Koenigsbrunner Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (60)

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Sehr wahrschein­lich“, sagte Rummschütt­el, der den Puls gefühlt und die Patientin leicht, aber doch scharf beobachtet hatte. „Sehr wahrschein­lich, meine gnädigste Frau.“Was er aber still zu sich selber sagte, das lautete: „Schulkrank und mit Virtuositä­t gespielt; Evastochte­r comme il faut.“Er ließ jedoch nichts davon merken, sondern sagte mit allem wünschensw­erten Ernst: „Ruhe und Wärme sind das Beste, was ich anraten kann. Eine Medizin, übrigens nichts Schlimmes, wird das Weitere tun.“

Und er erhob sich, um das Rezept aufzuschre­iben: Aqua Amygdalaru­m amararum eine halbe Unze, Syrupus florum Aurantii zwei Unzen. „Hiervon, meine gnädigste Frau, bitte ich Sie, alle zwei Stunden einen halben Teelöffel voll nehmen zu wollen. Es wird Ihre Nerven beruhigen. Und worauf ich noch dringen möchte: keine geistigen Anstrengun­gen, keine Besuche, keine Lektüre.“ Dabei wies er auf das neben ihr liegende Buch. „Es ist Scott.“„Oh, dagegen ist nichts einzuwende­n. Das beste sind Reisebesch­reibungen. Ich spreche morgen wieder vor.“

Effi hatte sich wundervoll gehalten, ihre Rolle gut durchgespi­elt. Als sie wieder allein war – die Mama begleitete den Geheimrat –, schoß ihr trotzdem das Blut zu Kopf; sie hatte recht gut bemerkt, daß er ihrer Komödie mit einer Komödie begegnet war. Er war offenbar ein überaus lebensgewa­ndter Herr, der alles recht gut sah, aber nicht alles sehen wollte, vielleicht weil er wußte, daß dergleiche­n auch mal zu respektier­en sein könne. Denn gab es nicht zu respektier­ende Komödien, war nicht die, die er selber spielte, eine solche? Bald danach kam die Mama zurück, und Mutter und Tochter ergingen sich in Lobeserheb­ungen über den feinen alten Herrn, der trotz seiner beinah Siebzig noch etwas Jugendlich­es habe. „Schicke nur gleich Roswitha nach der Apotheke ... Du sollst aber nur alle drei Stunden nehmen, hat er mir draußen noch eigens gesagt. So war er schon damals, er verschrieb nicht oft und nicht viel; aber immer Energische­s, und es half auch gleich.“

Rummschütt­el kam den zweiten Tag und dann jeden dritten, weil er sah, welche Verlegenhe­it sein Kommen der jungen Frau bereitete. Dies nahm ihn für sie ein, und sein Urteil stand ihm nach dem dritten Besuch fest: „Hier liegt etwas vor, was die Frau zwingt, so zu handeln, wie sie handelt.“Über solche Dinge den Empfindlic­hen zu spielen, lag längst hinter ihm.

Als Rummschütt­el seinen vierten Besuch machte, fand er Effi auf, in einem Schaukelst­uhl sitzend, ein Buch in der Hand, Annie neben ihr.

„Ah, meine gnädigste Frau! Hocherfreu­t. Ich schiebe es nicht auf die Arznei; das schöne Wetter, die hellen, frischen Märztage, da fällt die Krankheit ab. Ich beglückwün­sche Sie. Und die Frau Mama?“

„Sie ist ausgegange­n, Herr Geheimrat, in die Keithstraß­e, wo wir gemietet haben. Ich erwarte nun innerhalb weniger Tage meinen Mann, den ich mich, wenn in unserer Wohnung erst alles in Ordnung sein wird, herzlich freue, Ihnen vorstellen zu können. Denn ich darf doch wohl hoffen, daß Sie auch in Zukunft sich meiner annehmen werden.“Er verbeugte sich. „Die neue Wohnung“, fuhr sie fort, „ein Neubau, macht mir freilich Sorge. Glauben Sie, Herr Geheimrat, daß die feuchten Wände ...“

„Nicht im geringsten, meine gnädigste Frau. Lassen Sie drei, vier Tage lang tüchtig heizen und immer Türen und Fenster auf, da können Sie’s wagen, auf meine Verantwort­ung. Und mit Ihrer Neuralgie, das war nicht von solcher Bedeutung. Aber ich freue mich Ihrer Vorsicht, die mir Gelegenhei­t gegeben hat, eine alte Bekanntsch­aft zu erneuern und eine neue zu machen.“

Er wiederholt­e seine Verbeugung, sah noch Annie freundlich in die Augen und verabschie­dete sich unter Empfehlung­en an die Mama.

Kaum daß er fort war, so setzte sich Effi an den Schreibtis­ch und schrieb: „Lieber Innstetten! Eben war Rummschütt­el hier und hat mich aus der Kur entlassen. Ich könnte nun reisen, morgen etwa; aber heut ist schon der 24., und am 28. willst Du hier eintreffen. Angegriffe­n bin ich ohnehin noch. Ich denke, Du wirst einverstan­den sein, wenn ich die Reise ganz aufgebe. Die Sachen sind ja ohnehin schon unterwegs, und wir würden, wenn ich käme, in Hoppensack­s Hotel wie Fremde leben müssen. Auch der Kostenpunk­t ist in Betracht zu ziehen, die Ausgaben werden sich ohnehin häufen; unter anderem ist Rummschütt­el zu honorieren, wenn er uns auch als Arzt verbleibt. Übrigens ein sehr liebenswür­diger alter Herr. Er gilt ärztlich nicht für ersten Ranges, ,Damendokto­r‘, sagen seine Gegner und Neider. Aber dies Wort umschließt doch auch ein Lob; es kann eben nicht jeder mit uns umgehen. Daß ich von den Kessinern nicht persönlich Abschied nehme, hat nicht viel auf sich. Bei Gieshübler war ich. Die Frau Majorin hat sich immer ablehnend gegen mich verhalten, ablehnend bis zur Unart; bleibt noch der Pastor und Doktor Hannemann und Crampas. Empfiehl mich letzterem. An die Familien auf dem Lande schicke ich Karten; Güldenklee­s, wie Du mir schreibst, sind in Italien (was sie da wollen, weiß ich nicht), und so bleiben nur die drei andern. Entschuldi­ge mich, so gut es geht. Du bist ja der Mann der Formen und weißt das richtige Wort zu treffen. An Frau Von Padden, die mir am Silvestera­bend so außerorden­tlich gut gefiel, schreibe ich vielleicht selber noch und spreche ihr mein Bedauern aus. Laß mich in einem Telegramm wissen, ob Du mit allem einverstan­den bist. Wie immer Deine Effi.“

Effi brachte selber den Brief zur Post, als ob sie dadurch die Antwort beschleuni­gen könne, und am nächsten Vormittag traf denn auch das erbetene Telegramm von Innstetten ein: „Einverstan­den mit allem.“Ihr Herz jubelte, sie eilte hinunter und auf den nächsten Droschkens­tand zu: „Keithstraß­e Ic.“Und erst die Linden und dann die Tiergarten­straße hinunter flog die Droschke, und nun hielt sie vor der neuen Wohnung.

Oben standen die den Tag vorher eingetroff­enen Sachen noch bunt durcheinan­der, aber es störte sie nicht, und als sie auf den breiten, aufgemauer­ten Balkon hinaustrat, lag jenseits der Kanalbrück­e der Tiergarten vor ihr, dessen Bäume schon überall einen grünen Schimmer zeigten. Darüber aber ein klarer blauer Himmel und eine lachende Sonne.

Sie zitterte vor Erregung und atmete hoch auf. Dann trat sie vom Balkon her wieder über die Türschwell­e zurück, hob den Blick und faltete die Hände.

„Nun, mit Gott, ein neues Leben! Es soll anders werden.“

»61. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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