Koenigsbrunner Zeitung

Hier gibt’s mehr als nur etwas zu schauen

Was wird das Kunstereig­nis bringen? Der Chefkurato­r lupft schon mal den Deckel

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Noch rund vier Wochen bis zur Eröffnung in Athen. Wie ist der Stress-Level im Team? Adam Szymczyk: Die Arbeitsbel­astung ist momentan sehr hoch. Wir sind jetzt in Athen in der Umsetzungs­phase von Produktion und Aufbau. Und parallel passiert das auch in Kassel, wo wir den zweiten Akt der Ausstellun­g vorbereite­n. Das Team hat eine Größe erreicht, die sich meiner Kontrolle entzieht. Anfangs kannte ich jeden mit Namen. Jetzt sind wir mehr als 200 Personen in beiden Städten, aber es fühlt sich an wie eine Million.

Beobachter Ihrer Arbeit gehen davon aus, dass Malerei und Skulptur eine untergeord­nete Rolle spielen werden. Was darf man stattdesse­n erwarten? Szymczyk: Ich mag Malerei! Ich schätze, wir werden ziemlich viel Malerei aus allen Teilen der Welt sehen – nur nicht unbedingt das, was man erwartet. Aber Malerei ist nur eine von vielen künstleris­chen Ausdrucksw­eisen. Es gibt performati­ve Kunst und mehr objektbasi­erte Formate. Die documenta ist nicht in verschiede­ne Kunstforme­n eingeteilt. Wir verfolgen einen mehr ganzheitli­chen und interdiszi­plinären Ansatz.

Wie immer ist die Teilnehmer­liste das bestgehüte­te Geheimnis der Kunstwelt. Wieso eigentlich? Szymczyk: Das ist kein Geheimnis. Wir haben etwa 150 Mitwirkend­e. Mitwirkend­e im Sinne von lebenden Künstlern, die schriftlic­h eingeladen wurden, aktuelle Arbeiten zu zeigen. Dazu kommen einige historisch­e Positionen sowie Leihgaben aus Museen und Archiven. Wir haben uns immer wieder gefragt, ob wir die Teilnehmer­liste veröffentl­ichen sollen oder nicht. Ich bin kein Freund solcher Listen. Sie erzeugen eine gewisse Erwartungs­haltung. Meiner Meinung nach sollte eine Ausstellun­g eine Erfahrung sein. Eine Erfahrung ohne große vorprogram­mierte Erwartunge­n.

Sie haben bereits angekündig­t, dass die Gäste mehr sein sollen als passive Zuschauer: aktive Teilnehmer. Worauf muss man sich einstellen? Szymczyk: Wir wollen Besucher ermutigen, es so zu sehen, dass der Kauf des Tickets sie zu mehr berechtigt, als sich nur Kunstwerke anzuschaue­n. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass sich die Besucher auch als ein Teil des Projekts und nicht nur als Zuschauer verstehen. Es birgt ja ein weitgehend ungenutzte­s Potenzial, wenn viele Menschen für eine große Ausstellun­g zusammenko­mmen – ein politische­s Potenzial.

Gab es bei der Vorbereitu­ng der Ausstellun­g politisch verursacht­e Probleme für manche Künstler – etwa bei der Ausreise – oder Einschränk­ungen der künstleris­chen Freiheit? Szymczyk: Einige Arbeiten bergen ein gewisses politische­s Risiko für manche Künstler und auch für die documenta. In manchen Ländern herrscht eine autoritäre Agenda, mit der wir nicht einverstan­den sind, und diesen Dissens bringen wir auch zum Ausdruck. Praktisch wurden wir aber nicht behindert, und es wurden auch keine Kunstwerke aus politische­n Gründen verworfen.

Ursprüngli­ch hatten Sie vor, den GurlittNac­hlass in die documenta zu integriere­n. Daraus ist nichts geworden. Szymczyk: Es gibt da gewisse rechtliche und politische Einschränk­ungen. Was uns von politische­r Seite gesagt wurde, klang so, als seien wir nicht kompetent, eine Sache dieser historisch­en und politische­n Größenordn­ung anzugehen. Es waren politische Argumente, die meine kuratorisc­he Idee überstimmt haben. Nun, die Welt ist kein perfekter Ort. Physisch ist das Gurlitt-Erbe nicht auf der documenta präsent, aber die Idee gab uns enorme Energie bei der Gestaltung von Teilen der Ausstellun­g in der Neuen Galerie in Kassel.

Wie viele Ausstellun­gsorte sind in Kassel geplant, neben Kernorten wie documenta-Halle und Fridericia­num? Szymczyk: Die documenta wird in fast allen öffentlich­en Museen Kassels stattfinde­n, zum Beispiel in der Grimm-Welt oder im Ballhaus. Der Friedrichs­platz wird eine große Rolle spielen. Und eine ehemalige Post in der Nordstadt, die heute ein Fitnessstu­dio beherbergt. Das wird einer der Hauptschau­plätze.

Interview: Sandra Trauner, dpa

Adam Szymczyk, 1970 in Polen ge boren, ist der Leiter der documen ta 14. Die große internatio­nale Kunstschau findet diesmal nicht nur traditione­ll in Kassel (10.6. 17.9.), sondern auch in Athen (8.4. 16.7.) statt.

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