Koenigsbrunner Zeitung

Diese Finger altern nicht

Ausnahmegi­tarrist Ralph Towner ist auch mit 77 ein Ereignis

- VON REINHARD KÖCHL

Neuburg Fingergelä­ufigkeit: ein großes, bedeutungs­schweres Wort. Bis zu einem gewissen Grad kann man sie trainieren; in höheren Gefilden hat man sie, oder man hat sie nicht. Dann bewegen sich die Gliedmaßen wie von selbst über das Griffbrett und den Korpus, modelliere­n Melodien, jonglieren mit Harmonien und Takten, vollführen tollkühne Oktavsprün­ge.

Wenn einem das in den Genen steckt wie dem Gitarriste­n Ralph Towner, dann funktionie­rt es immer und überall, in guten wie in schlechten Tagen, vom siebten bis zum 77. Lebensjahr, in New York, Buenos Aires oder in Neuburg. Im einmal mehr restlos ausverkauf­ten Birdland Jazzclub beobachten die Fans Towners Finger, wie sie flitzen, marschiere­n, gleiten, springen, laufen, tänzeln oder schlendern, wie sie miteinande­r im Einklang bleiben, die Ideen und manchmal auch den Instinkt ihres Besitzers ohne Umwege in Klänge umwandeln. Towner spielt nicht nur mit seinen natürliche­n Werkzeugen, sondern auch mit jeder Menge Herzblut, im Titelsong seiner jüngsten CD „My Foolish Heart“ebenso wie in riskanten Duetten mit Javier Girotto (Sopransaxo­fon). Und mit jeder Menge freier Fantasie. Ein Privileg, das er sich nach all den bewegten Jahren mit der Kultband Oregon, mit Weather Report sowie an der Seite von Keith Jarrett, Jan Garbarek oder John McLaughlin einfach gönnt.

Es sind vor allem die Solostücke, mit denen der eigentlich­e Erfinder der Weltmusik den Kellerklub verzaubert. Kleinodien, die einen tiefen Sinn fürs Instrument offenbaren, spinnwebar­tige Geflechte, sanfte Lyrismen voller spröder Schönheit, Mehrstimmi­ges, behände Akrobatik der Gliedmaßen ohne einen Anflug von Nabelschau. In „Biding Time“, einem Blues zu Ehren seines verstorben­en Pianofreun­des Paul Bley, greift er auch mal zur Westerngit­arre. Anderes Instrument, anderer Sound, aber unverkennb­ar Towner.

Und die Körperspra­che: schulmäßig, im Geiste von Andrés Segovia oder John Williams. Kerzengera­der Rücken, die sechssaiti­ge klassische Gitarre aufs Knie gestellt, den Hals in die Höhe gerichtet. Keine harmlose Idylle, sondern tiefe Nachdenkli­chkeit, federleich­t übers Griffbrett geschickt. Dazu offene Tempi, stehende Akkordfläc­hen, langsam ausgekoste­te Melodien.

Er und Girotto könnten einen wirklich bewegenden Diskurs zweier lebenserfa­hrener Melomanen eröffnen – wenn der Argentinie­r nur auf gleicher Augenhöhe agieren würde. Dies gelingt ihm jedoch viel zu selten, weil keines seiner Statements wirklich überrasche­n kann und sein zerrender Ton nicht zum leuchtende­n Gitarrenso­und passt. Wenn Ralph Towner seinen Klassiker „Celeste“am Piano intoniert, wünscht man sich, dass gerade jetzt das Saxofon für ein paar Sekunden schweigen möge. Um einfach nur dieser raffiniert­en, klangschön­en, mediterran beseelten, federleich­ten Fingergelä­ufigkeit zu lauschen.

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Foto: Gerd Löser Der Gitarrist und sein Werkzeug: Ralph Towner in Neuburg.

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