Gesellschaft
Ulli wird jetzt ein Mann
Als Mädchen hasste sie Kleider, später merkte sie: Ich lebe im falschen Körper. Mit 33 Jahren will die Augsburgerin das jetzt ändern. Trotz Freund und Tochter. Und trotz der Mutter, die deshalb mit ihr gebrochen hat
Vor drei Tagen erst hat Ulli M.* die Erzieherin ihrer dreijährigen Tochter Mara in der Kita informiert. Ach, das sei doch nicht schlimm, habe diese reagiert. „Sie ist einer der Menschen in meinem Umfeld, die ich aufklären muss“, sagt Ulli M. Seit vier Wochen nimmt die 33-Jährige Hormone. Nun ihr Leben lang. Sie ist dabei, ein Mann zu werden. Ulli M. ist ein Transgender.
Auf dem ersten Blick wirkt die Augsburgerin mit den kurzen schwarzen Haaren, Piercings im Gesicht und Tätowierungen an den Armen hart. Doch wie so oft täuscht die Optik. Ulli M. erzählt von ihrer Kindheit und Jugend. Von den Gedanken damals, sich umzubringen. „Weil das Anderssein immer so schwierig war.“Sie sagt das alles nüchtern. Nahezu emotionslos. Spricht sie über Töchterchen Mara, wird ihre Stimme weich. Die Frau mit den tiefdunklen Augen ist äußerst sensibel. Ihre raue Art ist nur ihr Schutzschild. Wie auch sonst soll man es verarbeiten, wenn sich die eigene Mutter von einem abwendet und dabei Sätze fallen, wie: „Du bist doch krank! So Leuten wie dir gehört das Kind weggenommen!“Ulli M. rührt in ihrem Milchkaffee. „Wenn die eigene Mutter mit dir nichts mehr zu tun haben will, ist das schwierig. Aber irgendwann baust du dir eine Mauer auf, weil es einfach reicht.“
Die Augsburgerin, die als Rettungssanitäterin arbeitet, lebt in einer Patchwork-Familie. Tochter Mara (3) brachte sie aus einer vorangegangenen Beziehung mit, ihr Lebensgefährte Patrick K.* einen neunjährigen Sohn aus einer Ehe. Ihr Freund ist der erste Mensch, dem Ulli M. ihren Plan offenbarte, ein Mann zu werden. So groß ist das Vertrauen, das sie in Patrick hat. So groß ihr Verlangen, endlich im richtigen Körper zu leben. Denn das durfte die Frau, die ursprünglich aus einem Dorf in Niederbayern stammt, noch nie. Als kleines Mädchen hasste sie es, Kleider anziehen zu müssen. Im Alter von neun Jahren verkündete sie gegenüber der Mutter: „Wenn ich mal Brüste bekomme, schneide ich sie ab.“Wenn neue Kinder in das Dorf zogen, stellte sie sich als der Junge Ulli vor. Ihre alleinerziehende Mutter schimpfte sie dann. Sie konnte mit der „Eigenart“ihrer Tochter nicht umgehen. Nur die Oma ließ das Kind an den Wochenenden es selbst sein. Ulli M. wusste schon immer, dass sie anders ist. Aber was dieses „anders sein“war, konnte sie lange Zeit für sich nicht benennen. Frauen-Parfüms ertrug sie nicht. Ulli M. kaufte sich lieber Deo für Männer.
Der Wunsch, ein Mann zu werden, kam schleichend. Erst als Ulli M. das ähnliche Schicksal einer Frau auf Facebook verfolgte, wurde ihr bewusst: Ich lebe im falschen Körper. Sie war überrascht, wie Patrick auf ihren Plan reagierte. „Ich rechnete damit, dass er die Beziehung beendet. Er aber sagte, er unterstützt mich.“Der Lebensgefährte riet der 33-Jährigen zu einem Therapeuten. Und ließ sich bei diesem neulich sogar selbst beraten. „Er wollte von dem Psychologen wissen, wie er seinem Sohn beibringen kann, dass seine Freundin ein Mann wird.“Die Kinder spielen für das Paar eine ganz wichtige Rolle. Sie sollen offen, aber schonend mit der allmählichen Veränderung der Augsburgerin konfrontiert werden. „Mara ist allerdings noch zu klein dafür.“Der Sohn ihres Freundes sage jetzt schon, dass er sie cool finde. „Du bist halt nicht so eine typische Tussi wie andere Frauen“, habe der Neunjährige neulich gemeint.
Einmal im Monat fährt Ulli M. zu ihrer Therapiesitzung nach München. Der einzige Therapeut in Augsburg, der sich um Transgender kümmert, sei überfüllt. „Ich bin nicht krank“, betont die Frau. Sie muss zum Psychologen, damit dieser die notwendigen Gutachten erstellt. Gutachten, um die Hormone verschrieben zu bekommen. Gutachten, um am Amtsgericht irgendwann vielleicht Name und Personenstand ändern zu können. Das Transgender-Gesetz sehe das so vor. Die Krankenkasse zahlt Ulli M’s Hormone. Jeden Morgen cremt sie sich mit 25 Milligramm Testosterongel am Bauch ein. In den nächsten vier Stunden darf sie dann keinen Körperkontakt zu anderen Menschen haben. Nicht einmal zu ihren beiden Hauskatzen. „Ich creme mich morgens auch erst ein, wenn mein Freund Mara in die Kita bringt.“
In ein paar Wochen soll die Dosis auf 50 Milligramm erhöht werden. Kleine Veränderungen spürt die Augsburgerin bereits. „Ich schwitze mehr, kann nicht gut schlafen und die Haut wird unrein. An meinen Oberschenkeln wachsen kleine Härchen und über der Oberlippe habe ich einen dunklen Schatten.“Ihre Stimme hat sich noch nicht verändert. Aber das kommt noch. Ungefähr nach drei Monaten. „Dann bekomme ich Stimmbruch. Ich mache die männliche Pubertät durch. Hoffentlich dauert das nicht allzu lange“, sagt sie und lächelt. Eine andere Körperfettverteilung, mehr Haarwuchs, markantere Gesichtszüge – Ulli M. ist vorbereitet auf das, was kommt. Eines kann sie kaum erwarten: Das wahr zu machen, was sie bereits mit neun Jahren ihrer Mutter vollmundig mitgeteilt hatte.
„Wenn ich die Auflagen der Krankenkasse einhalte, bekomme ich nächstes Jahr eine Brust-Operation bezahlt.“Der größte Wunsch der Augsburgerin ist es, im Sommer 2018 mit den Kindern ins Schwimmbad zu gehen. Und zwar oben ohne. „Hätte ich das Geld, würde ich die Operation schon jetzt machen.“Ulli M. fühlt sich mit ihren Brüsten unwohl. Mit einem sogenannten Binder, einer Art BH – nur viel enger – , versucht sie ihre Rundungen zu verbergen. In intimen Momenten mit ihrem Freund geht das natürlich schlecht. „Ich war schon immer ein Mensch, der dabei gerne das Licht ausmacht“, gibt sie unumwunden zu. Wenn Weiblichkeit ein derartiges Problem für sie ist, wie empfand sie dann ihre ungeplante Schwangerschaft? „Es war die Hölle für mich. Das war meine schlimmste Zeit. Und das hat wirklich nichts mit meinem Kind zu tun, sondern mit meinem Körper und dem Umfeld, das sagte, man muss Schwangerschaftsgymnastik und solche Dinge tun.“Abtreiben kam für sie aber nicht in Frage.
Felsenfest ist ihr Entschluss, ein Mann zu werden. Nur die Sorgen um ihre dreijährige Tochter ließen ihre Entscheidung einmal richtig wackeln. „Sie hat dann drei Papas. Ihren leiblichen, meinen Freund und mich. Und was ist, wenn sie in der Schule deshalb Probleme mit
Von Trans* spricht man, wenn das Geschlecht, dem sich ein Mensch zu gehörig fühlt, nicht mit dem körperli chen Geschlecht übereinstimmt. Be griffe, die ebenfalls dafür verwendet werden, sind Transgender oder Transidentität.
1998 wurde die Deutsche Gesell schaft für Transidentität und Interse xualität (dgti) gegründet. Sie hat Bera tungsstellen in den einzelnen Bun desländern. Mehr Infos dazu gibt es auf der Homepage www.dgti.org.
Die dgti verfolgt das Ziel, in der Ge sellschaft die Akzeptanz von Transi anderen Kindern bekommt?“Diese und ähnliche Gedanken bringen sie immer wieder zum Verzweifeln, aber nicht von ihrem Weg ab. „Wenn ich merke, dass es Mara damit nicht gut geht, werde ich psychologische Unterstützung suchen. Wenn sie in der Schule gehänselt werden sollte, werde ich dort Aufklärung betreiben.“Ulli M. ist fest entschlossen, scheut die Konfrontation nicht. Zu oft schon wurde sie angegangen. Wie neulich, als sie die Bereitschaftspraxis der Kassenärztlichen Vereinigung (KVB) am Vincentinum mit einem grippalen Infekt aufsuchte.
Auf die Frage, ob sie Medikamente einnehme, berichtete Ulli M. dem Arzt, dass sie Testosteron wegen ihrer Transidenz nehme. Der Mediziner machte ihr Vorwürfe. „Er sagte, ich müsse mich nicht wundern, wenn ich krank werde. Ich sei selbst schuld und er würde von Menschen, die so etwas machen, nichts halten.“So etwas perlt inzwischen an ihr ab. Dafür hat Ulli M. schon zu viel erlebt. Enge Freunde und Arbeitskollegen hingegen reagierten gut. „Mein Chef denten zu fördern und deren Stigmati sierung entgegenzuwirken. Sie berät und betreut auf Wunsch Betroffene und Interessierte. Ein wesentlicher Aspekt der Arbeit sollte die (Re )Inte gration von Betroffenen in den Ar beitsprozess sein. Damit soll der Gefahr eines sozialen Abstiegs begegnet werden.
Trans Männer werden diejenigen genannt, die in einen Frauenkörper geboren wurden und durch ge schlechtsangleichende Operationen männlich wurden. Bei Trans Frauen ist das umgekehrt. (ina) meinte neulich, ich soll einfach Bescheid geben, wenn ich künftig die Herrenumkleide benutzen will.“Ein sogenannter „großer Aufbau“kommt für die 33-Jährige nicht in Frage. Es sei ihr nicht wichtig, ein männliches Geschlechtsteil zu haben. „Die Operation ist kompliziert, geht oft schief. Da ist mir meine Gesundheit wichtiger.“Außerdem habe sie schon eine Prothese, mit der sie dann auf Männerklos pinkeln kann. Auch so etwas beschäftigt die Frau: Ab wann soll sie das Männerklo
Was sagt der Lebensgefährte zur Entscheidung? Was bedeutet Transgender? Ulli M.: Wir sind doch keine Monster!
benutzen? „Ich denke, wenn die ersten Damen zusammenzucken, wechsel ich die Toiletten.“
So offen die 33-Jährige über ihre Geschlechtsumwandlung spricht, ihren richtigen Namen will sie zum Schutz der Kinder nicht preisgeben. Dennoch sei es ihr wichtig, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Denn viele Menschen wüssten immer noch nicht über Transgender Bescheid. „Ich will aufklären, will zeigen, dass wir ganz normale Menschen sind. Ich gehe ins Kino, mache viel mit der Familie und gehe klettern. Ich lebe wie andere auch.“Niemand müsse ihren Weg verstehen. „Aber wir Transmenschen haben ein Recht darauf, akzeptiert zu werden. Wir sind doch keine Monster“, sagt sie leidenschaftlich.
Ulli M. weiß nicht wirklich, wie sich ihr Leben verändern wird. Sie weiß auch nicht, ob Patrick in Zukunft damit zurechtkommt, einen Mann an seiner Seite zu haben. Sie müsse ihren Weg aber gehen, habe er an sie appelliert. Die 33-Jährige hat die ersten Schritte schon getan.
* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.