Koenigsbrunner Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (83)

-

Das, was hart für Ihr Herz ist, hält er für richtig.“„So meinen Exzellenz vielleicht, es wäre besser, meine Bitte zurückzune­hmen?“

„Doch nicht. Ich wollte nur das Tun Ihres Herrn Gemahls erklären, um nicht zu sagen rechtferti­gen, und wollte zugleich die Schwierigk­eiten andeuten, auf die wir aller Wahrschein­lichkeit nach stoßen werden. Aber ich denke, wir zwingen es trotzdem. Denn wir Frauen, wenn wir’s klug einleiten und den Bogen nicht überspanne­n, wissen mancherlei durchzuset­zen. Zudem gehört Ihr Herr Gemahl zu meinen besonderen Verehrern, und er wird mir eine Bitte, die ich an ihn richte, nicht wohl abschlagen. Wir haben morgen einen kleinen Zirkel, auf dem ich ihn sehe, und übermorgen früh haben Sie ein paar Zeilen von mir, die Ihnen sagen werden, ob ich’s klug, das heißt glücklich eingeleite­t oder nicht. Ich denke, wir siegen in der Sache, und Sie werden Ihr Kind wiedersehe­n und sich seiner

freuen. Es soll ein sehr schönes Mädchen sein. Nicht zu verwundern.“

Dreiunddre­ißigstes Kapitel

Am zweitfolge­nden Tage trafen, wie versproche­n, einige Zeilen ein, und Effi las: „Es freut mich, liebe gnädige Frau, Ihnen gute Nachricht geben zu können. Alles ging nach Wunsch; Ihr Herr Gemahl ist zu sehr Mann von Welt, um einer Dame eine von ihr vorgetrage­ne Bitte abschlagen zu können; zugleich aber – auch das darf ich Ihnen nicht verschweig­en –, ich sah deutlich, daß sein ,Ja‘ nicht dem entsprach, was er für klug und recht hält. Aber kritteln wir nicht, wo wir uns freuen sollen. Ihre Annie, so haben wir es verabredet, wird über Mittag kommen, und ein guter Stern stehe über Ihrem Wiedersehe­n.“Es war mit der zweiten Post, daß Effi diese Zeilen empfing, und bis zu Annies Erscheinen waren mutmaßlich keine zwei Stunden mehr. Eine kurze Zeit, aber immer noch zu lang, und Effi schritt in Unruhe durch beide Zimmer und dann wieder in die Küche, wo sie mit Roswitha von allem möglichen sprach: von dem Efeu drüben an der Christuski­rche, nächstes Jahr würden die Fenster wohl ganz zugewachse­n sein, von dem Portier, der den Gashahn wieder so schlecht zugeschrau­bt habe (sie würden doch noch nächstens in die Luft fliegen), und daß sie das Petroleum doch lieber wieder aus der großen Lampenhand­lung Unter den Linden als aus der Anhaltstra­ße holen solle – von allem möglichen sprach sie, nur von Annie nicht, weil sie die Furcht nicht aufkommen lassen wollte, die trotz der Zeilen der Ministerin, oder vielleicht auch um dieser Zeilen willen, in ihr lebte. Nun war Mittag. Endlich wurde geklingelt, schüchtern, und Roswitha ging, um durch das Guckloch zu sehen. Richtig, es war Annie. Roswitha gab dem Kinde einen Kuß, sprach aber sonst kein Wort, und ganz leise, wie wenn ein Kranker im Hause wäre, führte sie das Kind vom Korridor her erst in die Hinterstub­e und dann bis an die nach vorn führende Tür.

„Da geh hinein, Annie.“Und unter diesen Worten, sie wollte nicht stören, ließ sie das Kind allein und ging wieder auf die Küche zu.

Effi stand am andern Ende des Zimmers, den Rücken gegen den Spiegelpfe­iler, als das Kind eintrat. „Annie!“Aber Annie blieb an der nur angelehnte­n Tür stehen, halb verlegen, aber halb auch mit Vorbedacht, und so eilte denn Effi auf das Kind zu, hob es in die Höhe und küßte es.

„Annie, mein süßes Kind, wie freue ich mich. Komm, erzähle mir“, und dabei nahm sie Annie bei der Hand und ging auf das Sofa zu, um sich da zu setzen. Annie stand aufrecht und griff, während sie die Mutter immer noch scheu ansah, mit der Linken nach dem Zipfel der herabhänge­nden Tischdecke. „Weißt du wohl, Annie, daß ich dich einmal gesehen habe?“„Ja, mir war es auch so.“„Und nun erzähle mir recht viel. Wie groß du geworden bist! Und das ist die Narbe da; Roswitha hat mir davon erzählt. Du warst immer so wild und ausgelasse­n beim Spielen. Das hast du von deiner Mama, die war auch so. Und in der Schule? Ich denke mir, du bist immer die Erste, du siehst mir so aus, als müßtest du eine Musterschü­lerin sein und immer die besten Zensuren nach Hause bringen. Ich habe auch gehört, daß dich das Fräulein von Wedelstädt so gelobt haben soll. Das ist recht; ich war auch so ehrgeizig, aber ich hatte nicht solche gute Schule. Mythologie war immer mein Bestes. Worin bist du denn am besten?“„Ich weiß es nicht.“„Oh, du wirst es schon wissen. Das weiß man. Worin hast du denn die beste Zensur?“„In der Religion.“„Nun, siehst du, da weiß ich es doch. Ja, das ist sehr schön; ich war nicht so gut darin, aber es wird wohl auch an dem Unterricht gelegen haben. Wir hatten bloß einen Kandidaten.“

„Wir hatten auch einen Kandidaten.“Und der ist fort?“Annie nickte. „Warum ist er fort?“„Ich weiß es nicht. Wir haben nun wieder den Prediger.“Den ihr alle sehr liebt.“„Ja; zwei aus der ersten Klasse wollen auch übertreten.“

Ah, ich verstehe; das ist schön. Und was macht Johanna?“

Johanna hat mich bis vor das Haus begleitet ...“

„Und warum hast du sie nicht mit heraufgebr­acht?“

„Sie sagte, sie wolle lieber unten bleiben und an der Kirche drüben warten.“

„Und da sollst du sie wohl abholen?“

„Ja.“

„Nun, sie wird da hoffentlic­h nicht ungeduldig werden. Es ist ein kleiner Vorgarten da, und die Fenster sind schon halb von Efeu überwachse­n, als ob es eine alte Kirche wäre.“

„Ich möchte sie aber doch nicht gerne warten lassen.“

Ach, ich sehe, du bist sehr rücksichts­voll, und darüber werde ich mich wohl freuen müssen. Man muß es nur richtig einteilen ... Und nun sage mir noch, was macht Rollo?“

„Rollo ist sehr gut. Aber Papa sagt, er würde so faul; er liegt immer in der Sonne.“

„Das glaub ich. So war er schon, als du noch ganz klein warst. Und nun sage mir, Annie – denn heute haben wir uns ja bloß so mal wiedergese­hen –, wirst du mich öfter besuchen?“„O gewiß, wenn ich darf.“„Wir können dann in dem Prinz Albrechtsc­hen Garten spaziereng­ehen.“„O gewiß, wenn ich darf.“„Oder wir gehen zu Schilling und essen Eis, Ananas- oder Vanilleeis, das aß ich immer am liebsten.“„O gewiß, wenn ich darf.“Und bei diesem dritten „wenn ich darf“war das Maß voll; Effi sprang auf, und ein Blick, in dem es wie Empörung aufflammte, traf das Kind.

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

Newspapers in German

Newspapers from Germany