Koenigsbrunner Zeitung

Eltern quälen ihre Tochter über Jahre

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Mädchen ging durch die Hölle. Ein spätes Geständnis bewahrt Mutter und Stiefvater aus Neusäß vor dem Gefängnis

Augsburg/Neusäß Was sie als Kind erlebt hat, wird sie zeitlebens nicht vergessen. Sieben Jahre lang ging eine heute 27-Jährige durch die Hölle: Sie wurde von ihren Eltern aus Neusäß misshandel­t und sadistisch gequält. Einmal streute die Mutter dem Mädchen sogar Salz in die Unterhose, um es zu bestrafen. Zehn Jahre nach den Vorfällen vertraute sich die junge Frau dem Augsburger Anwalt Prof. Hermann Kühn an. Dann stellte sie Strafanzei­ge bei der Polizei.

Nach den Ermittlung­en, die fast ein halbes Jahr dauerten, wurden die Eltern angeklagt. Die Vorwürfe, die Staatsanwä­ltin Kathrin Schmid am Freitag im Augsburger Amtsgerich­t vortrug, zeichneten ein Bild von Gewalt und Demütigung. Oder anders ausgedrück­t: Was sich in der Neusässer Wohnung abspielte, muss der reinste Horror für das Mädchen gewesen sein.

Zwischen Oktober 1999 und Januar 2006 wurde die Minderjähr­ige regelmäßig zur Strafe in eine nur wenige Quadratmet­er große Abstellkam­mer gesperrt, die weder ein Licht noch ein Fenster hatte. Sie musste stundenlan­g Kniebeugen machen, sie wurde von der leiblichen Mutter mit den Füßen getreten oder ins Gesicht geschlagen. Der Stiefvater packte sie am Hals. Einmal wurde die Minderjähr­ige an einen Stuhl gefesselt. Als sie vor Erschöpfun­g nicht mehr konnte und schlafen wollte, musste sie alte, stinkende Kleider anziehen und sich auf den blanken PVC-Boden legen. Zweimal im Monat schnitt ihr die Mutter die Haare ab.

Es gab noch weitere Misshandlu­ngen, die das schutzlose Kind damals über sich ergehen lassen musste. Der Stiefvater zwang das Mädchen, scharfe Peperoni zu essen. Als sie Wasser wollte, gaben ihr die Eltern nur die Brühe aus dem Einmachgla­s zu trinken. Wenn das Mädchen eingenässt hatte, musste es seine Unterhosen über den Kopf ziehen. Täglich hatten die Eltern die Unterwäsch­e kontrollie­rt.

Die sadistisch­en Quälereien begannen im Jahr 1999, als das Mädchen zehn Jahre alt war. Zu Ende waren sie mit dem Auszug der Jugendlich­en im Jahr 2006. Dann dauerte es zehn Jahre, bis sich das Opfer als junge Frau offenbarte und sich Anwalt Kühne anvertraut­e.

Im Prozess vor dem Augsburger Amtsgerich­t schüttelte die leibliche Mutter zunächst den Kopf, als es um die schweren Vorwürfe ging. Unmittelba­r nach der Anklagever­lesung unterbrach Richter Stefan Lenzenhube­r die Verhandlun­g und bat die beiden Verteidige­r Susanne Scheibe und Karl-Wilhelm Schuhmache­r, die Staatsanwä­ltin und den Anwalt der Tochter in sein Richterzim­mer.

Zur Strafe musste das Mädchen auch scharfe Peperoni essen Eine Absprache erspart dem Opfer eine weitere Aussage

Das Gericht wollte das Verfahren abkürzen und insbesonde­re dem Opfer eine weitere Aussage ersparen. Es kam zur Absprache einer zweijährig­en Bewährungs­strafe, wenn die Angeklagte­n die Vorwürfe zugeben. Als Auflage wurde festgelegt, dass die 58 Jahre alte Mutter und der fünf Jahre jüngere Stiefvater der jungen Frau ein Schmerzens­geld in Höhe von jeweils 3500 Euro zahlen.

Nach dem Geständnis und den Plädoyers von Staatsanwä­ltin, Nebenklage-Vertreter und den beiden Verteidige­rn hatten die beiden Angeklagte­n das letzte Wort. Doch statt sich zu entschuldi­gen oder nach einer Rechtferti­gung zu suchen, sagte die Mutter nur: „Mir fällt nichts mehr ein dazu.“Der Stiefvater schloss sich an: „Mir auch nicht.“

Mit dem Urteil will die junge Frau einen Schlussstr­ich ziehen. Ihr Anwalt Hermann Kühn sagte nach dem Prozess: „Sie ist froh, dass alles jetzt endlich ein Ende gefunden hat.“Vorbei ist es allerdings noch lange nicht. Denn die Frau leidet bis heute an den permanente­n Qualen in ihrer Kindheit. Sie hat Panikattac­ken, wie Anwalt Kühn im Plädoyer erklärte. Dazu kommen Depression­en. Noch immer lässt sie sich therapeuti­sch behandeln. „Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis sie alles verarbeite­t hat“, sagte Kühn. „Das Verfahren ist aber ein wichtiger Schritt in diese Richtung.“

Für die junge Frau steht jetzt die eigene Familie im Vordergrun­d. „Ich will meiner Tochter ein unbeschwer­tes Leben ermögliche­n“, sagte sie. Dazu gehöre es, mit der Vergangenh­eit aufzuräume­n.

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