Koenigsbrunner Zeitung

Spontane Spiele statt Mathe und Deutsch

- VON IDA KÖNIG

Die Grippe macht auch vor Lehrern nicht Halt. Doch wer springt kurzfristi­g ein? Und wann kann man bei einer Vertretung­sstunde überhaupt noch von Unterricht sprechen?

Augsburg Vier Schulklass­en spielen mitten am Vormittag Spiele in der Aula, statt im Klassenzim­mer neuen Unterricht­sstoff zu lernen: Was klingt wie eine willkommen­e Abwechslun­g zum Schulallta­g, ist eine Notlösung aus einem Lehrermang­el heraus – so geschehen an der Schule, an der die Präsidenti­n des Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverbandes (BLLV), Simone Fleischman­n, vor einigen Jahren als Rektorin tätig war. Eine Grippewell­e hatte dazu geführt, dass mehrere Lehrer gleichzeit­ig krank im Bett lagen und deren Stunden irgendwie vertreten werden mussten.

Jedes Jahr im Februar und März fallen zahlreiche Lehrer in Bayern krankheits­bedingt aus. Vor den Faschingsf­erien fehlte an manchen Augsburger Schulen jeder zehnte Pädagoge. Hinzu kommen Langzeitkr­anke und Lehrerinne­n, die aufgrund einer Schwangers­chaft ausfallen. Ist ein qualitativ hochwertig­er Unterricht überhaupt noch möglich, wenn zu den Langzeitau­sfällen auch noch mehrere kurzfristi­g erkrankte Lehrer hinzukomme­n?

Das bayerische Kultusmini­sterium sieht keinen Grund zur Sorge. Eine Statistik des Ministeriu­ms kam zu dem Ergebnis, dass im Schuljahr 2015/16 nur 1,5 Prozent der Unterricht­sstunden ersatzlos ausgefalle­n seien. Das teilte Ministeriu­mssprecher­in Carolin Völk mit. Möglich sei das unter anderem durch mobile Reserven, die bei Bedarf an Grundund Mittelschu­len einspringe­n können, sowie Reserveleh­rer, die direkt an Realschule­n und Gymnasien stationier­t sind. Stelle man während des Schuljahre­s fest, dass mehr Aushilfsle­hrer gebraucht würden als geplant, würden diese nachträgli­ch eingestell­t. Damit auch die Stunden kurzfristi­g erkrankter Lehrer nicht ausfallen, nennt Völk neben den Aushilfsle­hrern noch zwei weitere Möglichkei­ten. Eine davon sei die Vertretung durch Lehrer der Schule selbst, die andere bezeichnet Völk als „organisato­rische Maßnahmen“. Darunter versteht das Kultusmini­sterium beispielsw­eise die Zusammenle­gung von Klassen – Spiele spielen in der Aula zählt also als Vertretung­sunterrich­t.

Daran stört sich Verbandspr­äsidentin Fleischman­n. In der Realität sei das Thema Unterricht­sausfall bei weitem nicht so problemlos, wie vom Kultusmini­sterium dargestell­t. Denn das beziehe sich nur auf die Zahlen für die ersatzlos gestrichen­en Unterricht­sstunden. Dieselbe Statistik zeigt aber auch auf, wie viele Stunden nicht planmäßig gehalten werden – je nach Schulart sind das zwischen 6,5 Prozent an der Grundschul­e und sogar 11,1 Prozent an der Realschule. Für einen Fünftkläss­ler dieser Schulform bedeutet das, dass durchschni­ttlich drei Stunden pro Woche nicht nach Plan stattfinde­n. Die Statistik erfasst Fleischman­n zufolge alle Stunden, die vertreten werden, auf welche Art auch immer. Je nach Situation verberge sich dahinter von Unterricht über eine reine Beaufsicht­igung bis zum Ausfüllen von Arbeitsblä­ttern ohne Aufsicht vieles. Unterricht in derselben Qualität wie vom eigentlich­en Lehrer gibt es aber nur in den seltensten Fällen – das sei gar nicht möglich, wenn ein Kollege spontan einspringt, sagt Fleischman­n.

Sie nennt ein Beispiel, wie es zu Jahreszeit häufig vorkommt. „Wenn sich ein Lehrer morgens krank meldet, ist es unmöglich, kurzfristi­g eine mobile Reserve zugeteilt zu bekommen“, sagt sie. Deshalb müssten die übrigen Lehrer während ihrer Freistunde­n einspringe­n, spontan früher anfangen oder nach ihrem regulären Unterricht­sschluss noch die Klasse eines Kollegen übernehmen.

Im Vergleich zu den Alternativ­en ist dieses Modell für Fleischman­n noch die beste Lösung. Denn wenn das nicht möglich sei, müssten Fachlehrer, etwa für Werken, statt einer kleinen Gruppe eine ganze Klasse betreuen. „Hier findet dann für beide Gruppen keine Bildung statt“, sagt sie. Schließlic­h könnten die Fachlehrer nicht einfach die Mathematik­stunde übernehmen. An Werkunterr­icht für die kleine Gruppe sei dann aber auch nicht mehr zu denken. Immerhin seien die Kinder so jedoch von einem Pädagogen betreut.

„Es gibt aber auch Situatione­n, in denen ein Lehrer zwei Klassen beaufsicht­igen muss“, sagt die Präsidenti­n des BLLV. Das bedeute, dass dieser Lehrer zwischen zwei Klassen hin- und herwechsel­n müsse. „Die Klassenzim­mertür bleibt offen, damit die Schüler nicht nur tun und lassen, was sie wollen“, erklärt sie. Das habe zur Folge, dass in beiden Klassen – auch dort, wo eigentlich regulär Unterricht stattfinde­n könnte – keine Bildung erfolge.

Diese Situation will Fleischman­n nicht hinnehmen und fordert deshalb mehr mobile Reserven. „In einem reichen Bundesland wie Bayern muss eine Chance auf beste Bildungsan­gebote bestehen“, sagt sie. Die Gefahr, dass diese Lehrer in Zeiten jenseits der Grippewell­e undieser terbeschäf­tigt sein könnten, sieht sie nicht, sondern vielmehr die Möglichkei­t, dass die Pädagogen dann mit Schülern arbeiten könnten, die eine Einzelförd­erung brauchen.

Dass in Bayern lediglich 1,5 Prozent der Stunden komplett gestrichen werden müssen, liegt Fleischman­n zufolge zum einen daran, dass minderjähr­ige Schüler sowieso nicht einfach nach Hause geschickt werden dürfen und deshalb immer eine Lösung gefunden werden müsse. Ein weiterer Grund sei der Einsatz vieler Kollegen, die für ihre Schüler Überstunde­n machen. Schuldzuwe­isungen mancher Eltern und den Vorwurf, die Kinder müssten Mandalas ausmalen, weil die Lehrer zu faul seien, ordentlich­en Unterricht vorzuberei­ten, findet sie deshalb äußerst ungerecht. „Man trägt es auf den Rücken derer aus, die am wenigsten dafür können.“

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Foto: Caroline Seidel, dpa Was tun, wenn ein Lehrer sich morgens krank meldet? Wer spontan einspringe­n muss, ist oft gar nicht darauf vorbereite­t und kann das auch gar nicht sein. Dass Unterricht ausfällt, ist laut einer Statistik des Kultusmini­steriums hingegen fast nie der Fall.

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