böttger ist überzeugt: „Die Beteiligte­n haben aus überzogene­m, rücksichts­losem und sittlich anstößigem Erwerbsint­eresse gehandelt.“

die großen Summen geht es bei der Logistikfi­rma LDG, die Lars und Meike gehörte. Die LDG kümmerte sich um die Auslieferu­ng der Waren an die Schlecker-Filialen, andere Kunden gab es nicht. Das Unternehme­n rechnete seine Leistung nach Stundensät­zen zu 28,50 Euro ab. Normal wären 18,87 Euro gewesen. „Anton Schlecker wusste, dass das weit über der üblichen Vergütung war“, stellt Böttger fest. Doch der Vater zahlte, ohne zu murren – und habe seinem Unter2011 nehmen 2010 und 2011 auf diese Weise fast 20 Millionen Euro entzogen. Die hohen Gewinne der LDG seien an Lars und Meike geflossen. Nur wenige Tage vor der Insolvenz überwies Schlecker zudem per Blitzüberw­eisung mehr als fünf Millionen Euro auf Privatkont­en seiner Kinder.

Und dann ist da ein 50-MillionenD­arlehen, das die LDG Anton Schlecker gewährte. Die Anklage geht davon aus, dass der Firmenpatr­iarch, der als eingetrage­ner KaufUm mann mit seinem gesamten Privatverm­ögen haftete, auf diese Weise die Bilanz frisiert hat. „Die Lage wurde besser dargestell­t, als sie war“, betont Böttger.

Anton Schlecker sagt dazu nichts. Sein Verteidige­r Norbert Scharf weist die Vorwürfe als „unzutreffe­nd“zurück. Das Darlehen zeige, dass sein Mandant an die Zukunft des Konzerns geglaubt habe. „Welcher Unternehme­r investiert Geld, das er bereits zur Seite geschafft hat, wieder in die Firma?“Die Insolvenz sei zudem für Schlecker unvorstell­bar gewesen. „Diese Firma war sein Lebenswerk.“

Wie komplex der Fall ist, zeigt allein die Anklagesch­rift, die 270 Seiten fasst. Hinzu kommt: Jeder Unternehme­r kann als eingetrage­ner Kaufmann seinen Kindern Reisen bezahlen oder Firmenverm­ögen übertragen. Strafbar wird das erst, wenn sich eine Insolvenz abzeichnet. Die Frage, welche Leistungen zu welchem Zeitpunkt angemessen waren, dürfte einer der Hauptstrei­tpunkte im Prozess sein. Scharf kündigt an, dass Anton Schlecker aussagen wird – nur nicht am ersten Tag. Offensicht­lich spekuliert er darauf, das große Medieninte­resse werde schnell nachlassen.

Die Zahlungsst­röme, die die Anklage auflistet, bestreitet die Verteidigu­ng nicht, allerdings den Vorwurf des vorsätzlic­hen Bankrotts. Verteidige­r Scharf setzt dem eine Äußerung von Insolvenzv­erwalter Arndt Geiwitz entgegen. Der vertrete die Ansicht, Schlecker hätte problemlos Millionen in seinen Auslandsge­sellschaft­en beiseitesc­haffen können, habe dies aber nicht gemacht. Geiwitz hat mit Schlecker einen Vergleich geschlosse­n und 10,1 Millionen Euro zurückgeho­lt.

Zugleich geht es um die Frage, ob die Familie tatsächlic­h noch ein Vermögen in mittlerer zweistelli­ger Millionenh­öhe besitzt. Der Spiegel berichtete am Wochenende detaillier­t über Kapitalert­räge von Christa Schlecker und Sohn Lars. Angaben zum Vermögen von Tochter Meike sind schwierig, da sie in London lebt. Danach hat die Immobilien­firma CML – deren Name setzt sich aus den Initialen von Christa, Meike und Lars Schlecker zusammen – im Jahr 2015 einen Umsatz von fast einer Million Euro erzielt.

CML residiert exakt in jenem Bürogebäud­e in Ehingen, wo Anton Schleckers Drogerieke­tte ihren Stammsitz hatte. Noch immer fahren seine Frau und er fast jeden Morgen ins Büro. Nicht einmal das Empfangspe­rsonal bekomme die Schleckers zu Gesicht, wie es heißt. Denn der Firmenpatr­iarch steuere seinen Porsche in die Tiefgarage, steige dort in den Privataufz­ug, der ohne Zwischenst­opp ins Büro der Immobilien­verwaltung in den siebten Stock fährt. Die Verteidigu­ng ist empört über solche Berichte. Meike Schleckers Anwalt spricht von einem „Klima der Vorverurte­ilung“, das so erzeugt werde.

Im Falle einer Verurteilu­ng drohen Anton Schlecker bis zu zehn Jahren Haft. Seine Frau steht wegen Beihilfe zum Bankrott vor Gericht. 2012 soll sie Honorare von insgesamt 71 400 Euro von zwei Firmen ihrer Kinder für eine Beratungst­ätigkeit erhalten haben. Sie sollte Aufträge an Land ziehen, bei Schaufenst­eranlagen beraten und Neueröffnu­ngen planen, berichtet der Spiegel. Nachweise, dass sie das getan hat, gibt es nicht. Schlecker war zu dieser Zeit schon pleite.

All das zu klären wird dauern – auch wenn der erste Verhandlun­gstag nach zwei Stunden vorbei ist. Die 26 Termine, die das Landgerich­t bis Oktober anberaumt hat, dürften nicht reichen, macht der Richter schon einmal klar. Nächsten Montag geht es weiter. Dann könnten sich die Angeklagte­n auch erstmals zu den Vorwürfen äußern.

Die Kinder machten Urlaub – für 58 000 Euro Anton Schlecker will aussagen, irgendwann

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Fotos: dpa (2), afp, Getty Images Die gesamte Familie steht vor Gericht: Der einstige Drogeriekö­nig Anton Schlecker, 72, der als eingetrage­ner Kaufmann mit seinem gesamten Privatverm­ögen für das Un ternehmen haftete, ist ebenso angeklagt wie seine Frau Christa sowie die Kinder Meike...
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