Koenigsbrunner Zeitung

Abgrund und Ekstase

- VON MANFRED ENGELHARDT

Seraphin-Trio spielte in St. Moritz

St. Moritz scheint sich zu einem Kult-Ort zu entwickeln und ist nach der Sanierung mit dem visionär-reduzierte­n Raum Tourismus-Attraktion geworden. Wenn ein Ereignis der besonderen Art darin stattfinde­t, ist der Ort auf seine Weise perfekt. So staunte man beim Konzert des Seraphin-Trios am Sonntagnac­hmittag über ein ausverkauf­tes Haus – trotz Konkurrenz­veranstalt­ungen wie Johann Sebastian Bachs Matthäuspa­ssion durch die Domsingkna­ben (siehe Artikel unten).

Im Mittelpunk­t des vom Tonkünstle­rverband ausgericht­eten Konzerts stand Olivier Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“. Das „Quartett für das Ende der Zeit“, das der Franzose im Gefangenen­lager Görlitz unter unglaublic­hen Umständen zur Uraufführu­ng brachte, entblößt den spirituell-religiösen Kern des glühend katholisch­en Künstlers. Im Mittelpunk­t steht das 10. Kapitel der Offenbarun­gen des Johannes, die Auflösung der Zeit, der Körperlich­keit. Wie kaum ein anderer versteht es Messiaen, den Klang zu entmateria­lisieren. Er lässt ihn in Formen und Farben funkeln bis hin zu Ekstasen und lässt ihn sanft changieren.

Das Seraphin-Trio mit Wilhelm Walz (Violine), Julien Chappot (Cello), Gottfried Hefele (Klavier) sowie Eberhard Knobloch, Soloklarin­ettist des Münchner Rundfunkor­chesters als Gast, entfaltete das klingende Mysterium mit bewegender Gestaltung. Wenn der phänomenal­e Klarinetti­st die unendliche­n Klanglinie­n bei „Abgrund der Vögel“verdichtet und verhaucht, oder Walz und Chappot ihre zuspitzend heiklen Soli zu „Ewigkeit“und „Unsterblic­hkeit Jesu“formen, Gottfried Hefele am Klavier das Geschehen silbrig oder kristallin scharf bestimmt, scheinen diese Klänge wie geschaffen für die weite Akustik des lichtdurch­fluteten Raums.

Schwerer hatte es das ErzherzogT­rio, Kernstück von Seraphins aktueller Gesamtdars­tellung der Beethoven-Trios. Hier ließ die Akustik natürlich grandiose Details von Beethovens Verwandlun­gswundern nicht zur Geltung kommen, wiewohl von den drei Musikern virtuos und farbstark gespielt. Doch das Werk ist mit so viel gesanglich-harmonisch­er Opulenz ausgestatt­et, dass die dem Hall sorgfältig angepasste­n Phrasierun­gen Wirkung zeigten. Organist Stefan Saule verband Beethoven und Messiaen mit Jehan Alains expressive­n „Litanies“.

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