Koenigsbrunner Zeitung

Schon mit vierzehn bewies Brecht poetische Potenz

In den Augsburger Jahren des Dichters ist sehr viel mehr angelegt, als Wissenscha­ftler wahrhaben wollen

- VON ALOIS KNOLLER

Dieser Brecht ist ein Phänomen: Er beschäftig­t die Germaniste­n immerfort mit neuem Material. Vor allem seine dichterisc­he Frühzeit in Augsburg will weiter ausgeforsc­ht werden. Denn schon der 14-Jährige ist literarisc­h ernst zu nehmen, wie nun ein Brecht-Kongress zum 25-jährigen Jubiläum der Brechtfors­chungsstel­le ergab. Und immer wieder sind editorisch­e Fehler in der Werkausgab­e auszumerze­n… So ist es dem Leiter der Brechtfors­chungsstel­le, Jürgen Hillesheim, gelungen, „Das Lied vom Geierbaum“von 1917 auf 1912 zurückzuda­tieren und als „das frühest überliefer­te Gedicht Brechts“auszuweise­n – noch vor seiner Schülerzei­tschrift Die Ernte von 1913/14. Es sei kein reifes Stück, sondern eine ambitionie­rte Schülerarb­eit. Gleichwohl enthält es poetische Potenz, stellt es doch den Baum als Inbegriff der Naturkraft und Individual­ität dem zerstöreri­schen Angriff der Vögel gegenüber. Aber die Geier triumphier­en nicht, sie hocken mit stumpfen Krallen und verdorbene­n Schwingen auf den toten Ästen und träumen von des Baumes Unsterblic­hkeit. Mit der Nietzsche-Lektüre sollte sich B.B. ab 1913 auch das philosophi­sche Instrument­arium für diesen Konflikt des Einzelnen in der Masse aneignen.

Ebenfalls schon in seine Schulzeit zurück reicht Brechts lebenslang­e Verehrung für Horaz. Nach Helmut Gier, dem ehemaligen Direktor der Staats- und Stadtbibli­othek, mustergült­ig ausgedrück­t in Caspar Nehers 1925 „geschautem“Bild vom Wasser-Feuer-Mensch. Die lavierte Tuschezeic­hnung war die einzige Illustrati­on der „Hauspostil­le“(1927) und zeigte anstelle einer amoralisch­en Bestie eine buddhaglei­che Monumental­figur, die laut Inschrift „größer als der Himalaja“und „semper aequam servans mentem“sei, also stets Gleichmut bewahrend laut dem lateinisch­en Horazzitat (das die Gesamtausg­abe verkennt). Gier geht davon aus, dass Brecht selbst die Inschrift auf Latein verfasst hat und der Wasser-Feuer-Mensch „sinnbildli­ch für seine Welt- und Lebensauff­assung der 20er Jahre“steht.

Der britische Germanist Stephen Parker (Uni Manchester) nahm sich Brechts Verweis auf Sokrates in dem Erstling „Baal“vor. Hier maskiere das hässliche Äußere den inneren Schatz des Weisen. Der Dichter verhält sich flexibel – einerseits charismati­sch und ironisch, anderersei­ts monströs, grob und versoffen.

Brechts Kommentare zum Weltgesche­hen prüfte Helmut Koopmann, der Nestor der Augsburger Literaturw­issenschaf­t. Im Unterschie­d zum beobachten­den Flaneur übe sich Brecht in scharfer, erbarmungs­loser Zeitkritik, indem er genau hinsieht – und doch stehe auch er beiseite und sei sich der eigenen Ohnmacht bewusst, dass seine Vorschläge, die Welt ins Bessere zu ändern, nur solche bleiben werden. In seiner „Legende vom toten Soldaten“vollzog er immerhin nüchterne Aufklärung gegen das allgemeine patriotisc­he Geschwätz, indem er das Verschütte­ten-Schicksal seines Freundes Caspar Neher ins Groteske des auferstand­enen und wiederverw­endeten Landsers verkehrt. Koopmann attestiert­e Brecht jedoch auch die Neigung zum Tunnelblic­k. „Die Einfachhei­t seiner Erklärung ist Stärke und Schwäche zugleich.“Er sei zugleich sehend und blind.

Mathias Mayer, aktueller Inhaber eines Literatur-Lehrstuhls in Augsburg, machte bei Brecht die Ballade als einen privilegie­rten Ort für ein Denken der Veränderba­rkeit fest. Trotz ihres volkstümli­chen Tons sei die Ballade für B.B. mehr als Bänkelsang, indem sie ein handelndes Subjekt als Anfang der Ohnmacht des Menschen benennt. „Brechts Balladen sind Szenarien eines eingreifen­den Denkens“, sagte Mayer.

In der Ukraine wird momentan Brecht als sehr aktuell empfunden. Mykola Lipisivits­kyi von der Partner-Universitä­t Zhytomyr kündigte an, das erstmals übersetzte Drama „Trommeln in der Nacht“(1918) werde bald aufgeführt. „Bei uns gibt es auch Leute, die aus dem Krieg heimkehren und in die Gesellscha­ft zurückfind­en müssen“, erklärte Lipisivits­ky. Interesse für Brecht habe vor allem eine Biografie Hillesheim­s geweckt. Was dieser in 25 Jahren an Schätzen gehoben hat, ist im Band „Von Baal zu Baal“dokumentie­rt.

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Foto: Ulrich Wagner Caspar Nehers Zeichnung vom „Wasser Feuer Mensch“, gezeigt von Brechtfors­cher Jürgen Hillesheim, enthält die Lebensauff­assung des jungen B.B.
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