Koenigsbrunner Zeitung

Hier waren hunderte Babys verscharrt

Auf dem Gelände eines irischen Heims entdeckten Ermittler Kammern mit grausigem Inhalt

- VON KATRIN PRIBYL

London Er gehört zu jenen, die Glück hatten: Patrick Joseph Haverty hat überlebt. Und doch wühlen ihn die Erkenntnis­se der vergangene­n Monate auf. Nicht, weil der Ire die schrecklic­hen Erinnerung­en aus seiner Kindheit verdrängte, sondern weil er sie stets erzählen wollte, aber lange auf taube Ohren stieß. Erst jetzt werden die Opfer gehört – nachdem all die Grausamkei­ten ans Licht kommen, die jahrzehnte­lang im katholisch geprägten Irland stattgefun­den haben.

Eine von der Regierung in Dublin eingesetzt­e Untersuchu­ngskommiss­ion hat Berichte bestätigt, nach denen in einer von Nonnen geführten Einrichtun­g im westirisch­en Tuam Babys und Kleinkinde­r in Massengräb­ern verscharrt wurden, die meisten davon in den 50er Jahren. Es handelte sich um das MutterKind-Heim „St. Mary’s Mother and Baby Home“des Ordens Bon Secours, in dem auch Haverty ab 1951 die ersten fünfeinhal­b Jahre seines Lebens verbrachte. Es existierte von 1925 bis 1961. Haverty wurde seiner Mutter, die nicht verheirate­t war, weggenomme­n und zur Adoption freigegebe­n – „obwohl sie jeden Tag an die Tür klopfte und versuchte, mich zu sich zu nehmen“. Die Nonnen schickten sie stets wieder weg.

Auf dem Gelände des kirchliche­n Heims haben Experten jetzt unterirdis­che Anlagen mit 20 Kammern entdeckt. In 17 davon fanden sie „erhebliche Mengen“menschlich­er Überreste. Föten, Babys und Kleinkinde­r wurden offenbar in einfache Leichentüc­her gehüllt und in der alten ausgedient­en Abwassergr­ube vergraben – völlig anonym und ohne, dass jemand Notiz davon nahm. Särge gab es nicht. Keinen Grabstein. Keine Markierung.

Paul Redmond, Vorsitzend­er der Koalition der Überlebend­en der Mutter-Kind-Heime, schätzt, dass mindestens 6000 Kinder aus neun irischen Heimen in Massengräb­ern verscharrt wurden. Auch die Wissenscha­ftlerin Catherine Corless meint, der Fund „sei nur der Anfang“. Corless löste die Untersuchu­ngen durch Recherchee­rgebnisse aus, die sie bereits im Jahr 2014 veröffentl­ichte. Sie durchforst­ete die Geburts- und Todesregis­ter der Region und fand heraus, dass im Laufe von mehr als drei Jahrzehnte­n 796 Kinder, die in dem Heim in Tuam gelebt hatten, starben. Doch nur für eines fand Corless Nachweise einer Beerdigung.

Nun werden weitere wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen angestellt, um die Todesursac­hen zu klären. Katherine Zappone, Kinderbeau­ftragte der Regierung, nannte die Ergebnisse „traurig und verstörend“. Mit Hilfe der Kommission arbeitet die Republik die dunkle Geschichte ihrer Mutter-Kind-Einrichtun­gen landesweit auf. Patrick Joseph Haverty, der sein gesamtes Leben unter dem Stigma des nichteheli­chen Sohns litt, fordert eine Entschuldi­gung – vom Frauenorde­n und von der Regierung.

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Foto: Paul Faith, afp Fast 800 Kinder sind in den Sterberegi­stern des Mutter Kind Heims verzeichne­t. Doch nur für eins gibt es ein richtiges Grab.

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