Koenigsbrunner Zeitung

Je länger man sich enthält, desto brauner wird alles

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Hagen Rether weiß, wie man mit Satire Aufklärung betreibt. Deshalb vergleicht er auch das Wählen mit dem Zähneputze­n

Hagen Rether ist der philosophi­sche Analytiker unter den Kabarettis­ten. Er bemüht sich nicht um Wortspiele­reien oder derb pointierte Kalauer, sondern er formuliert in nüchterner, beinahe stoischer Haltung Fragestell­ungen zum Ist-Zustand unserer Gesellscha­ft. Auch in Augsburg gibt Hagen Rether drei Stunden lang den intellektu­ellen kritischen Denker, und das Publikum in der Kongressha­lle lauscht, klatscht und jubelt schließlic­h.

Ab und zu klimpert er am Flügel, die meiste Zeit aber sitzt er völlig relaxt in seinem Bürostuhl und denkt laut nach über Deutschlan­d und die Welt. Der Zustand der Welt ist nicht wirklich zum Jubeln geeignet. Vielleicht tritt Rether auch deshalb in einem grauen Anzug auf und trägt sein langes ergrautes Haar zum streng nach hinten gebundenen Pferdeschw­anz. Es läuft schlicht vieles verkehrt. Aber wer sollte es richten, wenn alle nur jammern und nie handeln?

Und es wird nicht besser, im Gegenteil. Rether formuliert mit Blick auf die Präsidente­n Erdogan und Trump: „Ertappen Sie sich auch manchmal bei dem Gedanken, dass Sie dankbar sind, dass wir die Merkel haben?“Und schon hat er in zwei Richtungen seine sarkastisc­hen Kabarettpf­eile verschosse­n. Doch Rether lässt sein Publikum nicht aus. An uns läge es, etwas zu ändern. „Seit Jahren hören wir, dass die Merkel Schuld an allem hat. Blödsinn. Ja, was für eine Zauberkraf­t muss die Frau denn besitzen? Ist sie vielleicht Merlina?“

Mit jedem weiteren Gedanken dieses kabarettis­tischen Moralisten wird klar, weshalb er so erfolgreic­h ist und vielfach ausgezeich­net und warum er sein Publikum allerorten mit seinem Programm „Liebe“in Bann schlägt. Rether lässt niemanden aus bei seiner schonungsl­osen Kritik; nicht den deutschen Staat, den Holocaust, nicht den IS, die pädophilen Kirchenver­treter. Da ändert sich schon mal der Ton, plötzlich wird aus Ironie Zynismus, in jedem Fall beißender Sarkasmus. Dabei sind seine Vorstellun­gen von einer funktionie­renden, toleranten, modernen Gesellscha­ft eigentlich ganz simpel. Da spielen die Mädels im Burkini mit den nahtlosgeb­räunten Mädels am FKK-Strand Volleyball, und die Jungs gehen derweil die Getränke holen. So einfach könnte es sein.

Aber in Wirklichke­it, seufzt Hagen Rether, muss man sich die Frage stellen, wohin das alles führen soll, bei uns und überall. So kann man sich nicht über die Regierungs­politik beklagen und dann nicht zum Wählen gehen. „Wählen ist wie Zähneputze­n. Wenn du das eine Zeit lang nicht machst, wird alles braun.“Claudius Wiedemann

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Foto: Wolfgang Diekamp Hagen Rether erklärt, weshalb so viel schief läuft.

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