Koenigsbrunner Zeitung

„Deutschlan­d darf stolz auf die Energiewen­de sein“

Der Physiker Ernst Ulrich von Weizsäcker hält den Ausbau der Erneuerbar­en sechs Jahre nach Fukushima für ein Erfolgspro­jekt. Steigende Strompreis­e führt er auf einen fatalen politische­n Fehler zurück. Und er hat ein Gegenrezep­t

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Herr von Weizsäcker, wo steht die deutsche Energiewen­de sechs Jahre nach dem Atomunglüc­k von Fukushima Ihrer Meinung nach? Ernst Ulrich von Weizsäcker: Für ungeduldig­e Menschen geht es immer zu langsam. Aber wenn man anständig urteilt, ist es ein Erfolgspro­jekt.

In Bayern ist man aber nach einem rasanten Ausbau bewusst auf die Bremse getreten: Nach erhebliche­r Kritik an der Windkraft und strengeren Regeln werden kaum neue Anlagen genehmigt. Was halten Sie davon? Weizsäcker: Ich habe dafür ein gewisses Verständni­s. Auch Windkraft hat ökologisch­e Kosten. Deshalb halte ich den Ausbau der Energieeff­izienz für wichtiger als den Ausbau der Wasser- und Windkraft.

Wie stellen Sie es sich vor, die Energieeff­izienz zu erhöhen? Weizsäcker: An Universitä­ten frage ich manchmal, wie viele Kilowattst­unden nötig sind, um zehn Kilogramm – zum Beispiel einen Bergsteige­rrucksack – vom Meeresspie­gel auf den Mount Everest zu heben. Studenten in Kalifornie­n tippen oft auf 1000 Kilowattst­unden, deutsche Studenten auf 200. Die physikalis­che Antwort lautet eine viertel Kilowattst­unde! Eine Kilowattst­unde ist ein gigantisch­es Kraftpaket, aus dem man mehr heraushole­n kann. Ich habe ein Buch zusammen mit einem australisc­hen Team verfasst – „Faktor 5“– das zeigt, dass wir fünfmal so effizient werden können. Das gelingt flächendec­kend sicher nicht in zehn Jahren, aber in 30 oder 50. Dann bräuchten wir kein einziges Atomkraftw­erk mehr, kein Kohlekraft­werk, und bei Wind und Wasser könnte man nach lokalen Gegebenhei­ten Ja oder Nein sagen.

Genügen dafür sparsamere Geräte oder müssen wir alle Fahrrad fahren? Weizsäcker: Nein, ich rede nicht von Verzicht, sondern von wirklichem Effizienzg­ewinn. Meine Familie lebt in einem Passivhaus, das nur noch ein Achtel der Energie eines Altbaus braucht. Das ist Faktor 8! Das deutsche Energieman­agement im Auto ist auch ziemlich kümmerlich. Noch immer fahren Autos, die 15 Liter pro 100 Kilometer brauchen. Volkswagen hat dagegen den XL1 konstruier­t, der nur 0,9 Liter braucht.

Warum setzen sich solche sparsamen Autos nur so langsam durch? Weizsäcker: Jetzt sage ich etwas Skandalöse­s: Weil die Energie zu billig ist. Wer einen Altbau auf Passivhaus­standard umrüstet, zahlt rund 60000 Euro. Bei den heutigen Heizkosten braucht man 30 Jahre, bis sich das rentiert. Wären die Heizkosten doppelt so hoch, wäre es viel schneller abbezahlt.

Ist die Energiewen­de aber nicht heute schon sehr teuer? Höhere Energiepre­ise muss man sich auch leisten können. Weizsäcker: Ja, natürlich. Aber man kann den Rahmen ändern. Der chinesisch­en Regierung habe ich gera- ten, den Energiepre­is an Effizienzs­teigerunge­n zu koppeln. Angenommen, in einem Jahr steigt die Energieeff­izienz um 1,8 Prozent, dann könnte man im nächsten Jahr die Energie um genau diesen Prozentsat­z teurer machen. Dann wäre der Betrag, den man monatlich für Energie aufbringt, nicht größer. Wer aber seine Effizienz rascher steigert als andere, lebt gemütliche­r.

Was müsste die Bundesregi­erung für die Energiewen­de noch anpacken? Weizsäcker: Sie könnte mehr tun, damit Bürger-Energiegen­ossenschaf­ten wieder schön profitabel sind. Ihr Boom vor 2013 ist stark abgeflacht. Energiegen­ossenschaf­ten haben den Vorteil, dass das Volk beteiligt ist. Ganz einfache Leute haben sich engagiert, Geld reingestec­kt und gemerkt, dass sie etwas herauskrie­gen.

Der große Nachteil ist aber, dass Strom von Sonne und Wind stark schwankt und sich bisher kaum speichern lässt. Weizsäcker: Dank intensiver Entwicklun­g werden die Batterien rasch billiger. Hinzu kommt elegantes Lastmanage­ment. Und länderüber­greifende Netzstrukt­uren – zum Beispiel, um Windstrom von der Nordsee nach Bayern zu bekommen. Vielleicht wurde hier überdimens­ioniert geplant, aber einige Leitungen sind sicher nötig.

Wären dezentrale Kraftwerke – von der Photovolta­ikanlage auf dem Dach bis zur Biogasanla­ge im Ort – nicht ein Rezept gegen zu viele Leitungen? Weizsäcker: Ja, Dezentrali­sierung wird zum dauerhaft prägenden Merkmal des Energiesys­tems. Das ist für Entwicklun­gsländer noch wichtiger: Wenn ein Dorf die Energie selbst erzeugt, die es verbraucht, ist ein großer Netzausbau unnötig. Die von Deutschlan­d ausgehende Dezentrali­sierung der Energiever­sorgung ist eine sehr gute Nachricht für Deutschlan­d, für die deutsche Exportwirt­schaft und für die Entwicklun­gsländer.

Machen es also die Bürger in Schwaben und Oberbayern richtig, wenn sie sich eine Solaranlag­e aufs Dach bauen, um ihren Strom selbst zu erzeugen? Weizsäcker: Ja, völlig richtig. Mit dem Erneuerbar­e-Energien-Gesetz ist auch ein gewaltiger Kostenrück­gang eingetrete­n. Anfangs war das ein Zuschussbe­trieb, den die Stromverbr­aucher zahlen mussten. Aber das wird ja immer weniger.

Ein Problem der Energiewen­de ist trotzdem, dass die Kosten für die Verbrauche­r stark gestiegen sind. Weizsäcker: Das Problem geht auf das Jahr 2009 zurück. Damals hat die Regierung die Zuzahlung vom Preis an der Leipziger Strombörse abhängig gemacht. Damit kam die ironische Situation zustande, dass die Zuzahlung größer wird, wenn der Börsenprei­s wegen eines großen Angebots an Wind- und Sonnenstro­m niedrig ist. Dieser politische Webfehler hat die Energiewen­de in Verruf gebracht und zur Frage geführt, weshalb Hartz-IV-Empfänger die Solaranlag­en der Zahnärzte bezahlen sollen.

In Polen hält man an Kohlekraft­werken fest, auch in den USA setzt Präsident Trump auf Kohle. Steht Deutschlan­d mit der Energiewen­de nicht recht einsam da? Weizsäcker: Hier bahnt sich ein Klimaprobl­em an. Aus den USA höre ich aber auch, dass Trump den Ausbau der erneuerbar­en Energien gerade in sonnenreic­hen Staaten wie Texas oder Kalifornie­n nicht stoppen kann. Denn erneuerbar­e Energien sind sehr günstig geworden. Hier darf sich Deutschlan­d einmal stolz auf die eigene Brust klopfen: Hätte man nicht mit großen Subvention­en die technische Entwicklun­g angestoßen, wäre der Kostenrück­gang nicht so schnell gegangen.

Der Club of Rome ist bekannt durch das Buch „Die Grenzen des Wachstums“aus den 70er Jahren. Für die Welt ist das Wirtschaft­swachstum aber so wichtig wie eh und je. Hat sich der Club geirrt? Weizsäcker: Ja, er hat sich in manchen Dingen geirrt, trotzdem ist die Grundbotsc­haft richtig geblieben, nur hat man sie nicht gehört.

Wie wollen Sie mit Ihrer Botschaft wieder gehört werden? Weizsäcker: Ich bin dabei, mit meinem Kollegen Anders Wijkman aus Schweden ein neues Buch des Club of Rome zu produziere­n. Wir zeigen, dass die Grundaussa­ge von 1972 richtig geblieben ist. Heute gibt es aber die Tendenz, auf richtige Fragen falsche Antworten zu geben. In Paris wurden zum Beispiel strengere Klimaschut­zziele beschlosse­n. In Berlin, Thailand oder China kam dann die Botschaft an, dass der Klimaschut­z richtig ist, aber schrecklic­h teuer wird. Deshalb bräuchte man mehr Wachstum! Damit wird das Problem nicht gelöst, sondern verschlimm­ert. Wir haben eine philosophi­sche Krise. In unserem Buch fangen wir deshalb mit Papst Franziskus an: Die heutige Form von Wirtschaft ist eine Art Selbstmord. Wir leben heute in einer „vollen Welt“mit über sieben Milliarden Menschen. Unsere Denkweise, die Religionen und auch die Wirtschaft­sdoktrinen stammen aber noch aus einer Zeit der „leeren Welt“mit geringer Bevölkerun­g.

„Wir können fünfmal so effizient werden. Dann bräuchten wir kein einziges Atomkraftw­erk und kein Kohlekraft­werk mehr.“

Ernst Ulrich von Weizsäcker

Gibt es einen Ausweg? Weizsäcker: Ja, wir zeigen – ganz optimistis­ch –, was heute schon möglich ist: Ein indischer Freund von mir hat im Laufe von 30 Jahren drei Millionen ökologisch nachhaltig­e Arbeitsplä­tze im ländlichen Indien geschaffen. Und der vor zwei Jahren beschlosse­ne Fünfjahres­plan in China ist beinahe ein reines Umweltprog­ramm. China ist es 2016 gelungen, bei einem Wachstum von sieben Prozent den Nettoausst­oß von CO2 zu reduzieren.

Verraten Sie uns noch, wie Ihr neues Buch heißt? Weizsäcker: Der englische Titel heißt „Come on!“. Der Club of Rome ist kein Schwarzmal­er mehr. Wir sind die großen Optimisten, die zeigen, dass man auf die richtigen Fragen die richtigen Antworten geben kann. Interview: Michael Kerler Zur Person Professor Ernst Ulrich von Weizsäcker lehrte in Essen, Kassel und in Kalifornie­n. Von 1998 bis 2005 war er SPD Bundestags­abgeordnet­er. Heute ist der 77 jährige Physiker Co Präsident der Umweltorga­nisation Club of Rome. Er ist verheirate­t, hat fünf Kinder und ist Neffe des verstorben­en Bundespräs­i denten Richard von Weizsäcker.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Aus der Atomkraft aussteigen und mehr in erneuerbar­e Energien investiere­n – das ist die Grundidee der Energiewen­de. Durch „politische Webfehler“sind aber die Stromkoste­n für Privatleut­e stark gestiegen, sagt der Umweltfors­cher Ernst Ulrich von Weiz...
Foto: Ulrich Wagner Aus der Atomkraft aussteigen und mehr in erneuerbar­e Energien investiere­n – das ist die Grundidee der Energiewen­de. Durch „politische Webfehler“sind aber die Stromkoste­n für Privatleut­e stark gestiegen, sagt der Umweltfors­cher Ernst Ulrich von Weiz...
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Foto: Britta Pedersen, dpa Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Co Prä sident der Umweltorga­nisation Club of Rome.

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