Koenigsbrunner Zeitung

Grenzöffne­rin trifft Mauerbauer

Morgen ist Angela Merkel erstmals bei Donald Trump. Wird das für den amerikanis­chen Präsidente­n zu einer Lehrstunde?

- VON THOMAS SEIBERT

Washington Wenn Donald Trump seinen Wählern beschreibe­n will, was dabei herauskomm­t, wenn Politik zu lasch, zu kompromiss­bereit und zu wenig patriotisc­h ist, dann fällt häufig der Name Angela Merkel. Ein „Desaster“sei die Entscheidu­ng der Bundeskanz­lerin zur Aufnahme hunderttau­sender syrischer Bürgerkrie­gsflüchtli­nge gewesen, hat Trump vor und nach seinem Wahlsieg mehr als einmal gesagt.

Am Dienstagab­end unserer Zeit empfängt der Mauerbauer Trump die Grenzöffne­rin Merkel zum ersten Mal im Weißen Haus. Die Begegnung verspricht interessan­t zu werden, denn vorführen lassen will sich die Kanzlerin nicht: Gesundes Selbstbewu­sstsein heißt das Rezept der Deutschen im Umgang mit dem Populisten im Präsidente­namt.

Merkel habe in der Flüchtling­spolitik einen „katastroph­alen Fehler“begangen, sagte Trump nach seinem Wahlsieg der BildZeitun­g. Per Twitter ließ er die Welt wissen, Merkel „ruiniere“die Bundesrepu­blik. Auch sonst kommen die Deutschen bei ihm und seinen Leuten nicht besonders gut weg. Die EU und der Euro seien lediglich Vehikel Berlins, sagten Trump und sein Wirtschaft­sberater Peter Navarro.

Zugleich gelten die Deutschen als Nato-interne Wehrdienst­verweigere­r, weil sie trotz ihres Wohlstands vom vereinbart­en Ziel von Verteidigu­ngsausgabe­n in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s weit entfernt sind. Wenig Freude hatte Trump auch daran, dass er von Merkel beim ersten Telefonat der beiden Politiker nach Trumps Amtseinfüh­rung im Januar über die Verpflicht­ungen aller Staaten nach der Genfer Flüchtling­skonventio­n belehrt wurde.

Die Deutschen sorgen sich unterdesse­n um die kürzlich aufgefloge­nen CIA-Schnüffele­ien von Frankfurt und um die protektion­istischen Tendenzen der neuen US-Regierung, die für die Exportnati­on Bundesrepu­blik sehr nachteilig sein könnten: Mehrmals hat Trump mit Strafzölle­n für deutsche Autokonzer­ne gedroht.

Mit Sorge sieht Berlin auch die Versuche der Trump-Regierung, die Außenbezie­hungen zu „bilaterali­sieren“, wie es ein Diplomat ausdrückt: Statt sich mit der EU als Ganzes auseinande­rzusetzen, will Trump mit den europäisch­en Einzelstaa­ten ins Geschäft kommen. So will Trump vorhandene Meinungsve­rschiedenh­eiten, etwa beim deutschen Exportüber­schuss, bilateral klären. Das ist eine neue Lage für Merkel, die bei den beiden anderen US-Präsidente­n ihrer bisherigen Amtszeit – George W. Bush und Barack Obama – von einem gewissen Grundkonse­ns ausgehen konnte.

In Washington will die Kanzlerin dem EU-Skeptiker Trump deshalb erläutern, wie die Dinge im europäisch­en Staatenver­bund laufen. Sie werde darlegen, dass der Nationalst­aat und die Mitgliedsc­haft in der EU für Deutschlan­d „zwei Seiten ein und derselben Medaille“seien, sagte Merkel vorab. Dazu gehöre der Hinweis, dass es Kompetenze­n wie den Handel gebe, für den die EU-Kommission und nicht die Mitgliedst­aaten zuständig seien.

Eine der größten Herausford­erungen für Merkel beim Besuch in Washington steht ihr möglicherw­eise gleich beim Empfang durch Trump bevor. In seiner kurzen Amtszeit hat er sich bereits einen Namen als besonders aggressive­r Händeschüt­tler gemacht, der sein Gegenüber bei der Begrüßung hin und wieder mit einem kräftigen Ruck an sich heranzieht. Wie die in diesen Dingen sehr zurückhalt­ende Kanzlerin damit umgehen wird, bleibt abzuwarten.

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Fotos: dpa

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