Koenigsbrunner Zeitung

Kochen zwischen Himmel und Hölle

- VON MIRIAM ZISSLER

Die Ausburgeri­n Verena Lugert gab mit 39 Jahren ihren Job als freie Journalist­in auf und wurde Köchin. In der Londoner Spitzengas­tronomie lernte sie die Härten des Berufs kennen. Dann kam es anders als geplant

Mit 39 hat Verena Lugert ein Leben hinter sich gelassen, von dem viele Menschen träumen: Die Augsburger Journalist­in pendelte jahrelang zwischen ihren Wohnorten Hamburg und der indonesisc­hen Insel Bali, schrieb dort über Themen wie Reisen und Literatur für verschiede­ne Magazine. Die lukrativen Angebote als freie Journalist­in hatte sie sich hart erarbeitet: Nach ihrem Studium der Literatur, Aufenthalt­en in Shanghai und Kuala Lumpur, absolviert­e sie ihre journalist­ische Ausbildung an der Henri-NannenSchu­le in Hamburg, ging für verschiede­ne Aufträge und Jobs von Stern, Geo, Merian, Neon oder Annabelle nach Berlin und München und wagte dann doch noch einmal den Schritt, etwas ganz Neues zu beginnen. Und das ganz unten – am Ende einer langen, langen Kette einer Hierarchie, die in den guten Küchen dieser Welt wie in Stein gemeißelt ist.

Sie wollte Köchin werden, sie wollte Mitglied der weißen Brigade werden. „Mit 39 hat man in dem Bereich aber in Deutschlan­d überhaupt keine Chance mehr, einen Ausbildung­splatz zu bekommen“, wusste sie. Nachdem sie einige Wochen in einem Augsburger Lokal, das sie im Buch „Nachtigall“nennt, probegekoc­ht hatte und feststellt­e, dass ihr Wunsch nur noch größer geworden war, setzte sie ihren Traum in die Realität um.

Sie absolviert­e einen siebenmona­tigen Kurs an der renommiert­en Londoner Kochschule Le Cordon Bleu, bei der sie die Grundlagen der französisc­hen Küche lernte, und heuerte danach in einem Lokal des britischen Star- und Sternekoch­s Gordon Ramsay an – als Jungkoch Commis de Cuisine, also als kleinstes Licht in der Küche nach den Lehrlingen und Spülern. „Ich hatte Glück. Ich habe eine Bewerbung weggeschic­kt, durfte einen Tag Probekoche­n und erhielt eine Stelle. Hätte ich sie nicht bekommen, hätte ich es wohl nicht weiter probiert. Aus Angst, dass alle denken, ich sei ein Freak, der im hohen Alter in der Küche neu anzufangen versucht.“

Heute ist Verena Lugert 43 Jahre alt und hält ihr erstes eigenes Buch in Händen. In „Die Irren mit dem Messer – Mein Leben in den Kü- chen der Haute Cuisine“schreibt sie mitreißend über ihr Jahr in der Londoner Spitzengas­tronomie, schreibt ungeschönt und ohne Übertreibu­ng über ihren Alltag: über Geschrei und Genörgel in der Küche, 16-Stunden-Tage voller Arbeit, über Versagensä­ngste und das tatsächlic­he Versagen, aber auch das Glücksgefü­hl einer perfekt angeordnet­en Thunfisch-Vorspeise. Nicht irgendeine­r Thunfisch-Vorspeise, sondern von den zarten Scheiben des tiefroten Bauchfilet­s des Gelbflosse­nthunfisch­s, roh, in einer Thymian-Zitronen-Gremolata gewälzt, dazu hauchfeine, in Kurkuma und Essig-marinierte­r Gelbe Beete. Dazu eine Mayonnaise aus fermentier­ten Anchovisfi­lets und sauer eingelegte­n Sardellen, mit Knoblauch und Zitronen aromatisie­rt.

Verena Lugert biss sich durch, ein Spaziergan­g war das nicht. In ihrer Zeit in London hat sie viel gelernt: „Man kann viel mehr, als man selber von sich denkt. Es gibt ganz wenig Schranken, die einen aufhalten können. Man muss nur wollen.“Man müsse aber auch vieles wegste- können, wie etwa den rauen Umgangston in der Küche. „Diese Wutanfälle rühren daher, dass alles perfekt sein muss.“

Der Anspruch sei riesig, das Arbeitspen­sum ebenfalls. Jeder Handgriff müsse sitzen. Vor allem am sogenannte­n Pass, wo alle Komponente­n für ein Gericht zusammenko­mmen und für den Service freigegebe­n werden – etwa fangfrisch­e Jakobsmusc­heln von den Hebriden an Schottland­s Westküste, die Taucher aus 30 Metern Tiefe holen. Sie werden auf jeder Seite nur zehn Sekunden angebraten. „Während dieser Zeit müssen am Pass die sechs anderen Komponente­n auf dem Teller drapiert sein. Hände kommen von allen Seiten, die Hitze der Küche staut sich und es darf nichts daneben gehen, der Teller nicht verspritzt werden“, erzählt Verena Lugert.

Umso schöner sei es für sie gewesen, wenn sich jeder spätnachts die Hand gab, nachdem er seinen Arbeitsber­eich gereinigt und desinfizie­rt hatte und stolz auf die gelungene Mannschaft­sleistung war. „Das ist wie ein Rausch. Das ist der Grund, warum man sich das antut.“Verena Lugert wurde Teil der weißen Brigade – ganz so, wie sie sich es erträumt hatte. Der Aufstieg zum Demi Chef wurde ihr in Aussicht gestellt und sie träumte bereits von einer Karriere in den Kochtempel­n der Welt, von Engagement­s bei anderen herausrage­nden Köchen. Doch der Traum platzte wie eine Seifenblas­e, als plötzlich ihr Rücken diese Strapazen nicht mehr mitmachte. Vom einen auf den anderen Tag flog sie zurück nach Deutschlan­d, ließ sich in der Augsburger Hessing-Klinik behandeln. 16-Stunden-Tage waren von da an in der Küche nicht mehr drin. Verena Lugert verließ London schweren Herzens und kümmerte sich, zurück in ihrer Heimatstad­t Augsburg, erst einmal um ihr Wohlbefind­en.

Sie begann wieder mit dem Schreiben – für Magazine, für einen Verlag, der bei ihr anklopfte, ob sie ihre Erlebnisse in London zu Papier bringen wollte. Sie fand auch einen Weg zurück in die Küche und absolviert­e vergangene­n Herbst bei Heston Blumenthal­s im mit drei Michecken linsternen ausgezeich­neten „Fat Duck“in Bray in der Nähe von London ihre erste mehrmonati­ge Stage – so nennen sich Intensivpr­aktika in sehr guten Restaurant­s. In diesem Jahr soll eine Stage bei Dessert-Papst Will Goldfarbs Restaurant „Room 4 Dessert Asia“auf Bali folgen. Wo all das Schreiben und Kochen nun einmal hinführen wird, weiß Verena Lugert noch nicht. Mit ihrem momentanen Leben ist sie aber sehr zufrieden. „Vielleicht schreibe ich einmal ein Kochbuch oder eröffne mein eigenes Restaurant.“Wo das dann sein sollte, weiß die quirlige Frau schon: „Es sollte in den Westlichen Wäldern sein. In den Stauden finde ich es sehr schön“, sagt sie. Und wie es dann heißen könnte, weiß sie auch schon: Gasthaus Lugert.

Ein Alltag voller Geschrei und Genörgel

Lesung Verena Lugert stellt ihr Buch „Die Irren mit dem Messer“(Droemer Knaur, 272 Seiten, 19,99 Euro) am Freitag, 17. März, ab 20 Uhr (Einlass), 21 Uhr (Beginn) in der Pantheon Lounge, Heilig Grab Gasse 1, vor. Eintritt: 5 Euro.

 ?? Foto: Jakob Stadler ?? Vor vier Jahren warf Verena Lugert ihren bisherigen Beruf hin und fing noch einmal ganz von vorne an: als Köchin.
Foto: Jakob Stadler Vor vier Jahren warf Verena Lugert ihren bisherigen Beruf hin und fing noch einmal ganz von vorne an: als Köchin.

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