Der Fall Gurlitt sorgt für Diskussionen
Der Kunstsammler besaß Hunderte gestohlene Werke. Wie deutsches Recht zwischen Besitzer und Eigentümer unterscheidet und welche Folgen das hat, wurde in einem Vortrag in Königsbrunn deutlich
Königsbrunn Mit dem Vortrag „Münchener Kunstfund – Macht die Zeit Unrecht zu Recht?“von Dr. Martin Klose von der juristischen Fakultät der Universität Augsburg startete die diesjährige Vortragsreihe Königsbrunner Campus.
Auch wenn die Zahl der Zuhörer an diesem Abend klein war, tat dies der Lebendigkeit des Vortrags und dem regen Austausch zwischen Zuhörer und Referenten keinen Abbruch. Denn Geschichte der Sammlung und Umstände der Auffindung, die juristischen Verflechtungen und Folgen des Münchener Kunstfunds, der in der Schwabinger Wohnung des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt gemacht wurde und seine Beschlagnahmung, haben nahezu Krimicharakter und werfen spannende juristische Fragen auf:
Alles begann laut Klose im Jahr 2010 mit einer Zugfahrt von Zürich nach München und dem Verdacht der Steuerhinterziehung gegen Cornelius Gurlitt, der dabei 9000 Euro in bar mit sich führte. Dass dann 2012 in Gurlitts Wohnung 1280 Kunstwerke – darunter Gemälde von Monet und Picasso – entdeckt werden, die zumindest zu Teilen der nationalsozialistischen Raubkunst zuzuordnen sind, bringt den Stein ins Rollen. Erst 2013 wird der Fund öffentlich bekannt. 2014, wenige Zeit nach dem Fund von weiteren 238 Kunstwerken in Österreich, stirbt der Kunstsammler.
Anschließend erläuterte Klose den Zuhörern die Bedeutung der Unterscheidung zwischen einerseits „Eigentum“und andererseits „Besitz“, denn Eigentümer und Besitzer einer Sache müssen nicht notwendigerweise identisch sein. Besitzt jemand eine Sache unberechtigt, weil er sie beispielsweise gestohlen hat, kann der Eigentümer die Herausgabe der Sache verlangen. Dies treffe für einen Teil der Gurlitt-Sammlung zu.
Allerdings kämen, so Klose, hier spektakuläre zivilrechtliche Aspekte ins Spiel: Dass der Kunstsammler Gurlitt die Gemälde durch „Ersitzung“erworben haben könnte, er sich also während zehn Jahren gutgläubig für den Eigentümer der Sammlung in seinem Besitz gehalten habe, scheide wohl aus. Denn Gurlitt dürfe zumindest eine Ahnung von der Herkunft der Gemälde gehabt haben.
Die unberechtigte Trennung von Eigentum und Besitz bestehe somit juristisch fort und es könne Herausgabe der Gemälde verlangt werden – wenn da nicht 72 Jahre vergangen wären, so Klose, seitdem die Nationalsozialisten die Gemälde ihren Eigentümern entzogen haben. Denn damit ist der Anspruch auf Herausgabe seit über 30 Jahren verjährt. Gurlitt – obgleich nicht der Eigentümer – konnte die Herausgabe endgültig verweigern.
Eine äußerst unbefriedigende Situation! Die Verjährung würde so das von den Nationalsozialisten begangene Unrecht verfestigen!
An das Publikum gewandt, knüpfte Klose mit den Kernfragen für seine These an und machte die juristische Absurdität des Rechtsverhältnisses deutlich: Welche Befugnisse hat denn nun der Eigentümer eines Gemäldes, das er niemals besitzen wird und wie kann er sie umsetzen? An wen kann er sein Gemälde verkaufen, vermieten und zu welchem Preis? Wieviel ist sein Gemälde wert, wie hoch wäre der Schadenswert, wenn es beschädigt würde? Die Antworten des Publikums spiegelten die kontroversen Meinungen der Rechtswissenschaftler in dieser Frage wider und gaben dem Referenten in seiner Schlussthese recht: Eine Verjährung des Herausgabeanspruchs entwertet das Eigentum. Dieses ist jedoch nach unserem Grundgesetz geschützt. Damit sei die Verjährbarkeit des Herausgabeanspruchs verfassungswidrig. Eine juristisch spektakuläre Schlussfolgerung, die im Fall Gurlitt dazu führen könnte, das von den Nationalsozialisten begangene Unrecht teilweise aufzuheben – wenn sie beim Obersten Gerichtshof Gehör fände.
Dass in ihrem nunmehr fünften Jahr die Veranstaltungsreihe, eine Zusammenarbeit zwischen dem Königsbrunner Kulturbüro und der Universität Augsburg, wieder in den Generationenpark in der DietrichBonhoeffer-Straße zurückkehrte, freute nicht nur Kulturbüroleiterin Ursula Off-Melcher. Dies entspreche auch dem Wunsch von Unipräsidentin Prof. Doering-Manteuffel, die 2013 diese Reihe mit aus der Taufe gehoben hatte.
Eigentum ist durch das Grundgesetz geschützt