Sitzbänke mit Kult Charakter
Die Stadt Augsburg verkauft die alten Stühle aus der Kongresshalle. Die Besucher saßen hier seit den 70ern. Für viele verbinden sich Erinnerungen mit den Sesseln – andere haben in Zukunft Großes mit ihnen vor
Stühlerücken im Kongress am Park. Während im großen Saal das Theater Augsburg vor leeren Stuhlreihen die Technik für „Otello“aufbaut, schleppen am Samstag im Foyer Menschen die alten Sitzgruppen im Retrodesign der 70er Jahren davon. Die Stadt verkauft ein Stück Augsburger Kulturgeschichte.
Rund 30 Interessenten stehen eine Viertelstunde vor Öffnung in einer Schlange vor dem Haupteingang der Kongresshalle. Der Fuhrpark, der sich schon jetzt hier angesammelt hat, kann sich sehen lassen. Mit Transportern, Kastenwagen, Combis und Anhängern sind Menschen aus Augsburg und dem Umland hierher gefahren, um die sperrigen Sitzmöbel nach Hause zu transportieren.
Im Foyer stehen die Klappsessel wie im Kino nebeneinander aufgereiht. 35 Zweier- und 200 Dreierelemente zu 70 bzw. 105 Euro bietet die Stadt zum Verkauf. Obwohl man den Stühlen das Alter deutlich ansieht, finden sich schnell Liebhaber. Zweierelemente sind nach wenigen Minuten vergriffen, doch auch die langen Dreiergruppen gehen gut weg. Ein beliebter Verwendungszweck für die Sessel ist die Aufgabe als Schuhbank. „Wir werden die Stühle erst mal im Treppenhaus aufbauen“, sagt Michael Tartsch, während er Theresa, die Tochter seiner Bekannten Diana Wieland, auf Rollbrettern über den Vorplatz zu ihrem Anhänger schiebt. „Ich war vor Kurzem mit meiner Mutter in der Kongresshalle und sie wunderte sich, wo die alten Stühle hingekommen sind – und jetzt kann sie Zuhause darauf sitzen“, freut er sich. Eine Schuhbank von Ikea könne jeder kaufen – aber die Kongresshallenstühle seien etwas Besonderes.
Bis nach Berlin sollen die Stühle der Freundesclique um Andreas Boese gehen. Die Jungs haben sich gleich vier Zweier- und Dreierreihen gesichert und wuchten sie gemeinsam in einen Mercedes Sprinter. Ein Stuhl bleibt aber in Augsburg – die Ehefrau habe sich schon lange einen Kinostuhl für die Garderobe gewünscht, verrät Boese.
Cappuccino sollen die Kunden der Hobby-Autowerkstatt von Christian Hintermair aus Ried künftig beim Warten auf den orangefarbenen Samtstühlen trinken, hat er sich überlegt. Und im Sommer will er mit den Stühlen ein Mini-Openair-Kino mit der weißen Fassade der Werkstatt als Leinwand aufmachen. Als Kongresshallen-Fan hat Hintermaier die Stühle in den vergangenen Jahren bei vielen Veranstaltungen ausgiebig getestet.
Völlig entspannt, während um ihn herum die Möbel verladen werden, hat sich Student Janek Wozniak auf einer Sitzgruppe niedergelassen. „Die Stühle gehören meinem Kumpel – ich bin nur zum Tragen hier“, sagt er und blinzelt in die Sonne. „Ich hoffe, er kommt so schnell nicht wieder.“
Die Stühle ins Auto zu bekommen, ist für einige Käufer die größte Herausforderung. Während die meisten sich Fahrzeuge mit großer Ladekapazität besorgt haben, überschätzen einige die Größe ihres Autos. Ein Mann versucht verzweifelt, eine 1,70 Meter lange und 85 Zentimeter hohe Dreiergruppe in den Kofferraum seines Mercedes-Coupés zu schieben, doch schon nach wenigen Zentimetern ist Schluss. „Das wird nicht klappen“, attestiert ihm mit einem Blick der Saalmeister der Kongresshalle. Das kleinste Transportfahrzeug ist der Mercedes an diesem Tag allerdings nicht – auf einer Sackkarre habe ein Käufer die 50 Kilo schwere Sitzgruppe bis in die Wallstraße geschoben, berichtet ein Augenzeuge.
Auch im Übernacht-Hostel werden die Gäste bald auf den bequemen Sitzmöbeln Platz nehmen können, berichtet Leiterin Rosemarie Jakob. Künftig werde es in dem stark vergrößerten Hostel in der Karlstraße ein kleines Café geben, in dem die Stühle stehen sollen.
Regio-Geschäftsführer Götz Beck, der für den Kongress am Park verantwortlich ist, hat viele Erinnerungen an die alten Stühle – angenehme und weniger angenehme. Ein Highlight sei die Wiedereröffnung des Kongresses am Park nach der Neugestaltung gewesen. „Ich saß in einem der Stühle und habe nur gedacht: Jetzt ist alles gut“, erinnert er sich. Unangenehmer seien manche klassischen Konzerte gewesen, bei denen die lockeren Armlehnen mit einem deutlichen „Klack“zu Boden gefallen seien. „Das war schon peinlich“, erinnert er sich.
Am Samstagabend sind die Organisatoren der Stadt sehr zufrieden: Rund 100 Sitzgruppen wurden verkauft, gut 9000 Euro Erlös gehen an den Kongress am Park, wie JensHolger Ziegler von der Wirtschaftsförderung der Stadt sagt. Weil noch einige Dreiergruppen übrig sind, werde man wohl Ende April den Verkauf wiederholen, so Ziegler. Übrigens wurden nicht alle Stühle aus dem Jahr 1972 verkauft: Auf der Empore der Kongresshalle gibt es noch 400 festmontierte Originale – eine Forderung des Denkmalschutzes. Deshalb wurde auch ein Teil der Sitzgruppen zerlegt und als Ersatzteile eingelagert, wie Ziegler berichtet.
IBei uns im Internet Bilder vom Verkauf der Stühle im Kon gress am Park finden Sie unter augsburger allgemeine.de/bilder