Koenigsbrunner Zeitung

Der Plan Q der Sozialdemo­kraten

- VON JOACHIM BOMHARD

Die SPD will die Agenda 2010 korrigiere­n. Die Bundesagen­tur für Arbeit soll zu mehr berufliche­r Qualifikat­ion verpflicht­et werden, Arbeitslos­engeld häufiger und länger bezahlt werden. Damit ist Streit unausweich­lich

Augsburg Auf dieses eine Extremmode­ll will SPD-Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles nicht beschränkt werden: Der 58-jährige Arbeitslos­e, der unter bestimmten Voraussetz­ungen maximal zwei Jahre lang Arbeitslos­engeld I beziehen kann. Er könnte dank ihrer Pläne künftig für eine bis zu zweijährig­e berufliche Weiterqual­ifikation theoretisc­h noch zwei weitere Jahre das – noch lange nicht beschlosse­ne – „Arbeitslos­engeld Q“in gleicher Höhe bekommen. Macht zusammen vier Jahre Arbeitslos­engeld – das treibt den politische­n Gegner um. „Unter dem Strich schadet der Vorschlag den Betroffene­n, weil er Fehlanreiz­e setzt und damit den Wiedereins­tieg in den Arbeitsmar­kt verzögert“, sagt CSU-Bundestags­abgeordnet­er Stephan Stracke aus Marktoberd­orf.

Was Andrea Nahles am Montag in Berlin nach einer Sitzung des SPD-Vorstandes präsentier­t, ist ein kleiner, aber jetzt schon kontrovers diskutiert­er Teil des Wahlprogra­mms, das nach neuesten Plänen am 25. Juni auf einem Sonderpart­eitag in Dortmund verabschie­det werden soll. Es ist ein Qualifizie­rungsangeb­ot an alle Arbeitnehm­er, in dem die Bundesagen­tur für Arbeit die zentrale Rolle spielen soll.

Äußeres Zeichen: Den Namen der Agentur will die SPD um den Begriff „Qualifizie­rung“erweitern. Hauptänder­ung in der Praxis: Arbeitslos­e sollen künftig nach drei Monaten Leistungsb­ezug den Rechtsansp­ruch auf eine Weiterbild­ung bekommen. Diese muss ihnen dann von der Agentur angeboten werden. Bisher, so Nahles, sei das eine Kann-Bestimmung.

Wie diese Qualifikat­ion ausschauen kann, will die Ministerin individuel­l den Betroffene­n und ihren Beratern bei der Agentur überlassen. Entscheide­nd sei in jedem Fall, dass am Ende die Vermittlun­g in den Arbeitsmar­kt steht. Von der Art der Maßnahme hängt auch deren Dauer ab. Das können in einem Fall sechs Monate sein. In einem anderen aber auch bis zu zwei Jahre, wenn es sich dabei um eine komplette berufliche Umorientie­rung handelt. In dieser Zeit würde das neue Arbeitslos­engeld Q greifen, durch das sich – anders als bisher – der Anspruch auf Arbeitslos­engeld I nicht verringern soll. Nahles rechnet mit zusätzlich­en Ausgaben von rund 400 Millionen Euro jährlich.

Ob das nicht einer neuen Welle der Frühverren­tung Tür und Tor öffne, wird Nahles gefragt. Sie weist das scharf zurück. Auf dem Arbeitsmar­kt, der unter einem Fachkräfte­mangel leidet, werde jeder gebraucht. Sie sieht ihre Vorschläge daher nicht als „Brücke in die Rente“. Und sie zeigt sich erstaunt, dass die meiste Kritik ausgerechn­et von der Seite komme, die für eine längere Lebensarbe­itszeit plädiert.

Es geht in der aktuellen Debatte bekanntlic­h auch um die Ängste vor allem älterer Arbeitnehm­er, im Fall der Arbeitslos­igkeit zu schnell durchs Raster zu fallen und als mögliche Hartz-IV-Empfänger das mühsam Angesparte drangeben zu müssen. SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz hat die Debatte nach einer Konferenz in Bielefeld befeuert und aus dem Lager der Union und der Wirtschaft lautstarke Kritik zu spüren bekommen. Die Gewerkscha­ften

Entscheidu­ng auf Parteitag Ende Juni in Dortmund Hartz IV Empfänger sollen mehr übrig behalten dürfen

zeigen dagegen zunehmend Zufriedenh­eit mit seinen bisher nur grob umrissenen Plänen.

Die nun von Nahles vorgestell­ten Reformplän­e sehen einerseits einen erleichter­ten Zugang zum Arbeitslos­engeld vor. Bisher hat jemand Anspruch auf Arbeitslos­engeld I, der innerhalb von zwei Jahren vor der Arbeitslos­igkeit zwölf Monate versicheru­ngspflicht­ig beschäftig­t war. Diesen Rahmen will die SPDPolitik­erin erweitern auf drei Jahre, innerhalb derer nur noch zehn Monate lang in die Arbeitslos­enversiche­rung einbezahlt worden sein muss. Damit würden deutlich mehr Menschen unter den Versicheru­ngsschutz der Agentur fallen. Die Kosten beziffert Nahles auf 600 Millionen Euro.

Die Sozialdemo­kraten wollen zudem den Zugriff des Staates auf das Vermögen von Hartz-IV-Empfängern erschweren und damit vielen Menschen einen Teil ihrer Ängste nehmen. Dazu wollen sie das Schonvermö­gen verdoppeln, und zwar von 150 Euro pro Lebensjahr auf 300 Euro. Für einen 60-jährigen Hilfeempfä­nger würde das beispielsw­eise bedeuten, dass ihm statt 9000 künftig 18000 Euro vom Ersparten belassen werden.

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Archivfoto: Friso Gentsch, dpa Die SPD will auch älteren Arbeitnehm­ern durch einen Rechtsansp­ruch auf zusätzlich­e Qualifikat­ionsmaßnah­men den berufliche­n Wechsel noch ermögliche­n.

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